Eigentlich war es eher der Vandalismus, der einzelne Ratsfraktionen in den jüngeren Wahlkämpfen zum Überlegen brachte, ob die Plakatfluten zu jeder Wahl in Leipzig eigentlich noch irgendetwas mit einem fairen Wahlkampf zu tun hatten. Aber gegen Vandalen muss die Polizei vorgehen. Das Plakatmeer kann der Stadtrat nur ändern, wenn er die Wahlwerbesatzung ändert und einvernehmlich neue Regeln findet. Einen solchen Antrag hatte die Linksfraktion gestellt, auch wenn er anfangs zu weit ging.
Und in seiner Stadtratsrede ging Linke-Stadtrat Oliver Gebhardt am 10. Juni auch auf die vielen negativen Erscheinungen ein, die mittlerweile zum Leipziger Plakatwahlkampf zu gehören scheinen – angefangen von der Bepflasterung ganzer Straßen mit Plakaten ein und derselben Partei über die vollgehängten Laternenmasten bis hin zu Plakataussagen, die einem friedlichen Spaziergänger die Haare zu Berge stehen lassen.
Aber wirklich ansetzen kann eine Wahlwerbesatzung nur an der Menge der Plakate. Sie kann keine missliebigen Wahlparolen einfach ausgrenzen.
Und so formulierte die Linksfraktion ihren Vorstoß auch: „Die Anzahl der Wahlplakate hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Insbesondere Straßenlaternen werden teilweise mit acht Plakaten behangen, was zu einer Unübersichtlichkeit des Verkehrsraumes und Verschandelung der Stadt führt. Gleichzeitig führen steigende Zahlen von Wahlplakaten aus Plastik zu einer massiv steigenden Verschmutzung der Umwelt. Zur Wahrung des Stadtbildes und dem Schutz der Umwelt ist daher das Verbot von Wahlplakaten an Straßenlaternen geboten.“
Darauf reagierte die Stadtverwaltung freilich mit einer Stellungnahme, die das Ansinnen komplett ablehnte und für völlig rechtswidrig erklärte, denn das Anliegen wäre auf das komplette Hängungsverbot an Masten im Leipziger Straßenraum hinausgelaufen: „Eine gänzliche Untersagung der Anbringung von Wahlplakaten an Stadtbeleuchtungsmasten wäre daher rechtswidrig.“
Die Linksfraktion setzte sich also noch einmal auf den Hosenboden und studierte, was dazu in der Bundesgesetzgebung steht und was also auch vor Gerichten als Regelung Bestand haben könnte. Das Ergebnis war dann ein neu formulierter Antrag, der die Verwaltung beauftragt, eine Form zu finden, wie die Chancengleichheit im Wahlkampf durch Regelung der Zahl der gehängten Plakate erreicht werden kann.
Man bezog sich dabei auf das Parteiengesetz: „Die durch den Oberbürgermeister zu erarbeitende Vorlage soll insbesondere die in § 5 Parteiengesetz verankerte abgestufte Chancengleichheit berücksichtigen. Weiterhin muss sich an der gängigen Rechtsprechung und den dadurch entwickelten Normen orientiert werden. In Anwendung des Leitsatzes des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 13.12.1974 – Az.: VII C 42/72) muss jede Partei die Genehmigung von mindestens 5 v.H. der im Stadtgebiet zur Verfügung stehenden Werbeplätze erhalten. Die größte Partei darf hierbei nicht mehr als das Vier- bis Fünffache an Werbeplätzen, wie die kleinste Partei sie bekommt, erhalten.“
Die „abgestufte Chancengleichheit“ kritisierte am Mittwoch, 10. Juni, freilich Grünen-Stadtrat Norman Volger. Denn hier habe das Bundesverwaltungsgericht vor allem eine Willkür gerügt, die auch in sächsischen Kommunen zu beobachten war, wo Bürgermeister einfach kraft ihres Amtes bestimmten, wer wieviele Plakate in ihrer Gemeinde hängen darf. Was dann oft genug zu einer missbräuchlichen Bevorteilung der eigenen Partei führte. Das Bundesverwaltungsgericht habe also einen Mindeststandard definiert.
Der aber, so Volger, zur Herstellung einer echten Chancengleichheit nicht genüge. Denn der führe auch bei Einhaltung der Regel dazu, dass „reiche“ Parteien die Stadt mit Plakaten fluten können, während eher kleine Parteien damit von Anfang an benachteiligt wären.
Man habe also so seine Bedenken bei dem Linke-Antrag, werde ihn aber unbedingt unterstützen und hoffe, dass die Verwaltung eine bessere Regel finde, die auch gesetzeskonform sei. Dabei unterließ er auch einige sehr scharfe Spitzen gegen die AfD nicht, was dort für gehöriges Grummeln sorgte aber zum Glück zu keinem weiteren zeitfressenden Debattenbeitrag führte.
Für die Freibeuter-Fraktion äußerte sich Sven Morlok positiv zum Antrag, fand aber den zweiten Punkt inakzeptabel. Der lautete: „Der Stadtrat soll darin künftig sechs Monate vor einer anstehenden Wahl im Rahmen einer Vorlage in der Ratsversammlung entscheiden, wie viele Doppelplakate jeweils gehängt werden dürfen.“
Das könne nicht die Aufgabe des Stadtrates sein, so Morlok. Weshalb er die Einzelabstimmung der beiden Antragspunkte beantragte.
Gegen den Antrag der Linksfraktion argumentierte dann Thomas Kumbernuß (Die PARTEI). Die beiden gewählten Die-PARTEI-Stadträte sind zwar Mitglieder der Linksfraktion. In diesem Fall aber warb er dafür, gegen den Linke-Antrag zu stimmen, weil damit auch die Chancen beschnitten würden, kreativ mit Wahlplakaten umzugehen. Immerhin eine Spezialität der PARTEI. Und Kumbernuß hat recht, wenn er sagt: „Wahlwerbung ätzt, besonders wenn sie schlecht gemacht ist.“
Oberbürgermeister Burkhard Jung würdigte Kumbernuß nach dessen Rede als den „poetischsten Umstürzler“ im Raum – ein Spaß, der sich durch eine Eigenbezeichnung Michael Weickerts als „Revolutionär“ in der Fraktion der Christdemokraten und der Replik Jungs, ihn als bestangezogenen Umstürzler zu bezeichnen, ergab.
Aber dass die meisten Ratsfraktionen sich dennoch klare Regeln für die Begrenzung der Plakatfluten wünschen, wurde dann in der Abstimmung deutlich: Das Kernanliegen der Linksfraktion bekam 41 Ja-Stimmen, aber auch wieder die üblichen Nein-Stimmen aus CDU- und AfD-Fraktion plus die zwei PARTEI-Stimmen.
Das Anliegen freilich, dass der Stadtrat die Zahl der zu hängenden Doppelplakate bestimmen solle, lehnte die Stadtratsmehrheit mit 14:38:11 Stimmen ab.
Die Debatte vom 10. Juni 2020 im Stadtrat
Video: Livestream der Stadt Leipzig
Schafft es Leipzig mit einer Änderung der Wahlwerbesatzung, die Plakatfluten zu den Wahlen einzugrenzen?
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