Die politischen Konflikte rund ums Connewitzer Kreuz nehmen zu. Das No-Cops-Graffiti am Streetballplatz steht auf der Agenda des Stadtrats. Ein benachbartes Grundstück, heute ein Parkplatz, wird im Mai 2021 zwangsversteigert. Und die Betreiber eines Ladengeschäfts klagen gegen die polizeilich verordnete Videoüberwachung.
Als die Verwaltung entschied, den Streetballplatz mit einer Lärmschutzwand aus Beton zu versehen, hatte sie gewiss nicht im Sinn, dass die Anlage deswegen einmal eine Touristenattraktion werden könnte. Würde die Stadt besagte Wand einfach abreißen, wäre ein seit Jahren schwelender Konflikt vom Tisch. Der fast schon sportliche Spaß zwischen Übermalung und erneutem Graffito allerdings auch.Auf der einen Seite stehen politisch engagierte Anwohner. Auf der anderen eine von CDU und Polizei getriebene Stadtverwaltung. Stein des Anstoßes ist ein letztlich banaler Schriftzug: „No Nazis – No Cops – Antifa Area“ stand lange Zeit auf der Rückwand der 2014 eröffneten Anlage. Bis sich der damalige Polizeipräsident Bernd Merbitz – seinerzeit CDU-Mitglied – und andere Nicht-Connewitzer oft genug und nicht selten öffentlich über das Graffito beschwert hatten.
Was den einen Kunst, war den anderen ein optisches Ärgernis, aufgeladen mit einer ablehnenden Haltung zur Polizei. Immerhin ist die nächste Polizeiwache bloß 200 Meter entfernt. Womit sich die Botschaft der Sprayer eigentlich als Utopie darstellt – die Polizei ist, wie in anderen Stadtteilen Leipzigs auch, im Viertel präsent. Der Stadtteil ist bis heute keine No-Go-Area für Polizisten geworden. Ganz gleich, was manche Medien in den vergangenen Jahren zu suggerieren suchten.
Die Verwaltung sah sich ab 2017 zum Handeln veranlasst. Erst wurde nur der Schriftzug „No Cops“ übertüncht, später das gesamte Kunstwerk entfernt. Seither lieferten sich Sprayer und Polizei ein absurdes Katz-und-Maus-Spiel. Der Vor-Vorgänger des heutigen Polizeipräsidenten René Demmler, Bern Merbitz, stellte sogar Streifen ab, die nachts den Platz bewachten.
Als gäbe es keine wichtigeren Aufgaben. Die Posse sorgte für überregionale Aufmerksamkeit. Ein Szenelabel vertreibt inzwischen Shirts mit dem Motiv und meist junge Touristen fahren extra zum Connewitzer Kreuz, um Selfies mit dem Graffito zu machen.
Die Stadt bezahlte für ihre 23 Reinigungen insgesamt 11.000 Euro. Zurzeit scheint eine Art Burgfrieden eingekehrt zu sein. Die letzte Putzaktion liegt schon geraume Zeit zurück. Der Schriftzug „No Cops“ wurde zuletzt in größtmöglichen roten Lettern gesprüht. Die Verwaltung räumt mittlerweile offen ein, dass durch die regelmäßige Beseitigung der Motive nicht zur dauerhaften Lösung der Situation beigetragen werden konnte. Ein Abriss der Wand ist auch keine Option. Ohne Lärmschutz hätte das Basketballfeld nicht gebaut werden dürfen.
Wie weiter vor Ort?
Der schwelende Konflikt könnte neu aufflammen, sollte sich der Vorschlag von vier Stadträten zur Zukunft des umstrittenen Wandbilds durchsetzen. Marco Götze (Linke), Thomas Kumbernuß (PARTEI), Monika Lazar (Grüne) und Christopher Zenker (SPD) schwebt eine ideelle Trägerschaft durch einen Verein vor, der im Stadtteil breite Akzeptanz genießt. Einen konkreten Vorschlag unterbreiten sie nicht.
Die Wand dieses Basketballplatzes soll zukünftig als legale Graffiti-Fläche genutzt werden. Das jeweilige Motiv soll der ideelle Träger in Kooperation mit einem lokalen Akteur der Jugendhilfe und in letzter Instanz mit der Stadtverwaltung abgestimmen.
An der Wand „fokussieren und materialisieren sich zahlreiche Konfliktlinien, deren weitere Verfestigung die AntragsstellerInnen verhindern möchten“, begründen sie die Idee. In der Legalisierung der Graffiti-Fläche sehen sie „eine symbolhafte Facette eines umfassenden und notwendigen Dialogprozesses im Ortsteil“. Die CDU stimmt der Idee freudig zu, möchte aber beschlossen wissen, dass „keine diskriminierenden Aussagen gegen Menschen oder Berufsstände“ Bestandteil des künftigen Kunstwerks sein werden.
Den Schriftzug „No Cops“ hält die Leipziger Union für diskriminierend, „No Nazis“ vermutlich ebenso und beides soll wohl weg.
Dass die Verwaltung einem No-Cops-Motiv zustimmen würde, erscheint angesichts der Mühen um dessen Entfernung in der Vergangenheit ausgeschlossen. Dass die autonome Szene in diesem Punkt klein beigeben wird, auch.
„Der Antrag ist bürokratisch, obrigkeitsorientiert und lebensfremd“, meint die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel, die in Connewitz ihr Abgeordnetenbüro hat. Die Linken-Politikerin, die ebenfalls dem Stadtrat angehört, kennt den Stadtteil und seine Bewohner sehr gut. „Ich bin der Meinung, dass die ursprüngliche Gestaltung „No Cops, No Nazis, Antifa Area“ eine Art von schützenswerter Kunst im öffentlichen Raum ist. Natürlich ist das Ansinnen dort eine legale Gestaltung zu schaffen unterstützenwert. Das hat die Stadt von Anfang an verpasst und damit der nicht-legalen, selbstbestimmten Gestaltung erst Raum gegeben.“
Nagel hat im Stadtrat deshalb die Wiederherstellung des ursprünglichen Motivs beantragt. Außerdem schwebt ihr die Errichtung einer Tischtennisplatte und einer Kletterwand vor. Die Stadtverwaltung hat zumindest einigen Vorschlägen Zustimmung signalisiert. Die Wiederherstellung des Schriftzuges „No Cops – No Nazis – Antifa Area“ und dessen dauerhafte Erhaltung lehnt die Behörde allerdings ab.
Stattdessen soll der zukünftige Träger darauf achten, dass keine diskriminierenden Aussagen gegen Menschen oder Berufsstände Inhalt der Graffitis sind. Exakt diese Definitionsfrage, was und wann diskriminierend ist, könnte allerdings nur zu einer Fortsetzung der bereits absolvierten Übermalungs- und Erneuerungsspirale werden.
Wann der Stadtrat das Thema behandelt, ist noch offen. Ursprünglich sollten die Anträge im Januar abgestimmt worden. Die ursprünglichen Antragsteller hatten dies verhindert, indem sie den Punkt von der Tagesordnung nahmen.
Der Graffiti-Streit ist eine von mehreren politischen Baustellen rund um die belebte Straßenkreuzung. Das Nachbargrundstück soll am 6. Mai 2021 zwangsversteigert werden. Die Freifläche ist eines der letzten unbebauten Filetstücke in dem bei jungen Menschen besonders beliebten Stadtteil.
Der zukünftige Eigner muss für die 940 Quadratmeter tief ins Portemonnaie greifen. Ein Gutachter taxierte den Verkehrswert auf rund 700.000 Euro. Zurzeit wird die Liegenschaft als Parkplatz genutzt. Die zukünftige Bebauung ist ungewiss. Zulässige Nutzungen wären Wohnen, nicht störendes Gewerbe, Dienstleistungen und nicht großflächiger Einzelhandel. Im Flächennutzungsplan ist das Grundstück als Teil einer Wohnbaufläche dargestellt.
Auch ein Park oder eine umgenutzte Freifläche wäre demnach an der vielbefahrenen Kreuzung möglich.
Im Jahr 2016 hatte ein Leipziger Architekt angeregt, dort ein Hochhaus zu errichten. Die damalige Baudezernentin Dorothee Dubrau (parteilos) erteilte der Idee eine Absage. Heute erwägt die Stadt, die Immobilie zu ersteigern. Ein Vorkaufsrecht existiert bei Zwangsversteigerungen nicht. Welches Budget die Kommune zu investieren bereit ist, teilte das Liegenschaftsamt aus strategischen Gründen nicht mit.
Bei vergangenen Versteigerungen, wie etwa einem Grundstück an der Eisenbahnstraße im Leipziger Osten zog die Kommune jedoch finanziell den Kürzeren – statt dass ein wichtiger Schulbau begonnen werden konnte, steht die nunmehr private Fläche bis heute leer und ungenutzt. Überboten wurde die Stadt hier um etwa das Doppelte der angebotenen Summe.
Umstritten ist auch Sinn und Nutzen der Videoüberwachung am Connewitzer Kreuz. Seit 1999 hat die Polizei das Areal rund um die Uhr fest im Blick. Anlass für die Installation der Kamera war ein vorgeblich überproportionaler Anstieg der Straßenkriminalität. Geht es nach Anwohnern, kann die Kamera weg.
„Die Polizeidirektion Leipzig prüft jährlich die Gründe, die zur Einrichtung und Betrieb der Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten führten. Im Ergebnis dessen wird über eine Fortführung oder Abschaltung der Videoüberwachung entschieden“, teilt Polizeisprecher Olaf Hoppe auf LZ-Anfrage mit. Die Prüfung ist im laufenden Jahr noch nicht abgeschlossen.
Zuletzt stellte die Polizei Videoüberwachungen am Martin-Luther-Ring (2013) und am Roßplatz (2019) ein. Juliane Nagel hatte gegen die Nutzung der Kameraanlage während Demonstrationen geklagt. Das Verwaltungsgericht Leipzig gab der Politikerin Recht. Potenzielle Demonstranten könnten sich durch die Videoüberwachung von der Teilnahme abgeschreckt fühlen. Seither schaltet die Polizei dort fest installierte Kameras während angemeldeter Versammlungen ab.
Am Verwaltungsgericht ist nach wie vor die Klage eines alternativen Bekleidungsgeschäfts anhängig, das im Blickfeld der Polizeikamera am Connewitzer Kreuz liegt. Mit einer Entscheidung ist im Laufe dieses Jahres zu rechnen.
Wie könnte das Connewitzer Kreuz in Zukunft aussehen?
Nagel hat hierzu eine Vision: „Die ursprüngliche Gestaltung an der Wand des Streetballplatzes wird wiederhergestellt und als Kunstwerk belassen. Die Polizeikamera wird deinstalliert. Die Stadt kauft die Fläche an der Spitze und gibt die zur Nutzung als Veranstaltungsraum frei.“
Eine Idee, die einer weiteren Überlegung auf die Beine helfen könnte: eine regelmäßige Silvesterparty am Kreuz mit Bühne und Kulturprogramm.
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