Mit Beginn des Corona-Shutdowns Ende März gingen auch viele Leipziger/-innen ins Homeoffice. Auch und vor allem bedingt dadurch, dass sie ihre Kinder nun zu Hause betreuen mussten. Aber Kinder kamen in der CDU-Anfrage zum Homeoffice in der Leipziger Stadtverwaltung nicht vor. Was schon eine Menge über die Illusionen erzählt, die wir uns heute über die schöne neue Arbeitswelt machen. Homeoffice wird ja gar als Arbeitswelt der Zukunft gehandelt.
Es ist ja nicht nur die CDU, die seltsame Vorstellungen vom Homeoffice hegt. Im April und Mai waren ja von allen möglichen Leuten wahre Hosianna-Gesänge auf das Homeoffice zu hören. So laut und beharrlich, dass sich die Bedenken der Gewerkschaften, die zu Recht eine weitere „Flexibilisierung“ der Arbeitswelt befürchten, genauso abgedrängt sahen wie die Tatsache, dass vor allem junge Erwerbstätige nun auf einmal alles zu Hause managen mussten – die digitale Arbeit und die Betreuung der Kinder. Viele sind geradezu verrückt geworden, weil nun eine Trennung von Familie und Arbeit überhaupt nicht mehr möglich war.
Und dazu kamen all die Probleme, die entstehen, wenn sich Arbeitskolleg/-innen nicht mehr sehen, wenn man Arbeitsprozesse nicht mehr abstimmen kann und wichtige menschliche Kontakte abbrechen. Dass Corona nach Ende des Shutdowns wieder um sich griff, hat nun einmal auch mit dem intensiven Bedürfnis von Menschen nach Nähe zu anderen Menschen zu tun.
Deswegen kann auch die Antwort aus dem Dezernat Allgemeine Verwaltung auf die CDU-Anfrage nur ein Blitzlicht sein. Eines, das auch davon erzählt, dass Homeoffice auch bei den Mitarbeiter/-innen in der Verwaltung nicht unbedingt ein weit verbreitetes Bedürfnis ist, auch wenn über 1.600 die Möglichkeiten im April und Mai dazu nutzten. Oder nutzen mussten, das gehört nun einmal zur Wahrheit.
„Während des coronabedingten Lockdown arbeiteten in vielen Bereichen der Wirtschaft Mitarbeiter in großer Zahl im sogenannten Homeoffice“, hatte die CDU-Fraktion festgestellt und dann elf Fragen eher zum technischen Teil des Homeoffice gestellt.
Die Kinder kamen dabei nur ganz indirekt vor in der Frage „Wie schätzen Sie nach den Erfahrungen der letzten Monate die Vorzüge und Risiken von vermehrter Homeoffice-Nutzung durch Beschäftigte der Stadtverwaltung ein (Mitarbeiterzufriedenheit, Vereinbarkeit Familie & Beruf, Versicherungsschutz)?“ vor.
Mit dem Ergebnis, dass auch das Verwaltungsdezernat die Kinderbetreuung komplett vergaß zu erwähnen, denn sie hätte unter die aufgezählten Nachteile gehört, die das Dezernat so auflistete:
– Der Koordinations- und Organisationsaufwand für die Führungskräfte wird als höher empfunden.
– Der persönliche Kontakt zwischen Beschäftigten und zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten fehlt. Dies schränkt die Mitarbeiterführung ein, erschwert Absprachen und Kommunikation und schwächt den Teamgedanken. Auch eine gegenseitige Unterstützung und das Aufgabenverständnis angrenzender Bereiche können verloren gehen.
– Teilweise kommt es auch zu Mehrbelastungen der Beschäftigten, die im Büro sind, da häufig ein persönlicher Kontakt zur Klärung von Fragen gesucht wird.
– Voraussetzung für Home-Office ist zudem ein geeignetes Zeit- und Selbstmanagement, um eine ausreichende Abgrenzung zwischen Privat- und Berufsleben an einem Ort zu leben. Nicht jede/-r Beschäftigte/-r ist aufgrund seiner Persönlichkeit, aber auch aufgrund der Arbeitsaufgaben für Homeoffice-Arbeiten geeignet.
– Kritisch ist darüber hinaus auch die Arbeitsumgebung im Hinblick auf die Arbeitssicherheit und Gesunderhaltung zu sehen. (Couch, Küchentisch und Terrassenmöbel bieten keinen ergonomischen Arbeitsplatz). Es müssen ergonomische Arbeitsplätze vorhanden sein.
Sie sehen es selbst: Die Kinder sind irgendwie unsichtbar geworden, obwohl Kinder bei den meisten Stadtangestellten, die im Frühjahr zu Hause blieben, der Hauptgrund fürs Zuhausebleiben gewesen sein dürften.
Sodass von den rund 7.500 Mitarbeiter/-innen der Verwaltung nur jede/-r Sechste die Möglichkeiten zum Homeoffice wahrnahm oder wahrnehmen konnte. „Im Zeitraum 16. März 2020 bis 31. Mai 2020 waren 1.615 Beschäftigte mindestens an einem Tag im Homeoffice tätig.“
Denn zu Recht fragte die CDU auch nach den technischen Ausstattungen, die auch ein Verwaltungsmitarbeiter braucht, um von zu Hause aus einigermaßen vernünftig arbeiten zu können. „Die Einmalkosten für einen mobilen Arbeitsplatz inkl. Dockingstation, Monitor, Tastatur, Maus, Headset betragen ca. 600 Euro pro Arbeitsplatz. Die laufenden Kosten pro Jahr für einen mobilen Arbeitsplatz als PC-Ersatz inkl. Token betragen ca. 2.650 Euro“, rechnet das Verwaltungsdezernat vor.
Wobei die Ausstattung mit Mobilgeräten sogar bevorzugt zu werden scheint, denn danach scheinen die Rathausmitarbeiter/-innen auch im Shutdown gezielt gefragt zu haben. Denn, so das Verwaltungsdezernat: „Der Anteil an mobilen Endgeräten (Tablets/Laptops) wurde kurzfristig erhöht (von 1.200 im Februar 2020 auf ca. 1.600 Geräte).“
Womit der aktuelle Bedarf wohl relativ genau erfasst wurde.
Wie hoch der tatsächliche und künftige Bedarf – also Wunsch – der Angestellten ist, flexibel auch einmal im Homeoffice arbeiten zu können, dazu gibt es zwar keine aktuelle Erhebung aus der Corona-Zeit. Aber mit dieser zusätzlichen Möglichkeit auch in der Arbeitsplatzbeschreibung beschäftigt sich Leipzigs Verwaltung schon länger. Deswegen wurde das Thema auch in der letzten Mitarbeiter/-innenbefragung abgefragt.
Das Ergebnis vom März 2019: „In der Mitarbeiterbefragung, die in der Stadtverwaltung im März 2019 durchgeführt wurde, wurden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gefragt, ob es ihnen helfen würde, wenn sie ,zeitweise Arbeit von zu Hause erledigen‘ können. Von den 2.788 Teilnehmerinnen an dieser Frage antworteten 1.078 mit ,trifft völlig zu‘. Das entspricht einem Anteil von 38,7 Prozent. 534 Befragte gaben an, dass dies eher zutrifft (entspricht einem Anteil von 19,2 %). Insgesamt gaben also 57,9 % der Befragten an, dass es ihnen helfen würde, wenn sie zeitweise Arbeit von zu Hause erledigen könnten.“
Homeoffice wäre also für etwas mehr als die Hälfte der Beschäftigten eine Ergänzung zur normalen Präsenzarbeit. Es könnte bei familiären Problemen helfen, aber auch konzentrierte Arbeit ermöglichen, wenn das im Büro nicht möglich ist oder besonders knifflige Projekte anstehen.
Eine Lösung für den Raumbedarf der Verwaltung ist es nicht, auch wenn die CDU meinte, dass man ja durch mehr Homeoffice zum Beispiel „Miete für benötigte Büroflächen“ einsparen könnte. Was sich ziemlich bald als illusorisch erweisen dürfte, wenn Bundesarbeitsminister Hubertus Heil neue gesetzliche Regelungen zum Homeoffice vorlegt. Denn wenn Arbeitgeber so im Büro sparen, müssen sie logischerweise den Extra-Aufwand fürs Homeoffice auch extra vergüten. Dazu gehören nicht nur die Technik, sondern auch anteilige Miete und Nebenkosten.
Und auch die eingesparten Wege zur Arbeit tragen nichts zur Kostenminimierung bei. Wobei die CDU-Fraktion hier ja einen hübschen CO2-Einspareffekt sah.
Aber die CO2-Einsparungen wären minimal, wie das Verwaltungsdezernat vorrechnet: Wenn alle 2.800 Mitarbeiter/-innen, die sich Homeoffice vorstellen können, auch Homeoffice machen, werden aufs Jahr gerechnet ganze 840 Tonnen CO2 eingespart. Im Vergleich zum „ganzjährigen Treibhausgasausstoß des Leipziger Verkehrssektors“, der 2017 bei 769.514 Tonnen lag, also eine wirklich winzige Einsparung.
Viel mehr Potenzial sieht die Verwaltung da an ganz anderer Stelle: „Dieser klimapolitische Effekt lässt sich durch den Umstieg auf das Fahrrad mit positiven Nebenwirkungen für die Gesundheit, Stressresistenz und öffentliche Vorbildwirkung ebenso realisieren.“
Also ein gewichtiger Grund, die Radwegebeziehungen rund um die Innenstadt endlich deutlich zu verbessern und mehr Fahrradbügel vor und hinter das Rathaus zu stellen.
Und wozu wäre das Homeoffice dann gut? „Die Stärkung von Homeoffice-Möglichkeiten ist vielmehr aus Gründen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie des vorsorgenden Gesundheitsschutzes im Pandemiefall geboten“, schätzt das Verwaltungsdezernat ein. „Wirksamer Klimaschutz lässt sich durch umfassende Maßnahmen zur Einleitung und Umsetzung einer urbanen Mobilitätswende effizienter und gerechter für die gesamte Stadtbevölkerung erreichen.“
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