Seit zwei Jahren wird gerungen um die künftige Zusammensetzung des Leipziger Migrantenbeirats. Der amtierende Beirat sah es als leicht zu ermöglichen an, alle 16 migrantischen Mitglieder des Beirats durch Wahlen unter den Leipziger Migranten zu legitimieren. Aber ganz so einfach ist es nicht. Denn Migranten in Deutschland haben teils völlig verschiedene Aufenthaltsrechte – und damit auch unterschiedliche Rechte, an Wahlen teilzunehmen. Eine Petition wollte jetzt die schwer errungenen Kompromisse wieder auflösen. Verwaltungsbürgermeister Ulrich Höning erklärt, warum das nicht geht.
„Seit mehr als 25 Jahren kämpfen wir für die Schaffung eines starken durch die Migrant/-innen gewählten und damit legitimierten Migrantenbeirat in der Stadt Leipzig. Der Stadtrat hat im Jahr 2008 einen Beschluss zur Bildung eines Migrantenbeirats mit ernannten Mitgliedern verabschiedet und im Jahre 2014 diese Entscheidung dahingehend präzisiert, dass die Mitglieder dieses Rates mit Migrationshintergrund durch alle Migrant/-innen gewählt werden“, heißt es in der Petition.
„Seitdem währt die Debatte um die Ausgestaltung des Wahlverfahrens. Im Jahre 2018 legte der Migrantenbeirat einen entsprechenden Verfahrensvorschlag vor. Die Stadtverwaltung schlägt dagegen vor, dass nur die Hälfte der migrantischen Mitglieder – die Menschen ohne deutschen Pass – gewählt werden sollen. Die Eingebürgerten dagegen sollen weiter ernannt, sprich von der Verwaltung ausgewählt werden.“
Genau da liegt der Hase im Pfeffer. Auch soll gar nicht nur die Hälfte der migrantischen Plätze durch Wahl besetzt werden. Der aktuelle Verfahrensvorschlag sieht zehn durch Wahl zu besetzende Plätze vor.
Dass es dabei um die rechtlichen Möglichkeiten, die sich mit dem Aufenthaltsstatus verbinden, geht, erläutert das Verwaltungsdezernat so: „Der Petent begehrt die (direkte) Wahl aller Nicht-Fraktions-Mitglieder des Migrantenbeirats. Dies steht im Gegensatz zu den rechtlichen Vorgaben. Aufgrund von §47 der Sächsischen Gemeindeordnung ist eine direkte Wahl von Beiratsmitgliedern ausgeschlossen. Aus diesem Grund hat die Verwaltung lediglich die Möglichkeit, der Ratsversammlung eine Vorschlagsliste vorzulegen. Die Mitglieder werden dann – wie bisher auch – von der Ratsversammlung berufen.
Das jetzt von der Verwaltung entwickelte Verfahren (VI-DS-06063-DS-01-NF-03) verändert das bisher geplante Auswahlverfahren dahingehend, dass nun nicht mehr 16 Mitglieder über eine Bewerbung auf die Vorschlagsliste gelangen, sondern 10 Mitglieder durch die migrantische Community per indirekter (Online-)Wahl gewählt werden können (Säule 1). Die so gewählten Kandidat/-innen werden in Form einer Liste anschließend der Ratsversammlung zur Berufung vorgeschlagen.
Weitere 6 Mitglieder werden durch die Verwaltung über ein Berufungsverfahren (Säule 2) mit festgesetzten und transparenten Kriterien zur Auswahl durch die Ratsversammlung vorgeschlagen. Für dieses Bewerberverfahren können sich in der jetzt vorliegenden Fassung der Vorlage (NF-03) neben Eingebürgerten und Deutschen mit (selbst erklärtem) Migrationshintergrund auch Ausländerinnen und Ausländer bewerben.“
Und warum dürfen „Eingebürgerte“ nicht an der Online-Wahl teilnehmen?
Die Antwort lautet tatsächlich: Das kann man im Melderegister so nicht auslesen – anders etwa als in den USA. Was übrigens auch Diskriminierungen verhindert. Wer eingebürgert ist, hat die vollen Rechte als Staatsbürger, kann also auch direkt an der Wahl zum Stadtrat teilnehmen.
„Die vom Einreicher geforderte Wahlmöglichkeit für Deutsche mit Migrationshintergrund würde bedeuten, dass zur Aufstellung in einer obligatorischen Wählerliste das Merkmal ,Migrationshintergrund‘ in einer offiziellen Datensammlung festgehalten werden müsste, da das Merkmal ,Migrationshintergrund‘ nicht dementsprechend verarbeitet wird. Eine entsprechende Datenverarbeitung ist nicht im Sinne der Verwaltung“, betont der Verwaltungsbürgermeister.
Und es ist wohl auch nicht im Sinn einer freien Gesellschaft, in der niemand aufgrund seiner Herkunft benachteiligt werden darf. Also werden solche Merkmale auch nicht im Melderegister festgehalten.
Und noch eins ist dem Verwaltungsbürgermeister wichtig: „Die Säule 2 hat darüber hinaus ausgleichende Funktion. Da das Wahlergebnis der Online-Wahl (Säule 1) nicht vorhersehbar ist, kann hier im Sinne von Qualifikation, Motivation und Heterogenität auf der Basis der beschlossenen Auswahlkriterien ausgeglichen werden. Der vom Petenten geforderte Verzicht auf Säule 2 könnte zur Folge haben, dass die gewählten Mitglieder nur wenige Herkunftsregionen oder nur eine bestimmte Altersstruktur abbilden und die angestrebte ausgeglichene Geschlechterverteilung nicht widerspiegeln.
Eine solche einseitige Vorschlagliste würde unserer Meinung nach noch eher zur Spaltung der Migrant/-innen führen, da nicht alle in der Stadtgesellschaft vertretenen Herkunftsregionen, Altersgruppen, Geschlechter oder Berufsgruppen abgebildet würden. Die Ratsversammlung hätte nicht die Möglichkeit anhand einer solchen Vorschlagsliste entsprechend ausgleichend zu wirken und müsste ggf. selbst nach geeigneten Kandidat/-innen suchen.“
Der Migrantenbeirat ist ein nach der Hauptsatzung der Stadt Leipzig (§21) eingerichteter Beirat, der – wie alle Fachbeiräte – die Aufgabe hat, Stadtrat und Stadtverwaltung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen und dabei zu Themen im Bereich Migration und Integration zu beraten.
„Die Mitglieder sind in diesem Sinne keine Vertretung mit durch ein Wahl-Mandat legitimierten parlamentarischen Funktionen“, betont das Verwaltungsdezernat. Das heißt: Die Wahl der Mitglieder des Migrantenbeirats dient vor allem dazu, dem Migrantenbeirat mehr Rückhalt in den Communities zu geben, die gewählten Mitglieder bekannter zu machen und auch – wie beim Jugendbeirat – bei den Wähler/-innen das Gefühl zu stärken, dass ihr Interesse an der Stadtpolitik gewünscht ist.
Schon in der Vergangenheit hat sich der „nur ernannte“ Migrantenbeirat als Anwalt der migrantischen Interessen in Leipzig bewährt und etliche gut durchdachte Beschlussvorschläge für den Stadtrat erarbeitet.
„Das von der Verwaltung in der Vorlage VI-DS-06063-DS-01-NF-03 vorgeschlagene Verfahren bietet auf kommunaler Ebene das größtmögliche Maß an politischer Teilhabe und Partizipation von Migrant/-innen und setzt zur Umsetzung des Verfahrens erhebliche Mittel ein“, betont das Verwaltungsdezernat. „Für eine darüber hinausgehende politische Partizipation nicht wahlberechtigter Ausländerinnen und Ausländer wäre eine Änderung der entsprechenden gesetzlichen Vorgaben auf Landes- bzw. Bundesebene erforderlich.“
Dritte Neufassung für die Wahl des Migrantenbeirats geht jetzt in den Stadtrat
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