Es kam wie erwartet: Leipzig kommt nicht wirklich oft in die รผberregionalen Nachrichten. Aber als am Samstag, 5. September, in Connewitz wieder Steine flogen, waren die รผberregionalen Medien sofort wieder begeistert dabei, โ€žRandaleโ€œ-Geschichten zu schreiben und die Stimmung anzuheizen und die in Leipzig politisch Verantwortlichen zu Distanzierungs-Statements aufzufordern. Distanzieren Sie sich von den linksextremistischen Krawallen? - Jede Lรคcherlichkeit ist noch steigerbar. Am Dienstag, 8. September, ging es dann nur scheinbar wieder um Randale.

Da luden OBM und Polizeiprรคsident nach all dem Geschrei kurzerhand zur Pressekonferenz ins Neue Rathaus โ€“ und wieder waren sie alle da, alle die auf Krawall versessenen รผberregionalen Medien. Auch weil die Stadt mit einer markanten Ankรผndigung eingeladen hatte: โ€žOberbรผrgermeister Burkhard Jung und Polizeiprรคsident Torsten Schultze werden sich im Pressegesprรคch zu den Vorfรคllen der letzten Tage รคuรŸern und skizzieren, welche Konsequenzen sich daraus fรผr die Zukunft ergeben.โ€œ

Das war ein zumindest seltsamer Ton, der einen an ganz vergangene Zeiten erinnert. Welche Konsequenzen sollten das sein?

Gar keine. Das wurde klar, als Burkhard Jung genau danach gefragt wurde. Da war schon eine knappe Stunde mit der Schilderung all der bekannten Erlรคuterungen vertan worden, wie Stadt und Polizei das Versammlungsrecht und die Meinungsfreiheit schรผtzen mรผssen. Selbst dann, wenn es unangemeldete Demonstrationen sind wie am Freitag und Samstag nach der Rรคumung des Hauses LudwigstraรŸe 71.

Pressenkonferenz am 8. September 2020 mit OB Burkhard Jung, Polizeiprรคsident Torsten Schultze und Ordnungsdezernent Heiko Rosenthal. Foto: L-IZ.de
Pressekonferenz am 8. September 2020 mit OB Burkhard Jung, Polizeiprรคsident Torsten Schultze und Ordnungsdezernent Heiko Rosenthal. Foto: L-IZ.de

Demonstrationen, die die volle Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Und so langsam verfestigt sich der Eindruck, dass es genau darum ging. So wie die Rechtsradikalen mit dem โ€žSturmโ€œ auf die Treppe des Reichstages die Medienbilder erzwangen, die sie haben wollten, so erzwingen linke Autonome immer wieder die Fokussierung auf ihre ausufernden Aktionen, die meist blitzschnell รผber die Bรผhne gehen, Sachschรคden und verletzte Polizisten zurรผcklassen und in kurzer Zeit ist alles vorbei.

Wie auch Torsten Schultze, Leipzigs Polizeiprรคsident, am Dienstag bestรคtigte. Am Freitag, 4. September, war die Sache nach 40 Minuten vorbei, am Samstag (obwohl das diesmal eine angemeldete Demonstration war) nach 13 Minuten, als es zu ersten Gewalthandlungen kam. Aber wer wurde da eigentlich gewalttรคtig?

Torsten Schultze geht davon aus, dass es zum grรถรŸten Teil in Leipzig heimische Autonome waren, deren Zahl der Sรคchsische Verfassungsschutz auf 250 schรคtzt. Einige treten bei solchen StraรŸenkrawallen in Erscheinung, so Schultze, andere wirken konspirativ โ€žund verรผben zum Beispiel Anschlรคge auf Baumaschinenโ€œ.

Dass alle diese Aktionen irgendeinen Effekt haben โ€“ zum Beispiel fรผr eine bessere Wohnungspolitik โ€“, bezweifelt nicht nur Burkhard Jung, der diese gewalttรคtigen Ausschreitungen auch als Versuch sieht, ein Thema zu okkupieren, mit dem sich andere Akteure in der Stadt seit Jahren ernsthaft beschรคftigen. Ein Bemรผhen, das durch die Bilder der Gewalt vรถllig desavouiert wird.

Bilder von Gewalt verstellen die tatsรคchlichen Probleme am Leipziger Wohnungsmarkt

Da versucht die Stadt Leipzig den Freistaat dazu zu bringen, den sozialen Wohnungsbau viel stรคrker zu unterstรผtzen als bisher. Auch Jung ist bewusst, dass die steigenden Mietpreise bei Neuvermietung vor allem jene Leipziger/-innen treffen, die nur unterdurchschnittlich verdienen. โ€žIch verstehe die Angstโ€œ, sagte er. โ€žIch verstehe die Sorgen.โ€œ

Denn gebaut wird vor allem nur im hochpreisigen Segment. 10 bis 15 Euro je Quadratmeter kalt, das kรถnnen sich die allerwenigsten Leipziger leisten. Das weiรŸ auch Jung, der die Durchschnittsmieten bei 5,80 Euro derzeit taxiert.

Aber auch der Sozialwohnungsbau geht nicht so schnell voran wie gewรผnscht: 10.000 Sozialwohnungen braucht Leipzig. Erst 900 sind fertig geworden. Weil das allein nicht reicht, beschรคftige man sich mit Milieuschutzsatzungen und Kappungsgrenzen. Und im Bรผndnis fรผr bezahlbares Wohnen suche man mit den Wohnungsmarktakteuren gemeinsam nach Wegen, in Leipzig รผber โ€žfreiwillige, aber verbindliche Vereinbarungenโ€œ mehr bezahlbaren Wohnraum zu sichern und zu schaffen.

Aber ihm sind die Hรคnde gebunden. So wie allen Bรผrgermeistern in Deutschland. Denn gegen Spekulation und spekulativen Leerstand kรถnnen sich Stรคdte in Deutschland nicht wehren. Jung zitierte am Dienstag ganz bewusst die Grundgesetzformel โ€žEigentum verpflichtetโ€œ. Aber Stรคdte haben kaum eine Handhabe, wenn Besitzer ihre Wohnhรคuser รผber Jahre leerstehen lassen, wenn die Hรคuser nur noch als Steuersparmodell immer weiterverkauft werden. Oder riesige Brachflรคchen mit jedem Verkauf immer teurer und damit Boden- und Mietpreise kรผnstlich in die Hรถhe gejazzt werden.

Wann schafft der Bund die gesetzliche Grundlage, Immobilienspekulation zu beenden?

Burkhard Jung war auch nach der PK noch von Medien umringt und betonte die Bemรผhungen der Stadt um Dialog (siehe Video). Foto: L-IZ.de
Burkhard Jung war auch nach der PK noch von Medien umringt und betonte die Bemรผhungen der Stadt um Dialog (siehe Video). Foto: L-IZ.de

Da stand natรผrlich wieder das Dauerproblem der groรŸen Brachen am Bayerischen Bahnhof und am Eutritzscher Freiladebahnhof im Raum: Warum hat Leipzig die Flรคchen nicht selbst gekauft? Gab es denn kein Vorkaufsrecht? โ€žDas Vorkaufsrecht ist ein stumpfes Schwertโ€œ, sagte Jung. Die Hรผrden nachzuweisen, dass eine Stadt genau die beanspruchte Flรคche braucht, um dort Schulen hinzubauen, seien so hoch, dass kaum eine Chance besteht, das auch durchzusetzen.

Ergebnis: Die Flรคchen gehen fรผr relativ wenig Geld an private Kรคufer und die Stรคdte kรถnnen zuschauen, wie die Preise steigen und รผber Jahre nichts geschieht. Dasselbe Problem haben Stรคdte, wenn es um spekulativen Leerstand geht. รœber den Stรคdtetag bemรผhe er sich sehr wohl um eine ร„nderung der Bundesgesetzgebung, so Jung. Denn wirksam kรถnnen Stรคdte erst werden, wenn sie Immobilieneigentรผmer dazu verpflichten kรถnnen, die Wohnhรคuser auch fรผr Wohnzwecke nutzbar zu machen.

Die Wirklichkeit heute sieht so aus, dass der Eigentรผmer eine Hausbesetzung nur anzeigen muss, und die Polizei muss tรคtig werden und das Haus berรคumen. Der Besitzer will ja sein Eigentum wieder ganz in Verfรผgung haben. Vielleicht fรผr die nรคchsten 20 Jahre Leerstand.

Leipzig habe zwar noch nicht die Wohnungsmarktverwerfungen wie in anderen deutschem Stรคdten, so Jung. Aber auch hier zeigen Leerstand und Bodenspekulation inzwischen, dass hier dieselbe Schieflage der Gesetzgebung wirksam wird. Der Kommune werden die Handlungsmรถglichkeiten entzogen โ€“ auch wenn Leipzig sich mit kommunalen Akteuren bemรผht, eigene Neubaugebiete in Paunsdorf (Kiebitzmark) und Bรถhlitz-Ehrenberg zu erschlieรŸen.

Leipzig wรคchst nicht mehr

Aber schon jetzt dรคmpft der eng gewordene Mietwohnungsmarkt den Zuzug nach Leipzig. Corona hat die Umzugsbewegungen sogar fast zum Erliegen gebracht. โ€žIn den letzten sieben Monaten ist Leipzig nicht mehr gewachsenโ€œ, so Jung.

Aber die Tatsache, dass es kaum noch freie Wohnungsangebote im preiswerten Segment gibt, fรผhrt auch dazu, dass jetzt viele Leipziger/-innen versuchen werden, in ihrer alten Wohnung zu bleiben, egal, ob sie inzwischen zu groรŸ geworden ist.

Und wo sind nun die Konsequenzen?

Auch Torsten Schultze konnte nur betonen, dass die Polizei sich auch bei unangemeldeten Demonstrationen an Recht und Gesetz halten muss, auch wenn er mit etwas mehr Nachdruck betonte, dass die Polizei das Recht auch durchsetzen mรผsse. Aber niemand kann das Demonstrieren verbieten, auch keine nicht angemeldeten Demonstrationen. Auch wenn die Versammlungsleiter in der Pflicht stehen, dafรผr zu sorgen, dass die Auflagen auch eingehalten werden.

Viel wichtiger, so betonte auch er, sei die Kommunikation. Und so sieht es auch Burkhard Jung, der in Stadtteilgesprรคchen das grรถรŸte Potenzial sieht, die Probleme vor Ort anzusprechen und gemeinsam mit Bรผrgern, Initiativen und Vereinen Lรถsungen zu finden. Auch in Connewitz, wo es schon eine solche Stadtteilversammlung gab.

Und er ist auch nicht allein, wenn er betont, dass die eigentlich wichtigen Themen (und der bezahlbare Wohnungsmarkt gehรถrt dazu) von den Gewalttรคtern zu trennen seien, die diese Themen ja mit ihren Aktionen medial besetzen โ€“ aber nicht den Ansatz einer Lรถsung zu bieten haben. Ganz zu schweigen davon, dass sie in Connewitz gerade dabei sind, auch die jahrelange stillschweigende Unterstรผtzung der Bewohner zu verlieren.

Und damit auch den medialen Ruf, ihre Aktionen wรผrden fรผr ganz Connewitz sprechen. Was sie schon lange nicht mehr tun. Im Gegenteil: Sie bedienen die plattesten medialen Klischees und bestรคtigen die grรถbsten Vorurteile. Und geben genau jenen Leuten Futter, die nur zu gern mit dem Finger auf โ€ždiese Linksextremen in Connewitzโ€œ zeigen.

โ€žEs kann nicht sein, dass ein ganzer Stadtteil stigmatisiert wirdโ€œ, sagt Burkhard Jung. Er sieht das Problem aber nicht nur in Connewitz. Stadtteilgesprรคche soll es auch in anderen Leipziger Ortsteilen geben. Auch mit Beteiligung der jeweiligen Revierleiter der Polizei, so Schultze. Denn deeskalieren kann man nur, wenn man miteinander kommuniziert.

Was noch nicht die Probleme am Wohnungsmarkt lรถst. Die werden sich eher noch zuspitzen, wenn der Bund die Gesetzeslage nicht gravierend รคndert.

Die Konsequenzen, die angekรผndigt wurden, sind also genau die, รผber die der Stadtrat nun schon mehrfach diskutiert hat: Stadtteilgesprรคche und mehr Kommunikation mit den Einwohnern vor Ort. Punkt.

Mehr ist rechtlich gar nicht drin.

Und die aus allen Himmelsrichtungen angereisten Medien bekamen einfach nicht die erwartete Fortsetzung der Krawallgeschichte. Was keiner wissen wollte und durch eine L-IZ-Frage am Rande klar wurde: von den Beamten, die in diesen Tagen im Einsatz waren, ist keiner schwer verletzt. Die Konferenz selbst endete mit dem Hinweis auf den nรคchsten Samstag, wo in Leipzig jene Demonstration stattfinden soll, die sich ursprรผnglich gegen den geplanten (und mittlerweile abgesagten) EU-China-Gipfel gerichtet hat. 800 Teilnehmer/-innen sind angekรผndigt. Ob es vielleicht mehr werden, kann auch Torsten Schultze noch nicht sagen.

Auszรผge von der Pressekonferenz am 8. September 2020

Video: L-IZ.de

Warum die Randale-Meldungen aus Leipzig einmal mehr den Blick auf die Ursachen der Wohnungsprobleme verkleistern

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Es gibt 7 Kommentare

Diskutieren zwei AfD-Wรคhler รผber Zuzug und Durchmischungโ€ฆ
Danke, genug gelesen!

Liegt das Problem nicht eher darin, dass diejenigen, die jetzt in der Stadt in ihren Vierteln leben und sich dort seit Jahren, wenn nicht lรคnger, ihre Leben aufgebaut haben, ihre Heimat verlieren und stattdessen nun Leute dort hinziehen, die es sich ja leisten kรถnnen?

Also die Leipziger werden quasi aus ihrer Stadt vertrieben und gut Betuchte von sonstwoher ersetzen sie dann.

Wenn รผberhaupt: es gibt auch andere Stรคdte, wo reiche Anleger zwar Wohnungen haben als Anlage, die Wohnungen stehen aber rein faktisch leer oder werden hochpreisig an Touristen mit entsprechendem Geldbeutel vermietet.

Ich glaube, in Amsterdam ist es schon so.

So entstehen Geisterstรคdte ohne wirkliches Leben.

Dagegen hilft auch kein guter Nahverkehr mehr. Klar kann man auch in Borna leben, aber die Heimatstadt ist dann eben langfristig sozial gesehen im Eimer und reines Anlageobjekt fรผr sehr Wohlhabende.

Sehen sie Mathias, genau das ist das Problem. In einem anderen Beitrag dieser Zeitung wurde auf ein Neubauprojekt in Bรถhlitz-Ehrenberg verwiesen. Dort entstehen aber Hรคuser auf wertvollen Ackerland. Bis wohin soll die Stadt sich noch ausdehnen? Andernorts stehen die Hรคuser schon. Und mit einem guten Nahverkehr ist man auch schnell in der City.

Aber Lutz, wer soll denn da hin ziehen? Sie nicht, ich nicht, wer also? Impliziert wird: Zuzรผgler sollen nicht mehr kommen, sondern dorthin gehen. Achso, wer Geld mitbringt, kann natรผrlich immer dahin gehen, wo er oder sie will. Und so haben wir uns schรถn einmal im Kreis gedreht.

Fรผr Abschottung bin ich nicht, aber wollen Sie jede Ecke zubauen? Noch mehr Grรผnflรคchen vernichten? Und ein paar Kilometer weiter stehen Wohnungen leer, Kita-Plรคtze vorhanden und Schulen mรผssen nicht neu gebaut werden. Von Borna, Geithain รผber Bad Lausick bis Eilenburg usw.

Nein, die Stadt kann nie voll sein! Sind Sie etwa fรผr Abschottung?!
Leave no one behind!
Wir haben genug Platz!

Permanentes Wachstum einer Stadt ist auch nicht gut. In den angrenzenden Landkreisen gibt es noch reichlich Platz fรผr Neubauten bzw. leere Wohnungen. Wenn eine Stadt voll ist, ist sie halt voll. Nahverkehr ausbauen ist viel wichtiger.

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