Die Beratungen um den Leipziger Doppelhaushalt 2021/2022 gehen jetzt in die heiße Phase. Im Dezember hatten die Stadtratsfraktionen ihre Haushaltsklausuren – auch die Grünen, die am Montag, 18. Januar, ihr Änderungspaket für den Doppelhaushalt vorstellten. Mit einiger Kritik an einer Stadtverwaltung, die zu gern zum falschen Zeitpunkt spart.

Und das an der falschen Stelle. Denn immer wieder musste die Verwaltung dem Stadtrat in der jüngeren Vergangenheit auch Rede und Antwort stehen, warum längst beschlossene Projekte auch nach Jahren nicht umgesetzt waren. Und oft war es schlicht der permanente Personalmangel – etwa in den diversen Planungsabteilungen. Was unter anderem zu jenem gewaltigen Berg der investiven Ausgabenreste mutiert ist, der 2020 die Marke von 500 Millionen Euro überstiegen hat.

Aber wie viele Planer fehlen und wie groß das Personalproblem bei der Stadt tatsächlich ist, wollte der Verwaltungsbürgermeister nicht verraten, sagt der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Tobias Peter. Das bekäme man immer nur punktuell in Ausschusssitzungen mit.

Die Personallücke schließen

Sodass nun auch einige sehr konkrete Angaben zu benötigten Vollzeitäquivalenten in den Anträgen der Grünen auftauchen. Und eine deutliche Mahnung an die Verwaltung, die günstige Gelegenheit nicht verstreichen zu lassen. Denn die Corona-Pandemie hat auch viele qualifizierte Fachkräfte zutiefst verunsichert, was ihre Jobperspektive betrifft.

Viele würden sich jetzt in Richtung Öffentlicher Dienst mit seinen sicheren Arbeitsplätzen umorientieren. Jetzt gäbe es also ein einmaliges Zeitfenster, sich dringend benötigtes Personal zu sichern, das man so nach Ende der Krise bestimmt nicht mehr bekommt.

Denn dann würde das vor Corona schon massiv spürbare Problem des Fachkräftemangels wieder zuschlagen, das ja einer der Hauptgründe dafür war, dass viele wichtige Stellen in der Verwaltung nicht besetzt werden konnten.

Und da kam dann der 2020 augenscheinlich ausgesprochene Einstellungsstopp, den die Verwaltung eher beiläufig zugab, in den Fraktionen gar nicht gut an.

„Es ist falsch, ein Stellenmoratorium auszurufen“, formulieren die Grünen deshalb. „Gerade jetzt haben wir sehr große Chancen, freies Fachpersonal für die Stadt zu binden, da sich viele Menschen neu orientieren. Hier ist entschlossenes Handeln gefragt. Die anstehenden Zukunftsaufgaben insbesondere bei Klima, Mobilitätswende und der Infrastruktur einer wachsenden Stadt dulden keinen Aufschub. Wenn diese erledigt sind, kann der Stellenkörper durch Altersabgänge auch wieder reduziert werden. Ein Gemeinwesen lässt sich nicht mit einer kaputtgesparten Stadtverwaltung steuern. Der Respekt vor den öffentlichen Beschäftigten gebietet einen gut ausgestatteten Personalkörper.“

Der Klimawandel hat nicht einfach aufgehört

Und so denken sie auch ihr Antragspaket für den Haushalt. Denn auch um die mögliche Wirtschaftskrise nach der Coronakrise abzufedern müsse jetzt antizyklisch investiert werden, sagt Fraktionsvorsitzende Katharina Krefft. Und zwar in die Problemfelder, die auch schon vor Corona akut waren. „Die Klimakrise geht ja weiter“, sagt sie. 2019 rief der Stadtrat für Leipzig den Klimanotstand aus. Und die Stadt müsse jetzt endlich Gas geben, sich an den Klimawandel anzupassen, so Krefft, und die Energie-und Mobilitätswende mit aller Kraft angehen.

„Dringende Zukunftsaufgaben dulden keinen Aufschub. Der Klimawandel wartet nicht auf höhere Steuereinnahmen“, formulieren es die Grünen. „Die Kosten des Klimawandels werden umso teuer, je später wir sie angehen. Wir müssen jetzt entschlossen in drängende Herausforderungen bei Klimaschutz und Klimawandelanpassung, Mobilitäts- und Energiewende investieren. Damit fahren wir eine doppelte – ökologische und ökonomische – Rendite ein.“

Deswegen mache es auch nicht viel Sinn, den Haushalt 2021 nun als Sparhaushalt zu schnüren.

„Es ist nicht die Zeit, Schulden abzubauen. Die Niedrigzinsphase bietet eine gute Grundlage. Mit gezielten Investitionen wollen wir die weggebrochenen Steuereinnahmen der Stadt Leipzig ausgleichen, um die Stadt finanziell zu stärken für die Erfüllung ihrer Aufgaben“, bringen die Grünen ihren Anspruch auf den Punkt. „Es ist richtig, in kargen Jahren Schulden zu machen, die öffentliche Hand auszustatten – in guten Jahren müssen Schulden dann selbstverständlich wieder abgebaut werden. Das hat Leipzig in den letzten Jahren erfolgreich gemacht.“

Wobei Leipzig seit 2010 eine Zeit stetigen Wirtschaftswachstum, wachsender Einnahmen und vor allem sinkender Arbeitslosenzahlen erlebt hat. Da entstanden tatsächlich ab 2016 jene Spielräume, die Leipzig in die Lage versetzen, das Investitionsbudget zu verdoppeln und gleichzeitig den Schuldenabbau voranzutreiben.

Jetzt die Strukturdefizite anpacken

„Die Pandemie bremst diese positive Entwicklung, wird sie aber nicht aufhalten“, prognostizieren die Grünen. „Ab 2021 gehen wir von einer Aufwärtsbewegung aus dem Tal aus. Wir nutzen die Krisenbewältigung verstärkt um die Strukturdefizite der Stadt anzupacken, um sie zukunftsfähiger zu machen und wollen diese aktiv unterstützen. Denn: Leipzig denkt heute schon den Neustart! Und der macht uns krisenfester in Klimawandel und Klimaanpassung.“

Wobei sie die Gefahr nicht ausblenden, die durch eine mögliche Entsolidarisierung nach Corona entsteht. Da müsse Leipzig gegensteuern: „Das betrifft den sozialen Zusammenhalt genauso wie die Sicherung der Wirtschaft mit dem Neustart für Kultur, Messe/Kongresse, Gastronomie, denn sie tragen entscheidend zur Attraktivität Leipzigs bei. Dazu sind weitere Schulden in den kommenden beiden Jahren nötig und verantwortbar. Wir haben dabei den Zusammenhalt im Blick. Die Solidarität in der Pandemie prägt die Menschen – und solidarisch schaffen wir auch den Neustart.“

Und damit Solidarität nicht nur eine schöne Blase bleibt, muss die Verwaltung endlich auch lernen, Bürgerbeteiligung nicht nur zu simulieren oder auf das Nötigste zu beschränken, sondern zu einem echten, immer genutzten Service zu machen.

Echte Teilhabe durch personell gut ausgestattete Bürgerbeteiligung

Denn: „Menschen organisieren unsere Stadt, festigen Strukturen und halten Leipzig durch ihren Einsatz und ihre Ideen zukunfts- und entwicklungsfähig. Die Mitsprache bei Entscheidungen ist essentiell für die Ausbildung unseres Gemeinwesens und unser Rezept gegen Spaltung. Die Wahlerfolge für die Rechtspopulisten mahnen uns auch in Leipzig, die offene Gesellschaft zu verteidigen und mit guter Stadtpolitik zu bekräftigen. Teilhabe, Transparenz und Offenheit müssen stärker gelebt werden. Deshalb stärken wir gezielt Beteiligung und Demokratie.“

Diese Beteiligung propagiert die Stadt zwar gern. Wenn es aber wirklich ernst wird – man denke nur an das herzlos gemanagte Projekt Georg-Schwarz-Brücken – versagt das Instrument, wird eben auch nicht ganz selbstverständlich die Abteilung „Leipzig weiter denken“ eingespannt.

Da fehlen die eingeübten Abläufe, die Formate und – wer hätte das gedacht – die Leute. Aus Sicht der Grünen braucht das im Grunde eine fest etablierte Abteilung für Bürger- und Akteursbeteiligung mit acht Vollzeitstellen, finanziert mit 250.000 Euro im Jahr. Das ist, so sehen es die Grünen, ein echtes strukturelles Problem. Man kann als Verwaltung nicht immer von reger Bürgerbeteiligung reden, wenn die Beteiligungsformate immer nur punktuell eingesetzt werden und nicht garantierter Standard bei allen Vorhaben sind, die die Bürger direkt betreffen.

„Denn nur so kann man die betroffenen Bürger auch einbeziehen“, sagt Peter. „Und nur so bekommen sie auch das Gefühl, dass sie tatsächlich etwas bewirken können.“

Zwei Vollzeitstellen sollen in der Koordinierungsstelle Leipzig Weiterdenken neu geschaffen werden, jeweils eine in sechs Ämtern bzw. Dezernaten „analog der Einrichtung des Referats Nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz“.

„Sowohl Pandemie und Klimaschutz als auch die wachsende Stadt verlangen beste Bürgerbeteiligung der Stadt bei ihren Vorhaben. Digitale wie analoge Beteiligungsverfahren sind weiter innovativ wie experimentell eine Herausforderung unserer Zeit. Um allen Leipziger/-innen Teilhabe am städtischen Gestaltungsprozess zu ermöglichen sieht unsere Fraktion in diesem Antrag einen Schwerpunktbereich“, begründen die Grünen diesen Vorstoß zur Etablierung einer professionelleren Beteiligungsabteilung.

„Beste Bürgerbeteiligung, ob analog oder digital oder analog und digital, funktioniert unseres Erachtens nur so, wenn die sechs Ämter/Dezernate um je eine VZÄ gestärkt werden und sich diese mit Öffentlichkeitsarbeit und Beteiligungsformen in gemeinsamer Rückkopplung zur Koordinierungsstelle Leipzig Weiterdenken mit Beteiligungsfragen zielwirksam auseinandersetzen. Hier gab es in der Vergangenheit mehr oder weniger starke Defizite. Wir können uns folgende zu verstärkende Ämter/Dezernate vorstellen: Amt für Wohnungsbau und Städtebauförderung, Stadtplanungsamt, Verkehrs- und Tiefbauamt, Amt für Stadtgrün und Gewässer, Dezernat Finanzen, Kulturamt.“

***

Rund 7 Millionen Euro umfassen die Anträge der Grünen für den Haushalt 2021, rund 13 Millionen für den Haushalt 2022. Ob sie alle so zum Beschluss werden, entscheidet sich in den nächsten Wochen, wenn Verwaltung und Fraktionen mit harten Bandagen darum ringen, was letztlich umsetzbar ist und was nicht.

Aber ohne mehr Engagement für Klimaschutz und Bürgerbeteiligung wird es nicht funktionieren. Auch nicht das Freischwimmen nach den ganzen Einschränkungen durch die Corona-Pandemie.

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