Mit der Diskussion um den Leipziger Zoogrรผnder Ernst Pinkert hat die Debatte um die koloniale Vergangenheit Leipzigs endlich eine Stufe der Aufmerksamkeit erreicht, auf der sich auch Stadt und Stadtrat nicht mehr wegducken kรถnnen. Nicht weil nun ausgerechnet Pinkert einer der herausragenden Vertreter des Kolonialismus war. Aber dass ausgerechnet er nun im Mittelpunkt der Debatte steht, zeigt ja nur zu deutlich, dass die eigentliche koloniale Vergangenheit Leipzigs nach wie vor im Dunkeln liegt.

Dass sich niemand mit dem Thema beschรคftigt hรคtte, kann man auch nicht sagen. Mit der Zoogeschichte hat sich Mustafa Haikal intensiv beschรคftigt. Das Museum fรผr Vรถlkerkunde hat diesen Aspekt, der auch wichtige Teile der eigenen Sammlung betrifft, schon in Ausstellungen und Veranstaltungen thematisiert. Und erst im Mรคrz legten Heinz Peter Brogiato und Matthias Rรถschner das Buch โ€žKoloniale Spuren in den Archiven der Leibniz-Gemeinschaftโ€œ vor.

Denn auch in den Archiven der Forschungsinstitute stecken Berge von Sammlungsstรผcken, die nur deshalb dort sind, weil Deutschland in der Wilhelminischen Zeit ohne Hemmungen alles versuchte, sich sein Stรผck Kolonialreich zu sichern โ€“ und auszuplรผndern.

Wer sich mit den heutigen Stereotypen des Rassismus beschรคftigt, kommt um die koloniale Vergangenheit nicht herum. Und auch nicht รผber das damals geprรคgte รœberlegenheitsdenken des weiรŸen Wohlstandsbรผrgers, das bis heute die Vorurteile und die Verachtung gegenรผber Menschen anderer Hautfarbe prรคgt.

Es geht also viel weniger darum, Menschen wie Ernst Pinkert zu diskreditieren, als รผberhaupt zu verstehen, wie tief das alte koloniale Denken bis heute in unserem Selbstbild steckt. Denn den meisten ist รผberhaupt nicht bewusst, was postkoloniales und damit immer auch latent rassistisches Denken eigentlich bewirkt, wie es tรคglich zu einem Denken der Ungleichwertigkeit fรผhrt โ€“ in der wirtschaftlichen Praxis genauso wie im Alltag auf der StraรŸe.

Die Linksfraktion hat die Debatte jetzt aufgegriffen und beantragt ganz offiziell, die Leipziger Kolonialgeschichte endlich auch in die Erinnerungskultur aufzunehmen. Nicht einfach so zu tun, als wรคre da nichts gewesen und Leipziger Kaufleute, Reisende und Verleger so vรถllig unbeteiligt gewesen, als im Wilhelminischen Reich das Kolonialfieber ausbrach. Im entsprechenden Abschnitt der vierbรคndigen Stadtgeschichte gibt es zwar den Beitrag โ€žMilitarismus โ€“ Nationalismus โ€“ Antisemitismusโ€œ von Michael Schรคfer. Der Kolonialismus kommt hier freilich nicht vor.

Das muss sich รคndern, findet die Linksfraktion.

Im Zuge der aktuellen Debatte um Rassismus und dessen koloniale Wurzeln gehen ja derzeit zehntausende Menschen auf die StraรŸe. Allerorten wird debattiert und mancherorts werden sogar Statuen von Kolonialherren gestรผrzt. Auch in Leipzig mรผsse diese Auseinandersetzung gefรผhrt werden, denn der europรคische und deutsche Kolonialismus haben die Stadt Leipzig grundlegend geprรคgt, schรคtzt die Fraktion ein.

โ€žDabei wirkten auch Leipziger Akteur/-innen (Ethnographen, Geographen, Missionare, ,Forschungsreisendeโ€˜, Kaufleute, Hรคndler etc). aktiv an der kolonialen ErschlieรŸung der Welt mit. Dieses System war von Gewalt, Ausbeutung, Unterdrรผckung, Raub und Mord und Entmenschlichung der kolonisierten Menschen geprรคgt. Am augenfรคlligsten ist diese Geschichte beim Leipziger Zoo.โ€œ

Gemeint sind damit die โ€žVรถlkerschauenโ€œ im Zoo. In der kommenden Ratsversammlung wird ja die Einwohneranfrage zur Umbenennung der nach dem Zoogrรผnder Ernst Pinkert benannten StraรŸe und Schule beantwortet werden.

Doch die Spuren reichen viel weiter: ins Leipziger Verlagswesen und in den Wissenschaftsstandort Leipzig (einschlieรŸlich der Universitรคten und Museen), in das Leipziger Missionswerk bis hin zu den Messen. Nicht zu vergessen die Leipziger Handelsbeziehungen.

Die Aufarbeitung dieser Kolonialgeschichte ist heute angesichts der aktuellen Ereignisse dringlicher denn je, stellt die Linksfraktion fest und fordert die Stadtverwaltung mit einem Antrag auf, Vorschlรคge zu unterbreiten, wie die Leipziger Kolonialgeschichte in der Erinnerungskultur der Stadt verankert werden kann und macht dafรผr bereits einige Vorschlรคge. Unerlรคsslich ist der Fraktion dabei die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Initiativen, wissenschaftlicher Akteure und lokaler Museen.

โ€žDas Erbe des Kolonialismus wirkt nach. In der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Situation in Lรคndern, die einmal als Kolonien geplรผndert wurden, aber auch im Rassismus der deutschen Mehrheitsgesellschaftโ€œ, sagt dazu Linke-Stadtrat Michael Neuhaus. โ€žDass die Leipziger Kolonialgeschichte in der Erinnerungspolitik der Stadt bisher kaum eine Rolle spielte, ist als Verdrรคngen, Wegschauen oder auch als Schuldabwehr Teil des Problems. Black lives matter heiรŸt deshalb, offensichtlichem Rassismus entgegentreten und verdeckten Rassismus offenlegen, wo immer er uns begegnet. Deswegen wollen wir die Leipziger Kolonialgeschichte im Stadtbild erfahrbar machen und kritisch aufarbeiten.โ€œ

Und Linke-Stadtrรคtin Juliane Nagel fรผgt hinzu: โ€žRassismus ist in Leipzig allgegenwรคrtig, im Alltag, in Behรถrden, aber auch tief eingeschrieben in die Geschichtsschreibung. Da mรผssen wir ran und kolonial geprรคgte Bilder und Mythen hinterfragen und entkrรคften. Wenn beispielsweise der Zoodirektor Junhold meint, den Zoogrรผnder Pinkert vor Kritik an dessen rassistischer Praxis des Ausstellens von Menschen in Schutz nehmen zu mรผssen, und diese Praxis rein in den Kontext der damaligen Zeit setzt, liegt er falsch.

Es ist jetzt Zeit, sich mit den kolonialen und rassistischen Praxen der Vergangenheit und den Auswirkungen auf die Gegenwart zu befassen und vor allem Konsequenzen zu ziehen! Die Kraft, die die Black lives matter Bewegung entfaltet, sollten wir auch nutzen, um an die Wurzeln bzw. einen maรŸgeblichen Motor des Rassismus zu gehen: das koloniale Erbe auch unserer Stadt.โ€œ

Im Antrag selbst formuliert die Fraktion dazu: โ€žDer Oberbรผrgermeister wird beauftragt, dem Stadtrat bis zum 2. Quartal 2021 Vorschlรคge zu unterbreiten, wie die Leipziger Kolonialgeschichte in der Erinnerungskultur der Stadt kritisch verankert werden kann.โ€œ

Das soll z. B. mit Themenjahren, Themenwochen, Hinweisschildern oder auch der Thematisierung auf der Homepage der Stadt passieren. โ€žIn die Erarbeitung der Vorschlรคge sollen auรŸerdem zivilgesellschaftliche Initiativen wie die AG Leipzig Postkolonial, die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, Leipzig sowie Historiker/-innen und zum Thema arbeitende wissenschaftliche Expert/-innen und schlieรŸlich die einschlรคgigen Museen (GRASSI Museum fรผr Vรถlkerkunde, Naturkundemuseum, Stadtgeschichtliches Museum) einbezogen werden.โ€œ

Ernst Pinkert โ€“ ein โ€žrassistischer und kolonialer Tรคterโ€œ?

Ernst Pinkert โ€“ ein โ€žrassistischer und kolonialer Tรคterโ€œ?

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