Was so mancher befürchtet hatte, passiert gerade: Nachdem Leipzig mit einer großen Kraftanstrengung seine Soforthilfeprogramme für den hiesigen Mittelstand aufgelegt hat, der coronabedingt in die Krise rauschte, drohen jetzt harte Verhandlungen um den Leipziger Doppelhaushalt 2021/2022. Und auch für den Klimaschutz droht das Geld knapp zu werden, obwohl Leipzig mitten im Klimanotstand steckt.
Und ganz gewiss ist die Kritik von „Fridays for Future“ richtig, wenn es die doch recht überschaubare Dimension des am 10. Juni von Oberbürgermeister Burkhard Jung vorgestellten Sofortmaßnahmenprogramms betrifft. 20 Millionen Euro klingen erst einmal viel. Aber die musste auch der OBM mitten im Corona-Lockdown erst einmal zusammenkratzen, auch wenn ein Großteil der Maßnahmen eigentlich längst beschlossen ist. Doch viele Maßnahmen wurden bisher gar nicht oder nur rudimentär umgesetzt, weil sie in den Jahreshaushalten nie mit genug Geld untersetzt wurden.
Zu wenig Geld aber heißt eben auch immer: Zeitverlust. Statt schon Jahre im Voraus entscheidende Schritte zu tun, Leipzig klimaresistenter und emissionsärmer zu machen, überschneiden sich jetzt die Krisen, droht Corona mit den Steuerausfällen auch noch die nächsten Haushalte massiv zu schwächen.
Und dann alles noch weiter zu verzögern, obwohl Leipzig schon 2026 sein CO2-Budget aufgebraucht haben wird?
Die Grünen im Leipziger Stadtrat nahmen sich das Maßnahmenpaket gleich gründlich vor und schrieben einen fünfseitigen Änderungsantrag, in dem sie von den 26 Punkten gleich mal zehn Punkte neu formulierten und bei einigen die Ausbauziele deutlich nach oben setzten. Es könne nicht sein, dass in Neubaugebieten nicht eine 100-prozentige Versorgung mit Öko-Strom geplant wird, dass nicht auf jedes neue Gebäude von Anfang an eine Photovoltaik-Anlage geplant wird, dass nicht die Bürger beteiligt werden, um Bürgersolaranlagen zu schaffen, dass die städtischen Unternehmen nicht ebenfalls alle ihre Gebäude mit Solaranlagen ausstatten usw..
Zu letzterem merkt Sophia Kraft, energiepolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, etwas schnippisch an: „Wir sehen, dass sich einige wichtige Akteure aus der Verantwortung stehlen.“
Und zu Jungs Sofortprogramm: „Wir freuen uns, dass auch der OBM begriffen hat, dass man in der Krise antizyklisch investieren muss.“
Oder dass man eben trotzdem investieren muss, egal, wie herausfordernd Corona ist. Denn die Klimakrise macht keine Pause. „Wir haben nach allen Daten, die vorliegen, mittlerweile den dritten Dürresommer hintereinander“, sagt Jürgen Kasek, der umweltpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion. Die Erderwärmung schreitet also voran. Sachsen erlebt genau jene Hitzesommer, die das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie vor 15 Jahren modelliert hat.
Und die Zeit zum Umsteuern ist radikal zusammengeschrumpft. Auch weil Politik und Wirtschaft die Warnungen der Klimaforscher seit 50 Jahren nicht ernst genommen haben, immer so getan haben, als könnten wir mit dem wilden Wachstum immer so weitermachen.
„Wir haben aber trotzdem versucht, im gesetzten Finanzrahmen von 20 Millionen Euro zu bleiben“, sagt Sophia Kraft. Denn auch wenn die Grünen jetzt dem OBM noch mehrere Zugeständnisse abringen, müssen die 20 Millionen Euro mit dem Sofortprogramm erst einmal genehmigt werden, muss der Stadtrat am Mittwoch, 8. Juli, zustimmen.
Wobei die Vorschläge der Grünen so tragfähig sind, dass die Verwaltung bei fünf, sechs Punkten wohl auch schon eingelenkt hat, wie Sophia Kraft bestätigt. Die aber auch betont: „Wir müssen hier wirklich auf die Tube drücken, wenn wir die Klimakurve noch abflachen wollen.“
Das Tempo geben eben augenscheinlich nicht die Staaten vor, sondern die Städte. Oder eben die Kommunalparlamente, die auch die Verwaltung ein wenig vor sich hertreiben und manchmal auch ein bisschen bissig werden, wenn lauter Zusagen aus dem Klimaschutzkonzept von 2011 bis heute nicht umgesetzt wurden.
Deswegen haben die Grünen zusätzlich zu ihrem Änderungspaket auch noch einen Extra-Antrag geschrieben, damit Leipzig endlich eine Klimaschutzagentur einrichtet. Dafür gebe es im Herbst wahrscheinlich ein Förderprogramm des Landes und Leipzig solle von Anfang an in den Startlöchern stehen, um die Förderung auch in Anspruch nehmen zu können. Zu überlegen wäre eher, wo die Agentur angesiedelt wird. Im neu zu gründenden Klimareferat wäre sie gut aufgehoben.
Und weil die Grünen nicht nur einen Teil ihrer Vorschläge beschlossen haben wollen, haben sie sich auch schon mit der Linksfraktion zusammengesetzt, um Unterstützung für die noch fehlenden Punkte zu bekommen. Das würde zumindest den Weg eröffnen, das Antragspaket komplett abzustimmen.
„Wenn nicht“, sagt Sophia Kraft, „kann es passieren, dass jeder einzelne Antragspunkt extra abgestimmt werden muss.“
Aber nicht nur die Grünen haben gemerkt, dass das Sofortprogramm des OBM auch das verschämte Eingeständnis mit sich brachte, dass Leipzig die Ziele seines Klimaschutzprogramms 2011–2020 nicht erreicht, auch nicht die Minderungsziele für die CO2-Emissionen. Also haben die Grünen mit den Linken zusammen sofort einen weiteren Antrag gestellt. Denn das Klimaschutzprogramm muss jetzt ja für die nächsten Jahre fortgeschrieben werden. Aber das kann man nicht einfach dem guten Willen der beteiligten Ämter überlassen, was drinsteht und ob es auch umgesetzt wird.
Also beantragen Linke und Grüne gemeinsam: „Die Fortschreibung des Energie- und Klimaschutzprogramms erfolgt unter größtmöglicher Einbeziehung der Öffentlichkeit. Bürger/-innen sollen deshalb auf der Leipziger Klimakonferenz und via Umfrage noch vor der Verabschiedung des Programms die Möglichkeit bekommen, Änderungswünsche einzubringen. Diese sind von der Verwaltung zu prüfen und nach Abwägung einzubeziehen. Das Abwägungsprotokoll wird veröffentlicht.“
Was nicht nur in Bezug auf die Änderungswünsche der Bürger wichtig wäre. „Wir müssen in eine andere Kommunikation kommen“, sagt Jürgen Kasek. Denn auch den meisten Leipzigern ist der Ernst der Lage überhaupt nicht bewusst. Und es ist ihnen auch nicht bewusst, dass sie selbst etwas machen können, dass Klimaschutz nichts Abstraktes ist, sondern in ihrer Stadt ganz konkret werden muss. Das hat Leipzigs Verwaltung in ihrer Klimakommunikation der vergangenen Jahre ganz unübersehbar nicht geschafft: Die Bürger mitzunehmen und Klimaschutz zu ihrer Sache zu machen.
Deswegen hatten die Grünen zu Maßnahme 14 ja auch betont, dass auch die Sofortmaßnahmen dringend „bürgernahe Formate“ brauchen und eine „breitenwirksame Kommunikation“, in der die Leipziger/-innen mitkriegen, worum es geht, was tatsächlich geschieht und wo die Stadt mit ihren Bemühungen tatsächlich steht. Ein richtiges „Klima-Dashboard“ soll sichtbar machen, wo Leipzig bei der Energie- und Mobilitätswende steht.
Grüne Fraktion beantragt eine ganze Liste von Nachbesserungen beim Sofortmaßnahmenprogramm zum Klimanotstand
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