Die Besetzung der Ludwigstraße 71 hat so einiges ins Rollen gebracht. Auch wenn sich die Medien dann lieber wie wild auf die folgenden Demonstrationen und Gewalttätigkeiten stürzten. Was das Problem nicht aus der Welt schafft, auf das die Hausbesetzer aufmerksam machen wollten. Denn Tatsache ist: Der bezahlbare Wohnraum in Leipzig ist knapp geworden. Trotz Leerstands von rund 12.000 Wohnungen, wie jüngst eine Studie für die Stadt Leipzig ergab.

Die Studie wurde schon zum Jahreswechsel erstellt und ist im Grunde auch nur eine Stichprobe, die versucht, ein paar ausgewählte Befunde hochzurechnen auf die ganze Stadt. Erstellt wurde sie im Auftrag der Stadt Leipzig, um überhaupt einmal belastbares Datenmaterial für eine Leipziger Zweckentfremdungssatzung zu bekommen. Die gibt es noch nicht, auch wenn seit vier Jahren darüber debattiert wird. Denn dazu muss der Freistaat erst einmal ein Gesetz machen, das Kommunen die Aufstellung so einer Satzung erlaubt. Vorgesehen ist es im Koalitionsvertrag von CDU, Grünen und SPD.

Gefordert wird sie von mehreren Parteien, seit sich das Problem der vor allem als Ferienwohnungen zweckentfremdeten Wohnungen durch diverse Online-Plattformen verschärft hat. Und diese Umnutzung passiert nun einmal besonders dort, wo das Wohnumfeld sowieso schon besonders attraktiv ist und freie Wohnungen rar.

Was sich in Leipzig eben nicht mehr nur auf die City beschränkt, sondern auch zunehmend die umliegenden Ortsteile erfasst hat, in denen in den letzten zehn Jahren der einst gewaltige Leerstand wegschmolz wie Schnee in der Sonne.

Aber die Vorgänge in der Ludwigstraße 71 haben auch den Grünen wieder bewusst gemacht, dass Leipzig noch längst nicht alle Möglichkeiten nutzt, um leerstehende Wohnungen wieder verfügbar zu machen, betont ihr Fraktionsvorsitzender und wohnungspolitischer Sprecher, Dr. Tobias Peter.

Deswegen hat die Grünen-Fraktion jetzt zwei Stadtratsanträge formuliert, die die Verwaltung dazu bringen sollen, noch aktiver zu werden.

„Es ist ja nicht so, dass gar nichts gemacht worden wäre“, stellt Peter fest. Allein die Diskussionen um die Milieuschutzsatzungen und Kappungsgrenzen zeigen, dass die Stadt sehr wohl Lösungen sucht für das Problem fehlender Wohnungen einerseits und der Unbezahlbarkeit für Normal- und Geringverdiener andererseits.

Aber die Ludwigstraße 71 habe eben auch gezeigt, dass Leipzig seine Möglichkeiten, Leerstände tatsächlich zu erfassen und die Hausbesitzer in die Pflicht zu nehmen, nicht ausnutze.

Die Vorlage bezieht sich deshalb auch auf einen wichtigen Paragraphen aus dem Baugesetzbuch: „Leerstand konsequent begegnen – Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot nach § 177 BauGB durchsetzen“. Da steht tatsächlich, dass Immobilieneigentum auch verpflichtet. Was Kommunen das Recht gibt, Immobilieneigentümer auch in die Pflicht zu nehmen.

Aber das kann auch eine Stadtverwaltung nur, wenn sie überhaupt weiß, was wo und aus welchen Gründen leersteht. Deswegen reichen die stichprobenartigen Proben und Schätzungen zum Wohnungsleerstand in Leipzig nicht. Andere Städte sind da deutlich weiter, stellt Tobias Peter fest. Sie haben schon richtige Leerstandskataster, in denen jedes leerstehende Wohnhaus verzeichnet ist. Samt Eigentümer. Erst dann hat eine Stadt auch die Chance, mit den Eigentümern gemeinsam nach Wegen zu suchen, aus dem leeren Haus ein bewohntes zu machen.

Dafür müssten dann klare Richtlinien erarbeitet werden, die auch auflisten, was es an Kriterien, Fristen und Bußgeldern gibt, wenn ein Immobilienbesitzer tatsächlich nicht daran denkt, das Haus wieder dem Wohnungsmarkt zuzuführen. Und man habe durchaus auch daran gedacht, dass manche Hauseigentümer finanziell nicht in der Lage sein könnten, die Wohnungen wiederherzurichten.

Dafür müsste es logischerweise auch Beratung zu Fördermitteln geben. Ohne Beratung und Begleitung funktioniere so etwas nicht, so Peter. Auch dann nicht, wenn das Baudezernat jetzt ein richtiges Leerstandsmanagement auf die Beine stellt, also eine richtige Abteilung, die sich genau darum kümmert und mit den Hauseigentümern Wege sucht, das Haus wieder bewohnbar zu machen.

Aber was ist, wenn der Eigentümer gar nicht modernisieren und vermieten will und das Haus nur Spekulationsobjekt ist?

Dann sind den Kommunen nach heutigem Recht nach wie vor die Hände gebunden. Sie können zwar mit Satzungen die Möglichkeiten schaffen, auch Enteignungen und Vorkaufsrechte zu erwirken.

Aber um so ein Instrument tatsächlich anzuwenden, müsste der Bund die Rahmenbedingungen ändern. Weshalb der Grünen-Antrag den OBM als Präsident des Deutschen Städtetages beauftragt, sich dafür beim Bund einzusetzen.

Enteignungen oder gesetzlich durchsetzbare Vorkaufsrechte sind also noch Zukunftsmusik.

Und dasselbe gilt für die Einführung von Zweckentfremdungssatzungen.

Aber ein Leerstandsmanagement zum Beispiel direkt im Amt für Wohnungsbau und Stadterneuerung wäre ein praktikabler Ansatz, überhaupt erst einmal den Kontakt herzustellen zwischen der Stadt und den Besitzern leerstehender Häuser und mit ihnen gemeinsam Lösungen zu finden, wie jedes einzelne Haus wieder bewohnbar gemacht werden kann. Dabei könne es sich kurzfristig durchaus um bis zu 4.000 Wohnungen handeln, die wieder reaktiviert werden könnten, so Tobias Peter.

Und die Häuser würden aus dem Nebel der Anonymität kommen. Eigentlich auch nichts Neues für Leipzig. So ähnlich hat die Stadt in den 1990er Jahren schon beim Stadtumbau Ost operiert, um Häuser vor dem Verfall zu bewahren.

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Die neue „Leipziger Zeitung“ Nr. 83: Zwischen Ich und Wir

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