Die Fördergelder für das Projekt Lebendige Luppe durch das Bundesamt für Naturschutz zur Ausweitung des Projekts, ein richtiges Auenrevitalisierungskonzept daraus zu machen, sind zwar zugesagt. Der Stadtrat hätte der Vorlage des Umweltdezernats zur Erweiterung des Projekts am Mittwoch, 15. Juli, auch einfach zustimmen können. Aber ganz dem Selbstlauf wollten es Linke, Grüne und SPD nicht überlassen.
Weshalb der umweltpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Jürgen Kasek, noch einmal sehr eindringlich auf die Probleme des Leipziger Auenwaldes einging in seiner Rede. Denn der Wald leidet. Ihm fehlen nicht nur die regelmäßigen Überschwemmungen, sondern das Wasser insgesamt.
Und so deutlich wurde in der Ratsversammlung noch nie benannt, woran das liegt, auch wenn im Projekt Lebendige Luppe spätestens seit 2014 klar ist, dass es genau um diesen Knackpunkt geht: die technokratische Lösung, die 1934 mit dem Bau der Neuen Luppe in der Leipziger Nordwestaue umgesetzt wurde.
Sie sorgt dafür, dass nicht nur Hochwasser auf schnellstem Wege abgeführt werden und gar nicht erst durch die Auwälder fließen. Sie sorgt dadurch, dass sie mehrere Meter unterhalb des Grundwasserspiegels liegt, auch dafür, dass dem Auwald sogar noch Wasser entzogen wird.
Es geht also, so Kasek, nicht nur um ein irgendwie geartetes Öffnungsprojekt für die Elster-Luppe-Aue, sondern darum, entweder die Sohle der Neuen Luppe deutlich anzuheben (in Klammern: und einen naturnahen Flusslauf daraus zu machen) oder die Alte Luppe genauso wie die Weiße Elster wieder mit genug Wasser zu beschicken.
Eigentlich gehört hier statt des oder ein und hin. Was Michael Neuhaus, der für die Linksfraktion sprach, zumindest andeutete. Denn wenn die Neue Luppe in der Form, wie sie 1934 gebaut wurde, weiter besteht, wird die Nordwestaue ihr Problem nicht los. Am liebsten, so Neuhaus, „hätten wir die Neue Luppe sofort zugeschüttet“.
Aber auch er weiß, dass dazu mehr zu klären ist und dass man zumindest bis 2023 Geduld haben muss, denn bis dahin ist ja das Projektteam von Lebendige Luppe nun beauftragt, ein Auenentwicklungskonzept für die Nordwestaue (so wie am 20. Mai beschlossen) zu erarbeiten.
Ob sich dabei die angedeuteten Pläne umsetzen lassen, wird bis dahin geklärt sein müssen. Aber an einer radikalen Veränderung der Neuen Luppe kommt kein Auenkonzept vorbei. Und eigentlich gibt es darüber auch keinen großen Dissens mehr mit der Verwaltung.
Ein Problem sah Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal bei Änderungsantrag von Linken, Grünen und SPD nur in der Formulierung in Beschlusspunkt 4 im Änderungsantrag von Linken, SPD und Grünen: „Die Planungen für BA 1–3 – Burgaue/Pfingstanger, Flutung werden vorerst beschränkt auf Leistungsphase 1–2“.
Das könnte ein Problem mit dem Fördergeldgeber Bundesamt für Naturschutz geben, so Rosenthal, der eine Planreife für das eigentliche Projekt Lebendige Luppe bis 2023 zur Bedingung gemacht hat. Das heißt: Wenigstens umsetzungsreife Pläne für die Bespannung der alten Flussläufe zwischen Burgaue und Pfingstanger sollten vorliegen. Immerhin war das der Kern des 2011 gestarteten Projekts Lebendige Luppe.
Kasek und Neuhaus hatten zu Recht ihre Zweifel angemeldet, ob das so funktioniert. Im Projekt Lebendige Luppe freilich geht man davon aus, dass sich diese Revitalisierung der alten Flussläufe sehr wohl auch in künftige Auenentwicklungsprogramme einordnet.
Das aber wollen Linke, Grüne und SPD dann genauer wissen, wenn diese Pläne vorliegen, und sie vor der Umsetzung im Stadtrat zum Beschluss vorgelegt bekommen.
Um die Fördergeldzuwendung nicht zu gefährden, waren Linke, Grüne und SPD am Mittwoch dann bereit, in ihrem Änderungsantrag aus „Leistungsphase 1–2“ doch ein „Leistungsphase 1–3“ zu machen.
In der Abstimmung wurde dann deutlich, dass die Stadtratsmehrheit inzwischen einig ist darin, ein wirklich großes Auenentwicklungskonzept auf die Beine zu bringen. Der Änderungsantrag von Linken, Grünen und SPD wurde punktweise abgestimmt. Und während die Punkte 1 bis 3 jeweils die volle Mehrheit bis auf jeweils eine Enthaltungsstimme bekamen, scherten bei Punkt 4 die Fraktionen von CDU und AfD aus. Da aus diesen Fraktionen niemand ans Rednerpult ging, ist ziemlich nebulös, warum die beiden Fraktionen dagegen stimmten.
Trotzdem gab es eine Mehrheit von 42 zu 17 Stimmen, was eben auch bedeutet, dass der Stadtrat auch über die Baupläne zur Lebendigen Luppe frühzeitig informiert wird. Die Verwaltungsvorlage selbst bekam sogar 60:0 Stimmen.
Die Sorgen von Getu Abraham
Und eigentlich hätte man auch von Getu Abraham, der für die SPD-Fraktion sprach, weitere Ergänzungen in der Zustimmung erwartet. Aber der nutzte seine fünf Minuten, um die aus seiner Sicht ausufernden Diskussionen zu selbstverständlichen Stadtratsvorlagen zu beklagen, Töne, die man bislang eher aus der CDU-Fraktion gehört hat. Aus seiner Sicht könnte man das durch ernsthafte Arbeit in den Ausschüssen vermeiden, genauso wie die Tatsache, dass aus einer Stadtratssitzung im Monat bislang zwei, in diesem Monat sogar drei geworden sind.
Aber wahrscheinlich trügt sein Blick. Denn auch die Zahl der Ausschüsse hat sich vermehrt. Und der Stadtrat beschäftigt sich mit immer mehr Themen inhaltlich gründlicher, die vorherige Ratsversammlungen tatsächlich einfach durchgewinkt haben. Zum Schaden der Stadt, anders kann man das nicht formulieren.
Gerade seitdem der Stadtrat sich existenzieller Themen wie dem Klimawandel, der Mobilitätsstrategie und nun auch zunehmend der Auenentwicklung widmet, kommt auch wieder Bewegung in eine Verwaltung, die die Ratsversammlung in der Vergangenheit oft nur als Zustimmungsmaschine für ihr eingespieltes Arbeiten verstanden hat. Mehrheiten wurden im Vorfeld organisiert. Es ging, um Erich Loest zu zitieren, seinen Gang.
Und das hat in vielen Bereichen der Stadt eben auch eine jahrelangen Rückstau verursacht, weil aus Verwaltungssicht viele Probleme einfach nicht dringend aussahen. Geändert hat sich das erst, als die Ratsfraktionen vor vier Jahren immer aktiver wurden und immer mehr Zuarbeit und Veränderungswillen von der Verwaltung einforderten. Was nur gelingt, weil sich immer mehr Stadträt/-innen in immer mehr Themen einarbeiteten, selbst Beschlussvorlagen formulierten und auch in den Ausschüssen nicht lockerließen.
Zeit für eine Aufwertung des Stadtrates
Frankfurt am Main, nur wenig größer als Leipzig, hat schon lange ein Vollzeitparlament, weil die Stadt schlichtweg mehr professionelle Stadtratsarbeit braucht. Vielleicht wäre es in Leipzig an der Zeit, aus der Ratsversammlung zumindest ein semiprofessionelles Stadtparlament zu machen, das gerade den Spezialisten in den Fraktionen ermöglicht, mehr Zeit und Vorarbeit in wichtige Themen zu investieren.
Eine Rückkehr zum Durchwinkparlament, wie es der Stadtrat in der Vergangenheit oft war, wird es nicht geben. Schon deshalb nicht, weil gerade die treibenden Personen in den Fraktionen begriffen haben, dass eine Stadtverwaltung in solchen Umbruchzeiten eine intensive Begleitung durch den Stadtrat braucht. Und was Getu Abraham auch vergessen hat: Es wird nicht mehr in der geschlossenen Kammer geredet.
Jede Rede erreicht auch immer mehr zuschauende Leipziger/-innen, die eben meist erst in der Stadtratsdebatte erfahren, was gerade an Wichtigem beschlossen werden soll.
Die Debatte vom 15. Juli 2020 im Stadtrat
Video: Livestream der Stadt Leipzig
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