Es gibt Momente, da zeigt sich, wie wertvoll die Beiräte des Leipziger Stadtrates sind. Sie kennen sich auf ihrem Gebiet bestens aus und helfen sowohl der Verwaltung als auch dem Stadtrat, Dinge richtig zu sehen und damit auch richtig zu tun. Das hilft jetzt auch einem Antrag der Linksfraktion, die eigentlich etwas Gutes wollte, als sie im Januar beantragte „Für mehr Barrierefreiheit – Straßennamensschilder tastbar machen“.

Das Dezernat Stadtentwicklung und Bau hat dazu lieber den Behindertenbeirat der Stadt gefragt, ob das so geht. Zwar gibt es schon einige deutsche Städte, die bei einer solchen Tastbarmachung vorangegangen sind. Aber so, wie es sich die Linksfraktion vorgestellt hat, ist es unpraktikabel. Auch und gerade aus Sicht von sehbehinderten Menschen, stellte das Dezernat in seiner erst einmal ablehnenden Stellungnahme zum Linke-Antrag fest.

Aber im Text merkt man dann, um was es letztlich geht und dass auch eine Umsetzung bis 2023 eher utopisch ist, wenn man es so machen würde: „Das Anliegen, die Barrierefreiheit des öffentlichen Raumes weiter auszubauen, ist sehr begrüßenswert. Seitens der Verbände, Kommunen und Vorschriftengeber werden dafür unterschiedliche Aktivitäten unternommen“, gesteht das Baudezernat zu.

„In Wedel (Kreis Pinneberg) wurde durch einen blinden Ingenieur als erste Stadt in Deutschland ein Schild für blinde und sehbehinderte Menschen entwickelt, dass es ihnen ermöglichen soll, Straßennamen zu ertasten. Die Schilder sind etwa so groß wie zwei handgroße, aneinander gelegte Bausteine und werden als quadratische Bauchbinde um bereits bestehende Rohrpfosten für Straßennamensschilder montiert. Die blauen Bausteine mit weißer Schrift werden in einer Höhe von etwa 1,40 Meter angebracht.“

Aber ob das auch der Leipziger Weg sein könnte, dazu befragte das Dezernat dann doch lieber erst einmal den Behindertenbeirat.

Das Ergebnis: „Der vorliegende Antrag wurde im Behindertenbeirat vorberaten. Die blinden und sehbehinderten Mitglieder empfanden den im Antrag dargestellten Vorschlag dabei als nicht zielführend. Insbesondere wurde seitens der Beauftragten für Menschen mit Behinderungen darauf hingewiesen, dass es im öffentlichen Raum zu viele ähnliche Masten gibt und man den Mast mit einer entsprechenden Information schwer finden kann. Man müsste, um diese zu erreichen, Bodenindikatoren zu jedem Straßenschild verlegen. Das führt zu einer Inflation von Bodenindikatoren, vom Gesamtaufwand ganz abgesehen. Dabei wäre auch noch nicht geklärt, wie man Straßenschilder an Häuserwänden kennzeichnet.“

Eine Ablehnung aber ist das zumindest aus Sicht des Behindertenbeirats nicht. Denn: „Das Ansinnen, Straßennamen kenntlich zu machen, ist daher ein Wunsch der Betroffenen, die aber andere technische Mittel präferieren. Darüber hinaus weist die Beauftragte für Menschen mit Behinderungen darauf hin, dass es für blinde und sehbehinderte Personen verschiedene Navigationssysteme gibt. Im Moment funktionieren sie über GPS. Hier wäre ein Ansatzpunkt zu suchen, geeignete Smartphone-Apps in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für barrierefreies Lesen und den Behindertenverbänden weiterzuentwickeln.“

Also keine teuren Umbauten an Gehwegen und die Beschriftung tausender Masten von Straßenschildern, sondern eine digitale Lösung.

Was die Linksfraktion als Ermunterung auffasst, die Anregung aus dem Behindertenbeirat aufzunehmen. Denn wichtig bleibt das Thema. Und eine zeitnahe Umsetzung wäre schlicht nur fair und ehrlich.

Und so stellt die Linksfraktion fest: „Der Verwaltungsstandpunkt VII-A-00772-VSP-01 kommt zum Ergebnis, dass blinde und sehbehinderte Menschen in Leipzig einen Bedarf haben, die Straßennamen zu erkennen. Hierbei wird direkt geäußert, dass eine technische Lösung dafür gewünscht wird. Die Beauftragte für Menschen mit Behinderung in Leipzig schlägt dabei eine entsprechende App-Lösung vor. Dieser Ansatz soll weiter verfolgt werden und mögliche (Weiter-) Entwicklungen gemeinsam mit den Betroffenen konzeptionell erarbeitet werden.“

Womit das Projekt ja in den richtigen Händen wäre.

Da die Verwaltung ihre Stellungnahme aber nicht als Alternativvorschlag formuliert hat, beantragt die Linke jetzt konkret: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, gemeinsam mit dem Behindertenbeirat, den Behindertenverbänden und Vertreterinnen und Vertretern in eigener Sache zu prüfen, welche Anforderungen an eine App für blinde und sehbehinderte Menschen zur Navigation in der Stadt Leipzig durch die potenziellen Nutzer/innen gestellt werden; anschließend gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für barrierefreies Lesen, dem Behindertenbeirat, den Behindertenverbänden und Vertreterinnen und Vertretern in eigener Sache ein Konzept zur (Weiter-)Entwicklung geeigneter Apps dem Stadtrat bis zum IV. Quartal 2020 vorzulegen.“

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