Man hätte es eigentlich nicht erwartet, dass sich um diesen Freibeuter-Antrag am 16. September in der Ratsversammlung doch noch mal eine halbstündige Debatte entspinnt, denn eigentlich war das Abschleppen verkehrsgefährdend geparkter Fahrzeuge schon 2019 ausführlich im Stadtrat diskutiert worden. Aber im Februar hatte die Feibeuter-Fraktion nicht das Gefühl, dass sich irgendetwas geändert hätte.
Und im Juli auch nicht. Da war Leipzig ja gerade aus dem Corona-Schlaf erwacht, was eben auch bedeutete, dass auf einmal wieder lauter Fahrzeuge da standen, wo sie nach StVO nicht hingehörten. Übrigens nicht nur auf Radwegen, was ja zumeist das Hauptthema in der Diskussion war. Sie stehen auf Kreuzungen (wo sie vor allem Fußgänger gefährden, aber genauso Radfahrer und Autofahrer, die nur nicht blind auf die Kreuzung fahren können), auf Fußwegen, auf Gehwegnasen, vor Parkbuchten.
Der Freibeuter-Antrag, hier endlich zu handeln, wanderte durch die Tagesordnungen, weil die Freibeuter auch noch auf das Gutachten warteten, das die Stadtverwaltung 2019 versprochen hatte: Was ist gesetzlich als Rahmen gesetzt, in dem die Stadt falsch geparkte Fahrzeuge abschleppen darf?
Für Thomas Köhler (Piraten), der am Mittwoch, 16. September, für die Freibeuter sprach, ist das klar geregelt in der StVO: Wo Fahrzeuge den Verkehr gefährden (so auch auf Kreuzungen) sind sie sofort zu entfernen. Und wo es Ermessensspielräume gibt, ist die Maximalzeit auf 3 Minuten begrenzt.
Nicht nur er wurde am Mittwoch sehr emotional. Ebenso emotional wurden Norman Volger (Grüne) und Köhlers Fraktionskollege Sven Morlok (FDP), der feststellte, Leipzig sei „tatsächlich keinen Schritt weiter“ als zur Diskussion vor anderthalb Jahren.
Köhler: „Ordnungspolitisch hat die Stadt bereits kapituliert.“
Von den Beschlüssen des Stadtrats im Jahr 2019 sei nichts umgesetzt, so Norman Volger.
Doch, erwiderte der zuständige (und frisch wiedergewählte) Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal. Allein 2020 seien in Leipzig schon 3.888 Fahrzeuge abgeschleppt worden, weil sie widerrechtlich abgestellt worden seien – die meisten aus Feuerwehrzufahrten. Darunter aber auch 250 Falschparker von Radwegen.
Aus Volgers Sicht verdammt wenige. Er zog in seinem Redebeitrag die Zahlen der Vorjahre 2016 bis 2018 zum Vergleich heran: 11.500 Knöllchen wurden da verteilt und 100 Fahrzeuge angeschleppt – in drei Jahren.
So gesehen hat Rosenthal recht: Es wird 2020 schon deutlich mehr sanktioniert auf Leipzigs Straßen. Und dass man nicht alle Falschparker erwische, sei nun einmal statistisch begründbar: Eine überschaubare Zahl von Ordnungsdienstmitarbeiter/-innen muss zum richtigen Zeitpunkt vor Ort sein. Was nicht flächendeckend möglich ist, da sie immer nur Straßenabschnitte nach und nach abarbeiten können.
Ein Argument, das Thomas Köhler so nicht stehenlassen wollte. Im ganzen Stadtgebiet findet man zugeparkte Kreuzungen und parkende Autos in zweiter Reihe, die dort tage- und nächtelang stehen.
Trotzdem, so mahnte OBM Burkhard Jung, sei der zweite Satz des Antrags rechtswidrig: Das Abschleppen von Radwegen könne gegenüber anderen Ordnungsmaßnahmen nicht priorisiert werden.
Trotzdem freute sich Thomas Köhler hinterher, denn der Freibeuter-Antrag wurde angenommen. Die einzige Fraktion, die wieder eine seltsame Pirouette drehte, war die AfD-Fraktion, die meinte, dem Verwaltungsstandpunkt zustimmen zu müssen – der aber am Ende gar nicht zur Abstimmung stand.
Und so wurde die Forderung der Fraktion Freibeuter nach Abschleppen von falsch geparkten Fahrzeugen im fließenden Verkehr von der Mehrheit der Ratsversammlung am 16. September 2020 bestätigt. Danach wurde der Oberbürgermeister mit Beschluss des entsprechenden Antrags beauftragt, ein Konzept für die Ertüchtigung des Ordnungsamtes zur strikten Durchsetzung des § 12 StVO, unter besonderer Beachtung des Falschparkens auf Gleisanlagen und an Bushaltestellen der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB), an Radfahrstreifen, Fußgängerübergängen und sonstigen Gefahrenstellen, zu erarbeiten.
Dazu Piraten-Stadtrat Thomas Köhler, der die Freibeuter-Fraktion auch im Fachausschuss Umwelt und Ordnung vertritt: „Von im fließenden Verkehr geparkten Fahrzeugen geht eine erhebliche Verkehrsgefährdung für Fußgänger, besonders Kinder und Menschen mit Behinderungen, sowie Radfahrer und Autofahrer aus. Falsch Parken im fließenden Verkehr darf vom Ordnungsamt nicht eher geduldet werden als im ruhenden Verkehr. Hartnäckigkeit im Sinne der Verkehrssicherheit zahlt sich aus.“
Mit Blick auf die Verwaltung, die auch nach Jahren den dringenden Handlungsbedarf negiere, das Abschleppen als verhältnismäßiges Mittel sogar ablehne, zeigt sich Köhler – bestärkt durch die Mehrheit des Stadtrates – optimistisch: „Wir gehen davon aus, dass die Umsetzung des Beschlusses und damit die Durchsetzung des geltenden Rechts § 12 StVO, unzulässiges Halten und Parken, rechtskonform möglich ist.“
Die Einschätzung Köhlers deckt sich mit den „vier Vorschlägen(n) für einen sicheren Fußverkehr“ des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR). Dort heißt es unter Punkt 4: „Kreuzungsbereiche frei halten, Sichtbeziehungen verbessern. Damit sich Fußverkehr und Kfz-Führende an Kreuzungen besser sehen und in kritischen Situationen entsprechend handeln können, müssen Kreuzungsbereiche konsequent von parkenden Fahrzeugen freigehalten werden. Dazu sind Kommunen gefordert, falschparkende Kfz konsequent abzuschleppen, Poller und Fahrradbügel aufzustellen sowie bauliche Maßnahmen wie vorgezogene Fahrbahnränder zu nutzen.“
Das längst fertiggestellte Gutachten, das Heiko Rosenthal angekündigt hatte, soll nun endlich im Umweltausschuss vorgestellt werden.
Und weil ein Satz im Freibeuter-Antrag möglicherweise nicht rechtskonform ist, beantragte Sören Pellmann (Linke), den Antrag satzweise abzustimmen.
Das Ergebnis war trotzdem eindeutig.
Für den ersten Satz – „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, bis Ende II. Quartal 2020 ein Konzept für die Ertüchtigung des Ordnungsamtes zur strikten Durchsetzung des § 12 StVO, unter besonderer Beachtung des Falschparkens auf Gleisanlagen und Bushaltestellen der LVB, Radfahrstreifen, Fußgängerübergängen und sonstigen Gefahrenstellen, zu erarbeiten.“ – gab es 52 Ja-Stimmen, 6 Gegenstimmen und eine Enthaltung. Eine Änderung wurde noch eingefügt: Das zweite Quartal ist ja längst vorbei. Jetzt gilt das vierte Quartal als Liefertermin.
Und der zweite Satz – „Für eine Freihaltung der genannten Stellen ist bevorzugt das Abschleppen der Fahrzeuge, als angemessene Maßnahme, zu wählen.“ – bekam trotz Mahnung noch 34: 23 : 3 Stimmen. Was auch ein Stück weit mit dem zunehmenden Groll der Stadträt/-innen zu tun hat, dass Leipzig beim Vorgehen gegen notorische Falschparker bisher immer mit zweierlei Maß gemessen hat und dabei massive Verkehrsgefährdungen überall im Stadtgebiet regelrecht geduldet hat.
Jetzt sind die Radwege endlich in den Fokus der Ordnungshüter geraten. Aber bei zugeparkten Kreuzungen und Parken in zweiter Reihe hat sich noch nicht viel getan, obwohl hier die Gefährdungen mindestens genauso hoch sind.
Die Debatte vom 16. September 2020 im Stadtrat
Video: Livestream der Stadt Leipzig
Ökolöwe fordert härtere Gangart beim Abschleppen falsch geparkter Fahrzeuge in Leipzig
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Fehlender Wille: Halten, Parken und Abschleppen in Leipzig + Video
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