„Ich bin Mountainbiker und arbeite für eine große Umwelt- und Naturschutzorganisation. Ich möchte mit diesem Brief eine neue Perspektive auf die sehr einseitige Debatte um Mountainbike-Pfade im Leipziger Auwald und auf den Halden der Messestadt eröffnen“, schreibt Sebastian Gerstenhöfer an die LZ. Als aufmerksamer Leser und Beobachter der Debatte rings um den „Wackelturm“ im Rosenthal und die Diskussionen zu Querfeldeinrouten im Leipziger Auwald fordert er, Naturschutz und Naherholung stärker zu verbinden.
Kein Gegensatz – Mountainbike und Naturschutz in Leipzig
Die Pandemie hat viele Leipziger/-innen dazu „gezwungen“, ihre Freizeit und ihren Sport vor der Haustüre durchzuführen. Das erhöht den Nutzungsdruck auf den Auwald und die Halden als Naherholungsgebiete immens.
Es führt zum einen zu Konflikten zwischen den Nutzungsarten (Wandern, Fahrrad, Kinder und Hunde) und bringt zum anderen den Zielkonflikt zwischen Auwald und Umgebung als Naherholungsgebiet für 600.000 Leipziger/-innen und zugleich wertvolles Naturrefugium für vom Aussterben bedrohte Arten wie Eisvogel und Wildkatze zutage.Eine Lösung kann nur ein integriertes Konzept unter Einbezug aller Nutzungsgruppen und Interessen bieten.
Mountainbikeghettos und Planierraupen schützen den Auwald nicht
Die Stadt reißt derzeit alternativlos viele Mountainbike-Pfade ab, nicht zuletzt auf Betreiben der Grünen hin. Dabei sind auch solche Trails betroffen, die den Nutzungsdruck durch Bergradler auf vergleichsweise unkritische Gebiete wie die Halden umlenken. Immerhin handelt es sich dabei um Schuttberge oder ehemalige Mülldeponien, nicht etwa um Naturschutzgebiete.
Das jetzige Vorgehen verschärft die Situation, denn die Menschen werden ausweichen. Es werden neue Wege an Orten entstehen, an denen sich die Fauna noch nicht an die häufige Nutzung durch Wander/-innen und Radler/-innen gewohnt hat. Der Schaden hierdurch wäre ungleich höher. Zudem werden derzeit die Interessen einer Vielzahl von Leipziger/-innen, nämlich die der Wander/-innen und Radfahrer/-innen, übergangen.
Die Lösung kann auch nicht sein, einen abgetrennten Bereich für Mountainbiker/-innen im agra-Park zur Verfügung zu stellen. Verstehen Sie mich nicht falsch, liebe Ökolöwen: Ihr Vorschlag ist konstruktiv und grundsätzlich zu begrüßen. Aber er vermag Mountainbiker nicht von den Halden fernzuhalten. Denn das agra-Gelände bietet kein nennenswertes Gefälle. Und wie das Wort „Mountain“ in „Mountainbike“ vermuten lässt, ist ein Gefälle für die meisten Spielarten des Geländeradelns Grundvoraussetzung.
Zudem verkennen alle, die sich bisher zum Thema geäußert haben, leider die Situation: Es gibt nicht so etwas wie „die Mountainbikeszene“ in Leipzig und sie ist auch nicht auf den Süden der Stadt beschränkt. Es gibt viele Gruppen, manche größer, manche kleiner, Jung und Alt. Wie viele es sind, kann derzeit wahrscheinlich niemand genau beantworten. Klar ist: Es handelt sich um einen stark wachsenden Breitensport. Also würde der Vorschlag nur für einige Wenige und örtlich stark begrenzt etwas bewirken – der Rest würde weiterhin die Wege im Auwald und auf den Halden befahren.
Außerdem wird stillschweigend davon ausgegangen, dass die Wege erst vor kurzem und auch nur durch die Mountainbiker/-innen entstanden sind. Dabei wird vergessen, dass Fußgänger/-innen eine viel größere Gruppe von Waldnutzer/-innen darstellen. Wandernde, Jogger/-innen und Spaziergänger/-innen haben auch nicht immer Lust, die schnurgeraden Waldstraßen zu nutzen, welche in Leipzig als Wanderwege ausgeschrieben sind.
So ist vermutlich ein Großteil der Wege schon lange vorhanden und wird auch weiter existieren, selbst wenn alle dann noch in Leipzig verbliebenen Biker/-innen irgendwann mal das vorgeschlagene Areal im agra-Gelände benutzen würden.
Freiburg macht’s vor: Naturschutz und Naherholung verbinden
Auch die Stadt Freiburg im Breisgau hatte lange mit Nutzungskonflikten im nahe gelegenen Stadtwald und den umliegenden Schwarzwaldbergen zu kämpfen. Nach runden Tischen mit Naturschutzorganisationen, Forstbehörde, Wanderndenvereinigung und Mountainbiker/-innen wurde ein Nutzungskonzept für den Wald erarbeitet und zahlreiche attraktive Wanderwege sowie dedizierte Mountainbiketrails geschaffen. Der Druck konnte so von den Naturschutzgebieten genommen werden und Konflikte zwischen Waldnutzer/-innen wurden weitgehend entschärft. Die Stadt wirbt heute erfolgreich mit diesen Freizeitmöglichkeiten, Touristen und Fachkräfte gleichermaßen.
Auch Zürich hat den Breitensport Mountainbike als Chance erkannt. Im Rahmen des „Mountainbike-Konzept: Besser mountainbiken in Zürich“ werden zahlreiche Sportstätten für alle Altersklassen und Spielarten des Bergradelns in der Schweizer Hauptstadt angelegt. So wird die Stadt gesünder für ihre Bewohner/-innen und attraktiver für Außenstehende.
Unabhängig von den gerade genannten Beispielen führen Outdooraktivitäten in vielen Fällen nachgewiesenermaßen (1) zu einem wesentlich höheren Naturbewusstsein. Schließlich verbindet man mit der Natur, dem Ort an dem man seiner Leidenschaft nachgeht, etwas sehr Persönliches und durchweg Positives. Neben den positiven Auswirkungen im Bereich Tourismus, Gesundheit und Stadtmarketing liegt im Outdoorsport also auch eine Chance für den Naturschutz, weiß man diese zu ergreifen.
Erster Schritt: Runder Tisch
Die oben genannten Beispiele haben eines in jedem Fall gemeinsam: Es wurde als erster Schritt ein Austauschraum mit allen Betroffenen organisiert. Auch in Leipzig sollten Tatsachen nur geschaffen werden, wenn alle Beteiligten einbezogen wurden. Wird weiter einseitig gehandelt, übergeht die Stadt nicht nur das berechtigte Interesse der Bürger/-innen, Erholung in den städtischen Wäldern zu finden.
Auch dem Naturschutz wird damit ein Bärendienst getan – da die jetzigen Aktionen seitens der Stadt lediglich eine unkontrollierte Verlagerung der Sport- und Freizeitaktivitäten zur Folge haben. Eine wirklich nachhaltige Lösung gibt es nur mit allen zusammen. Die Zeit zum Handeln ist jetzt!
1) Amandine Junot, Yvan Paquet, Charles Martin-Krumm (2017): Passion for outdoor activities and environmental behaviors: A look at emotions related to passionate activities. Journal of Environmental Psychology Volume 53, Pages 177-184
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Es gibt 2 Kommentare
Dieser Text ist ein wunderbares Beispiel und eine Ergänzung zum Nachbarbeitrag “Geschlechtergerechte Sprache”.
Etwa ein Drittel des Beitrages wird durch die vermeintliche Gerechtigkeit im Lesefluss erheblich beeinträchtigt; künstlich verlängerte Bezeichnungen werden eher als Füllwörter wahrgenommen.
Zum Thema an sich:
Der Beitrag ist prinzipiell zu begrüßen – die Lösung kann nur ein Miteinander sein!
Trotzdem merke ich an, dass man nicht für jeden Wunsch oder heutigen Trend überall ALLES möglich machen kann, sollte und muss. Da nützt es auch nichts, wenn man sich als Verein organisiert: Ohne See kann man halt nicht schwimmen.
Es ist nun einmal so, dass in Leipzig wenig bis keine Berge stehen, ganz im Gegensatz zur Schweiz oder dem Schwarzwald.
Erhebungen wie Müllberge sind offensichtlich auch nicht so stabil, dass man dort mit Sportgeräten “Bodenbearbeitung” durchführen kann, wie ein bekannter sich zerlegender Müllberg aufzeigt.
Umfeldabhängige Sportarten wie Skifahren, Segeln oder Mountainbiken können aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nicht überall ausufernd stattfinden; es gibt auch kein Recht darauf. Dort, wo überschüssige Ressourcen vorhanden sind oder der Allgemeinheit nicht gekürzt werden müssen, darf so etwas gern etabliert werden.
Alternativen für andere Breitensportarten sind vorhanden, es muss also niemand deswegen darben.
Hallo,
schöner und sinnvoller Leserbrief, der das Agra zurecht als nicht adequaten Ersatz beschreibt. Gibt es Neuigkeiten zu diesem Thema?