Was man nicht sieht, ist tatsächlich nicht da. Und man käme auch nicht auf die Idee, es zu suchen. Dabei war Leipzig bis zum Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 eine Großstadt mit einer der größten und lebendigsten jüdischen Gemeinden in Deutschland. Doch es gibt keinen Ort, wo diese Vergangenheit auch für die jüngeren Leipziger/-innen erlebbar wird.
„Stadtrat und Oberbürgermeister setzen sich gemeinsam für ein Museum zur Kultur und Geschichte des jüdischen Lebens mit Standort Leipzig ein. Dieses Museum soll eine überregionale Institution werden, deren Wirkung über Leipzig hinausgeht. Die Trägerschaft dieses Museums soll an eine geeignete Institution übertragen werden“, beantragt nun der Kulturausschuss des Leipziger Stadtrates. „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, sich hierzu gegenüber allen relevanten Gremien, insbesondere dem Sächsischen Landtag und der Staatsregierung, für den Standort Leipzig zu verwenden.“„Leipzig war bis zur Zeit des Nationalsozialismus eine der wichtigsten und pulsierendsten jüdischen Gemeinden Deutschlands“, begründet der Kulturausschuss seinen Antrag. „Leipzig kann auf über 700 Jahre jüdisches Leben zurückblicken; auf eine Geschichte, die auch im Vergleich zu anderen Städten in Ostdeutschland, einzigartig ist. Die Stadt war ein Zentrum der jüdischen Emanzipation und Bildung im 19. und 20. Jahrhundert. Auch sind wichtige Themenstränge der Leipziger und sächsischen Kultur- und Wirtschaftsentwicklung (etwa in der Musik und Verlagsgeschichte) ohne das Wirken jüdischer Frauen und Männer nicht vorstellbar.“
Doch außer in einigen engagierten Publikationen sind all diese Personen im Leipziger Gedächtnis kaum präsent und auch die Dauerausstellung im Alten Rathaus macht nicht wirklich sichtbar, welch eine zentrale Rolle jüdische Unternehmer, Wissenschaftler, Autoren, Musiker, Ärzte und auch Sportler in der Stadt gespielt haben.
Etwas über 14.000 Mitglieder hatte die jüdische Gemeinde in Leipzig, bevor die Nationalsozialisten ihre Politik der Ausgrenzung, Vertreibung, Enteignung und Ermordung begannen. 1945 gehörten nur noch 24 Menschen zur jüdischen Gemeinde in Leipzig.
Der Antrag des Kulturausschusses verweist „auch auf die außergewöhnliche Rolle Leipzigs als Messestadt; Leipzig konnte selbst in Zeiten ansonsten nicht zugelassener Daueransiedlung von Jüdinnen und Juden in Sachsen eine regelmäßige temporäre Anwesenheit jüdischer Händler und Kaufleute aus anderen Teilen Europas aufweisen. Nicht zuletzt haben sich auch daraus Ansätze dauerhafter Präsenz in der Stadt und Region entwickelt.“
Leipzig wäre prädestiniert als Standort so eines Museums. Und dessen Errichtung wäre auch eine klare politische Botschaft, betont der Kulturausschuss: „Ein Museum, das die Geschichte jüdischen Lebens und jüdischer Kultur in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen präsentieren soll, braucht einen überzeugenden, in Hinblick auf die Kultur jüdischen Lebens möglichst authentischen Standort. Leipzig ist aus Sicht der Antragsteller nicht nur aufgrund seiner zentralen Lage in Mitteldeutschland, sondern auch aufgrund der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft jüdischen Lebens ein geeigneter Standort für solch eine museale Einrichtung. In einer Zeit, in der antisemitische Äußerungen auch in deutschen Parlamenten wieder laut werden, ist es eine Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten für Freiheit, Toleranz und ein friedliches Miteinander einzutreten. Dabei leisten Museen einen wichtigen Beitrag zur aktiven Erinnerungskultur.“
Es wäre auch ein Ort, an dem die Besucher/-innen erfahren könnten, welche Rolle einst die jüdischen Pelzhändler vom Brühl, die Bankiersfamilie Kroch, die Kaufhausgründer Ury oder der Verleger Henri Hinrichsen für die Stadt und ihre Kultur gespielt haben. Man würde die Ärzte, Philosophen, Hochschullehrer und Architekten nicht mehr nur auf dem Israelitischen Friedhof finden, sondern auch in einer lebendigen Ausstellung erleben können, wie sie das Leben der Stadt Leipzig mitprägten und gestalteten, so wie die Familie Chaim Eitingons, die Carlebachs oder die Goldschmidts.
Man merkt erst wirklich, wenn man die entsprechenden Bücher – etwa von Bernd Lutz-Lange – liest, wie reich und vielfältig jüdisches Leben in Leipzig war. Die Erinnerungsstätte an die zerstörte Synagoge in der Gottschedstraße kann das nicht ersetzen. Sie lässt nur ahnen, was alles zu erzählen wäre, gäbe es ein Jüdisches Museum in Leipzig.
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Keine Kommentare bisher
Ich finde es schon lange sehr befremdlich, dass in beiden alten deutschen Staaten und auch jetzt in Deutschland noch so rein gar nichts vom ehemals jüdischen Leben zu sehen ist. Das, was ins Auge fällt (wie die Stolpersteine), hat so gut wie immer schon einen Bezug zur Shoah. Man muss ja “froh” sein, wenn sich irgendwo noch eine “Jüdengasse” als Straßenname gehalten hat oder eben einige Häuser in der Nikolaistraße.
Von anderen historischen Begebenheiten ist mehr im kollektiven Gedächtnis hängengeblieben, etwa dass die Schweden mal hier waren oder – viel präsenter – in Köln die Zeit der französischen Besatzung (1794).
Ähnlich befremdlich, dass in tradierter Musik oder deutscher Literatur es auch keine Juden zu geben scheint. Nach der “Judenbuche” kommt nicht lange nichts, sondern rein gar nichts. Thomas Mann hat nur eine einzige Novelle (Wälsungenblut) geschrieben mit irgendeinem Bezug zur jüdischen Kultur – der auch nur im Schlusssatz(!) der Erstfassung(!) erkennbar ist. Hat sich denn nie einmal ein literarisches Liebespaar vor dem Tor einer Synagoge getroffen statt immer nur an einer Kirchentür oder auf dem Markt? So etwas meine ich.
Manchmal denke ich, dass der Holocaust selbst in der Kunst schon ganz lange Schatten vorausgeworfen hat.