In der Ratsversammlung am Mittwoch, 10. Juni, diskutierte der Leipziger Stadtrat auch über einen Antrag der Linksfraktion „Bürgerbeteiligung beim Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle“. Eine Debatte, die erstaunlich emotional geriet und beinahe drohte zu einer Grundsatzdebatte über das demokratische Selbstverständnis der Leipziger Stadträt/-innen zu werden.

Eigentlich hätte man sofort nach der hochemotionalen Rede von Linke-Stadrätin Marianne Küng-Vildebrand zur Abstimmung übergehen können, denn schon vorher hatten drei Fraktionen betont, dass sie den Verwaltungsstandpunkt unterstützen würden, den diese nach dem ersten Antrag der Linksfraktion aus dem Februar geschrieben hatte.

Den Küng-Vildebrand hauptsächlich noch unter dem Eindruck der völlig missglückten Bürgerinformationsveranstaltung der Flughafengesellschaft in Lützschena formuliert hatte. Eine Veranstaltung, bei der die Hälfte der Bürger nach 20 Minuten schon wütend den Raum verließ, weil öffentliche Rückfragen zum geplanten Ausbau des Flughafens von den Flughafenbetreibern abgelehnt wurden.

Ein Vorgehen, das auch Bert Sander (Grünen-Fraktion), Andreas Geisler (SPD) und Claus-Uwe Rothkegel (CDU) unerhört fanden. Es war also gar nicht verblüffend, dass auch CDU und AfD zustimmen wollten – aber nicht dem Linke-Antrag, sondern dem Verwaltungsstandpunkt, der das eigentliche Problem des ersten Linke-Antrags benannte: Leipzig ist kein selbstständiger Akteur in Sachen Flughafen.

Das erläuterte später auch Oberbürgermeister Burkhard Jung noch einmal: Überall, egal, ob in den Aufsichtsräten oder der Fluglärmkommission, hat Leipzig nur eine Stimme, kann also problemlos von allen anderen Mitgliedern der Gremien überstimmt werden, so, wie es seit nunmehr 13 Jahren auch passiert.

Erstaunlich wütend zeigte sich auch Claus-Uwe Rothkegel, der die Bedeutung des Flughafens für die Wirtschaft der Region hervorhob, die leeren Versprechungen der Flughafenbetreiber auch schon im Planfeststellungsverfahren aber für hahnebüchen hält. So ein „Blabla“ will er nicht mehr hören.

Die Frage ist nur: Wird es bei einer Leipziger Bürgerinformationsveranstaltung, zu der der OBM einlädt, anders sein? Denn – so Jung – die Entscheidungshoheit liegt einerseits bei der Flughafengesellschaft, auf die Einfluss zu nehmen er für wenig versprechend hält, andererseits der Planfeststellungsbehörde, also der Landesdirektion Sachsen. Der Verwaltungsstandpunkt intendierte denn auch, diese beiden Institutionen ins Boot zu holen und auf einer transparenten Bürgerveranstaltung Auskunft geben zu lassen.

In ihrer Rede wurde Küng-Vildebrand freilich sehr emotional und machte ihrem Herzen Luft, sprach die Nachtflugbelastung an und das drohende Anwachsen gerade der nächtlichen Frachtflüge zwischen Mitternacht und 5 Uhr, äußerte auch, dass es da ja auch noch die berechtigte Forderung nach einem Nachtflugverbot gebe.

Eine Wortmeldung, die dem doch sehr besonnenen FDP-Stadtrat Sven Morlok zu weit ging. Das stünde so auch nicht im Antrag, auch nicht in der Neufassung, die die Linksfraktion nach dem Verwaltungsstandpunkt vorgelegt habe.

Aber gerade die emotionalen Wortmeldungen, die jetzt aus den Fraktionen von CDU, SPD, AfD und Linken kamen, machten deutlich, dass der Antrag genau diesen Widerspruch auf den Punkt bringt, auch wenn er in der Fassung der Linken nun so lautet: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, im Zuge des geplanten Ausbaus des Flughafens Leipzig-Halle eine transparente Bürgerinformationsveranstaltung für die vom Fluglärm und von Luftverschmutzung betroffenen Leipziger Stadtgebiete bis zum Ende des III. Quartals 2020 durchzuführen.

Außerdem soll der Oberbürgermeister sich gegenüber der zuständigen Planfeststellungsbehörde für die Flughafenerweiterung für transparente Formen der Bürgerbeteiligung für die von Fluglärm und von Luftverschmutzung betroffenen Leipziger Stadtgebiete einsetzen.“

Aber genau die Not der Fluglärmbetroffenen im Leipziger Norden hatte der Antrag in seiner Begründung formuliert: „Anfang 2018 wurde auf Bundesebene durch die Große Koalition der Ausbau des Flughafen Leipzig-Halle beschlossen. Im Oktober 2018 teilte der Airport mit, dass zur Steigerung des Frachtaufkommens das Vorfeld des DHL-Hubs im Süden erweitert werden soll. Der Frachtumschlag trägt den weitaus größten Teil des steigenden Flugverkehrs.

Im vergangenen Jahr starteten und landeten rund 79.000 Flüge vom bzw. am Schkeuditzer Airport. Damit haben sich die Flugbewegungen seit 2007 verdreifacht. Durch die nun geplante Erweiterung soll diese Zahl bis zum Jahr 2032 auf 118.000 ansteigen. Das bedeutet, dass während 365 Tagen rund um die Uhr alle vier bis fünf Minuten ein Flugzeug starten bzw. landen wird. Dies führt nicht nur zu einer dramatischen Zunahme des CO2-Ausstoßes, sondern auch zu einer unzumutbaren Steigerung der Belastung durch Lärm sowie Feinstaub und Stickoxide für die Anwohner/-innen.“

Da war es nicht nur für Marianne Küng-Vildebrand unverständlich, dass die fluglärmbetroffenen Leipziger/-innen überhaupt kein Mitspracherecht haben.

Und in gewisser Weise bestätigte dann Burkhard Jung auch die Befürchtung von Bert Sander, dass diese Veranstaltungen in Schkeuditz und Lützschena so gelaufen sind, weil die Flughafengesellschaft keine Bürgerbeteiligung will, auch nicht in einem regulären Planfeststellungsverfahren. Auch Jung befürchtet, das es nur eine Planänderung am Flughafen geben wird, bei der eine Bürgerbeteiligung umgangen werden kann.

Das Abstimmungsergebnis für die Neufassung des Linke-Antrags. Screenshot: L-IZ
Das Abstimmungsergebnis für die Neufassung des Linke-Antrags. Screenshot: L-IZ

Erhellend war dann auch das Abstimmungsergebnis: CDU und AfD stimmten zwar dem Verwaltungsstandpunkt zu, der aber mit 26:37:2 Stimmen abgelehnt wurde.

Eine Mehrheit bekam die Neufassung des Linke-Antrags (aus der wir oben zitiert haben), gegen die zwar AfD und CDU stimmten, die aber mit 43 : 22 Stimmen eine eindeutige Mehrheit bekam.

Was eigentlich auch logisch ist: OBM Burkhard Jung soll sich nicht bei den beiden Instanzen, die bis jetzt schon vermieden haben, eine richtige Bürgerbeteiligung zu ermöglichen, darum bemühen, dass sie eine weitere Veranstaltung in Leipzig ansetzen, sondern soll sie selbst organisieren. Auch unter der Gefahr, dass Flughafen und Landesdirektion keine einzige Information mehr herausgeben als bisher.

Aber SPD-Stadtrat Andreas Geisler hat in seiner Wortmeldung auch darauf hingewiesen, dass die Stadt vor diesem Thema nicht mehr kneifen kann und auch Anfragen der Linksfraktion nicht einfach abbügeln darf, wenn es um den Flughafen geht. Denn eines wurde in der teils sehr heftigen Diskussion deutlich: Immer mehr Stadträt/-innen sind es leid, dass nicht einmal der Stadtrat von Leipzig das mindeste Mitspracherecht bei all dem hat, was am Flughafen getan – oder eben unterlassen wird.

Die Debatte vom 10. Juni 2020 im Stadtrat

Video: Livestream der Stadt Leipzig

Flughafen Leipzig/Halle: Leipzig zieht bei einer Nichtbeteiligung im Planverfahren tatsächlich den Rechtsweg in Betracht

Flughafen Leipzig/Halle: Leipzig zieht bei einer Nichtbeteiligung im Planverfahren tatsächlich den Rechtsweg in Betracht

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Es gibt 2 Kommentare

Dass man den OBM erst per Antrag verdonnern muss, um sich für “seine Bürger” einzusetzen, ist schon erschütternd.

Den übrigen Werdegang finde ich ebenso befremdlich:
Die große Koalition in Berlin entscheidet, dass der Flughafen in Leipzig erweitert werden soll.
Die Betroffenen haben fast kein Mitspracherecht bzw. Votum.
Außerdem weiß man um die Nichteinhaltung des bereits bestehenden PFB.
Man weiß auch darum, dass im Verkehrsministerium die Rechte der Anwohner seit längerer Zeit mit Füßen getreten werden (Petition Südabkurvung).

Was bleibt dann noch?
Ziviler Ungehorsam?
Zusammenschluss der betroffenen Gemeinden – aber reichen diese Stimmen in den Gremien?

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