Vielleicht ist es ja dank Corona etwas leiser geworden über der Stadt. Der EU-China-Gipfel wurde abgesagt, größere Demonstrationen gibt es nicht mehr und auch Fußballspiele finden mit kleinstem Publikum statt. Also müssen auch nicht ständig Polizeihubschrauber überm Stadtgebiet fliegen. Aber auch vor dem Shutdown im März war es nicht zu begreifen, warum gerade in den Nachtstunden schweres Gerät über Leipzig dröhnen musste. Kann die Stadt das nicht koordinieren? Eine mehr als hilflose Antwort auf eine Stadtratsanfrage.
Gefragt hatte Juliane Nagel, Stadträtin der Linken. Denn da die Polizei Connewitz seit einiger Zeit zum Augapfel ihrer liebevollen Aufmerksamkeit erklärt hat, reicht schon die Ankündigung einer Demonstration, dass Polizeihubschrauber über den Ortsteil beordert werden und dort stundenlang kreisen. Meist schon Stunden vor dem angekündigten Ereignis.
Aber auch Überwachungsaktionen der Bundespolizei mit ihren eigenen Hubschraubern können insbesondere rechts und links der Bahnstrecken dafür sorgen, dass im Umfeld stundenlang nicht an Schlaf zu denken ist. Aber wer ist für diese ganzen Einsätze verantwortlich? Wo kann man anrufen und sich beschweren?
Es gibt ein Telefon bei der Stadtverwaltung. Aber das nutzt kaum jemand. Eher melden sich die frustrierten Bürger/-innen dann in den Fraktionen des Stadtrates in der Hoffnung, die könnten irgendetwas ändern an diesem Lärm.
Juliane Nagel in ihrer Anfrage: „In den vergangenen Wochen konnte in den sozialen Netzwerken, über Beschwerden bei Mandatsträger/-innen und sonstige Meinungsbekundungen ein wachsender Unmut über Hubschraubereinsätze in Leipzig festgestellt werden. Recherchen legen nahe, dass neben den Einsätzen der Landespolizei bei Versammlungs- und Veranstaltungslagen oder Fahndungen/Suchen vor allem Hubschrauber der Bundespolizei über der Stadt Leipzig zum Einsatz kamen.“
Dass es zunehmend Verdruss über die Hubschraubereinsätze gibt, zeigen freilich auch die Zahlen, die das Dezernat Umwelt, Klima, Ordnung und Sport zur Verfügung stellen kann: „Im Jahr 2019 sind bei der Immissionsschutzbehörde und bei der Fluglärmschutzkoordinatorin der Stadt Leipzig insgesamt ca. 270 Lärmbeschwerden registriert worden. Davon gingen vier Beschwerden auf Hubschrauberlärm zurück. Im Jahr 2020 sind bis zum 9. Oktober 2020 insgesamt ca. 250 Lärmbeschwerden, davon 16 Beschwerden über Hubschrauberlärm, eingegangen.“
Man kann direkt beim Fluglärmschutzkoordinator im Amt für Umweltschutz anrufen und dort seine Beschwerde loswerden.
Und wahrscheinlich sollten das wirklich alle tun, die vom nächtlichen Lärm um den Schlaf gebracht werden. Auch was den Flugzeuglärm betrifft. Beides erzählt von Akteuren, die nichts mit der Stadt zu tun haben, aber über den Leipziger Luftraum verfügen, als wären sie nicht an das Bundesimmissionsschutzgesetz gebunden.
Weshalb Leipzigs Umweltdezernat auch nicht über belastbare Zahlen zu Hubschraubereinsätzen überm Stadtgebiet verfügt. Was schon verblüfft. Die Verwaltung der Stadt, die regelmäßig verlärmt wird, bekommt nicht einmal Meldungen über diese Einsätze, kann sie also auch nicht beeinflussen.
„Soweit sich die Anfrage auf die Hubschrauber des Polizeivollzugsdienstes, der organisatorisch zum Freistaat Sachsen gehört, bezieht, kann die Stadtverwaltung hierzu selbst keine Angaben machen“, gibt das Umweltdezernat lakonisch zur Kenntnis. „Der Stadtverwaltung liegen insbesondere keine Informationen über einsatztaktische Erwägungen der Polizeidirektion Leipzig bzw. der Bereitschaftspolizei vor. Nach allgemeiner Information der Polizeidirektion Leipzig haben Helikopterflüge oftmals eine Vermisstensuche zum Anlass.“
Was trotzdem die Frage bestehen lässt: Warum bekommt das für Lärmbelastung zuständige Amt der Stadt dann nicht wenigstens nachträglich die notwendigen Informationen?
Welchen Sinn machen Lärmschutzpläne, wenn gleich mehrere Instanzen in Sachsen der Meinung sind, dass sie das nicht die Bohne interessiert? Was übrigens auch für den Lärmschutz im ganzen Freistaat gilt. Denn auch das Umweltministerium bekommt die Einsatzzahlen nicht. Und in die bekannten Lärmschutzkartierungen fließen all diese Fluglärmbelastungen nicht ein.
Im Landtag müssen die Zahlen immer wieder erst von Landtagsabgeordneten abgefragt werden. So im Juli, als Juliane Nagel als Landtagsabgeordnete der Linken die Hubschraubereinsätze der sächsischen Polizei seit 2013 abfragte.
Und kurz danach gab es noch die Anfrage von Kerstin Köditz (ebenfalls Die Linke) „Hubschraubereinsätze der sächsischen Polizei im 1. Halbjahr 2020“.
Da sind dann freilich die Hubschraubereinsätze der Bundespolizei nicht enthalten. Und die haben Linke-Abgeordneten im Bundestag nachgefragt.
Die mehr als knappe Antwort der Bundesregierung: „Seit 2013 setzte die Bundespolizei auf dem Gebiet des Freistaates Sachsen in 3.752 Einsätzen Polizeihubschrauber für rund 5.386 Flugstunden ein.“
Praktisch jeden Tag ist also irgendwo über Sachsen ein Hubschrauber der Bundespolizei im Einsatz.
Aber die Abgeordneten wollten ja aus gutem Grund auch genauer wissen, wie oft und mit welchem Erfolg die Hubschrauber über Leipzig kreisten: „Wie oft wurden Hubschrauber der Bundespolizei seit 2013 in der Stadt Leipzig für wie viele Stunden eingesetzt (bitte nach Einsatzdatum, Einsatzuhrzeit, Einsatzgrund, Einsatzort und Einsatzstunden aufschlüsseln, bitte bei Einsatzgrund explizit auch welche Versammlungslagen, Fußballspiele etc. angeben)? In wie vielen Fällen konnten Ermittlungsverfahren unmittelbar durch im Einsatz der Hubschrauber gewonnene Erkenntnisse oder Anhaltspunkte für einen Straftatenversuch eingeleitet werden (bitte Deliktsgruppe, Straftatbestand, Beschuldigte und Stand des Verfahrens angeben)?“
Antwort? Keine. Denn einerseits gilt, wie die Bundesregierung meint: „Die Bundespolizei führt keine Statistik über an Einsatzorten eingesetzte Hubschrauber. Ebenso dokumentieren die statistisch auswertbaren Flugbetriebsaufzeichnungen des Bundespolizei-Flugdienstes nicht die überflogenen Gemeinden, sondern lediglich Start- und Landeorte.“ Und zu den möglichen Fahndungserfolgen: „Angaben zu den von der Bundespolizei im Auftrag der jeweils zuständigen Landesjustizbehörden geführten Ermittlungsverfahren obliegen den jeweiligen Landesregierungen.“
Das heißt: Auch die Abgeordneten können jetzt von Pontius zu Pilatus rennen und mühsam die Puzzle-Teile zusammentragen, während die zuständigen Ämter sich nicht mal bemüßigt fühlen, über Einsätze und Einsatzerfolgsquoten zu berichten.
Und entsprechend hilf- und ratlos steht dann auch Leipzigs Verwaltung da, die noch ein bisschen versucht gute Miene zum rücksichtslosen Machtspiel der übergeordneten Behörden zu machen: „Zwischen Stadtverwaltung und Polizeidirektion Leipzig besteht ein gutes partnerschaftliches Verhältnis, welches insbesondere auf der gemeinsamen Kooperationsvereinbarung fußt. Dementsprechend findet ein regelmäßiger Informationsaustausch statt, auch zu besonderen Einsatzlagen. Herauszuheben ist hierbei das Zusammenwirken von gemeindlichen Vollzugsbediensteten und dem Polizeivollzugsdienst im Zuge der Begleitung von Versammlungslagen.“
Und? Ist Leipzigs Polizeidirektion (die nicht dem Leipziger OBM, sondern dem Sächsischen Innenminister untergeordnet ist) auf das Thema Hubschraubereinsätze ansprechbar?
Der Umweltbürgermeister: „In einer der letzten Führungsstabsitzungen des Kommunalen Präventionsrates wurde bereits über die Verhältnismäßigkeit der Einsatzflüge von Polizeihubschraubern diskutiert. Entscheidend für den Einsatz des Hilfsmittels Hubschrauber ist nach dem Sächsischen Polizeirecht die Verhältnismäßigkeit. Auf die Entscheidung, wann eine solche Verhältnismäßigkeit gegeben ist und der Einsatz von Hubschraubern erfolgen kann, hat die Stadtverwaltung keinen Einfluss.“
Polizeihubschrauber waren im ersten Halbjahr auch zehn Stunden lang zur Umweltüberwachung in der Luft
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