Heute vor einer Woche gab die Bundesregierung bekannt, dass der EU-China-Gipfel – der ursprünglich vom 13. bis 15. September im Rahmen Deutschlands EU-Ratspräsidentschaft in Leipzig stattfinden sollte – verschoben wird. Als Grund nannte Regierungssprecher Steffen Seibert die Corona-Pandemie. Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) machte heute im Stadtrat deutlich, dass der Gipfel mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr in Leipzig stattfinden wird. Die finale Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt laufe gerade noch.

Die Ratsversammlung hat heute trotzdem über drei Anträge abgestimmt, die sich mit dem Gipfel befassen – eingebettet in eine teils emotionale Diskussion, in der unter anderem die Menschlichkeit von Polizist/-innen thematisiert wurde und mehrmals auf die Ausschreitungen bei G20 in Hamburg verwiesen wurde.

Stadtrat beschließt mehr Transparenz bezüglich politischer Großveranstaltungen

Obwohl Oberbürgermeister Jung die anwesenden Stadträt/-innen bat, im Angesicht der Unwahrscheinlichkeit eines in Leipzig stattfindenden EU-China-Gipfels auf eine Debatte zu verzichten, wurden fast vierzig Minuten mit Redebeiträgen zum Thema gefüllt.

Ein erster Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen beinhaltete zum einen die Beauftragung des Oberbürgermeisters, sich dafür einzusetzen, „dass Großveranstaltungen wie der EU-China-Gipfel, bei denen erhöhte Sicherheitsvorkehrungen bestehen, nicht im innerstädtischen Bereich durchgeführt werden“. Weiterhin forderte der Antrag eine umfassende Einbindung des Stadtrats und der Stadtgesellschaft in die Vorbereitung solcher Großereignisse. Auf Forderung der CDU-Fraktion wurde der Antrag nicht im Ganzen, sondern punktweise abgestimmt.

Die Beauftragung des OB, sich für ein Fernhalten derartiger Events aus der Innenstadt generell einzusetzen, lehnte die Ratsversammlung ab – ganz im Sinne Burkhard Jungs, der vorab fast flehentlich dafür appelliert hatte, solche Großveranstaltungen nicht per se aus der Innenstadt zu verbannen. „Ich empfand die Wahl Leipzigs als Veranstaltungsort als Auszeichnung. Warum haben wir uns denn damals für Olympia beworben? Wir wollen uns doch auch zeigen!“

Diese Ansicht teilt er mit Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU), der vor Bekanntwerden der Verschiebung den EU-China-Gipfel als „die größte Chance für Leipzig, international für sich Werbung zu machen“ bezeichnete. Die Linksfraktionen im Land- und Stadtrat sahen im Gipfel bisher vor allem eine starke Einschränkung der Stadtgesellschaft – im Straßenverkehr, aber auch im Demonstrationsrecht – über mehrere Tage und pochten auf eine Standortverlegung.

Juliane Nagel (Linke) forderte eine offizielle Verurteilung der Stadt Leipzig zu den Nutzern der Kamenzer Straße. Foto: L-IZ.de
Juliane Nagel (Die Linke). Foto: L-IZ.de

Dass Stadtrat und -bevölkerung stärker in die Planung einer solchen einbezogen werden sollen, darin waren sich die Ratsversammelten dann doch sehr einig. Fast einstimmig nahmen sie diesen Teil der Beschlussvorlage an, und das sollte auch der einzige zustimmende Beschluss zum Thema werden.

Nachdem Juliane Nagel (Die Linke) in einem Redebeitrag kritisiert hatte, dass der Stadtrat in die bisherigen Planung quasi nicht einbezogen wurde und forderte, dass dies passieren müsse – „spätestens, wenn der Bund anfängt, Gespräche zu führen“ – entschuldigte sich OB Jung für seine Versäumnisse: „Ja, ich gebe zu, ich hätte den Ältestenrat hinzuberufen können.“ Den Standort an sich für ein solches Gipfeltreffen wählt der Bund aus, auf diese Entscheidung haben Länder oder gar Kommunen wenig Einfluss. Auf den Veranstaltungsort innerhalb der Stadt aber wohl. Bisher sollte das die Kongresshalle am Zoo sein, eine Liegenschaft der Stadt.

Wer hat Angst vor bewaffneten Banden?

Aufgrund der ihrer Ansicht nach drohenden „körperlichen Gewalt gegen unbeteiligte Bürger“ und „mutwilligen Zerstörung“ von Infrastruktur und Privateigentum legte die AfD-Fraktion mit Bezug auf den G20-Gipfel in Hamburg im Jahr 2017 einen Beschluss zur Vorlage, der die Ausarbeitung und Verbreitung einer Ratgeberbroschüre für Leipziger Bürger/-innen beinhaltete.

Stadtrat Marcus Weiss (Die PARTEI), der Linksfraktion angehörig, drehte den Spieß in einem zugehörigen Änderungsantrag um und forderte eine Ratgeberbroschüre mit „konkreten Präventionsmaßnahmen, die durch überzogene Polizeieinsätze notwendig erscheinen“. Die Broschüre solle die Stadtgesellschaft dazu anhalten, „sich an den Tagen des Gipfels von bewaffneten, vermummten Banden fernzuhalten“.

Diese Formulierung brachte Michael Weickert (CDU) dazu, gleich zum zweiten Mal zum Thema das Redepult aufzusuchen: „Es ist eine unredliche Pauschalisierung, der Polizei eine Bandenstruktur nachzusagen. Polizistinnen und Polizisten sind auch Menschen und nicht daran interessiert, andere pauschal anzugreifen.“

Komme es in Deutschland zu einem Fall, in dem ein öffentlicher Amtsträger seine Position missbrauche, könne sich jeder dank der hart erarbeiteten Demokratie an unabhängige Gerichte wenden, so Weickert. „Wenn Sie meinen, dass 95 Prozent der Verfahren gegen die Polizei zurecht eingestellt werden, dann sind Sie der Verblendete“, entgegnete Änderungsantragsteller Weiss mit Verweis auf Statistiken zum Thema Polizeigewalt und Anzeigen gegen die Polizei.

Dass Weiss mit seinem Änderungsantrag satirisch aufzeigen wollte, wie die AfD durch ihren Antrag Demonstrierende als Gewalttätige pauschalisiert, hatte bei Weickert offensichtlich seine Wirkung verfehlt.

Michael Weickert (CDU). Foto: L-IZ.de
Foto: L-IZ.de

Antrag der Linksfraktion „EU-China-Gipfel raus aus der Innenstadt“ abgelehnt

Ein dritter Antrag zum Thema hatte die Verlegung des EU-China-Gipfels auf einen Standort außerhalb eines Fünf-Kilometer-Umkreises des Innenstadtrings zum Inhalt und wurde von der Linksfraktion eingebracht. Er wurde ebenfalls mit großer Mehrheit abgelehnt. Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek verwies darauf, dass die Austragung der Veranstaltungen in Zentrumsnähe – hätte der Gipfel überhaupt in Leipzig stattfinden sollen – bereits beschlossene Sache sei. Er warf der Formulierung des Linken-Antrags Polemik vor. „Es ist ein Schrittweit unehrlich, so zu tun, als könne man da noch was tun.“

Mit dem ersten sogenannten EU-„Vollgipfel“ wollte Deutschland im Rahmen seiner EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 ein Treffen zwischen allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und China ausrichten. Wann, wo und in welcher Form das Treffen stattfinden wird, ist derzeit offen.

Bündnis kündigt Gegenprotest an

Bereits Ende 2019 formierte sich ein Bündnis namens „No EU China Summit“ aus Parteijugendorganisationen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, um gegen den Gipfel zu mobilisieren. Die Terminverschiebung des Treffens befürwortete das Bündnis auf Twitter und fügte hinzu: „Egal wo, egal wann: Wir sind gegen einen EU-China-Gipfel.“

In den Fokus seiner Kritik setzt „No EU China Summit“ die „massiven Menschenrechtsverletzungen der chinesischen Regierung sowie die rigorose Verfolgung von Dissident/-innen und ethnischen Minderheiten“. Seit Jahren ist bekannt, dass Chinas Regierung die im äußersten Nordwesten der Volksrepublik lebenden, muslimischen Uigur/-innen systematisch unterdrücken, in Lager inhaftieren und foltern lässt. Auch der Umgang mit Demonstrierenden in der Sonderverwaltungszone Hongkong, deren Protestbeginn sich erst kürzlich zum ersten Mal jährte, sorgt regelmäßig für internationale Kritik.

Als weitere Kritikpunkte gibt das Gegenbündnis die „Untätigkeit der Europäischen Union angesichts tausender toter Geflüchteter an den Außengrenzen der ‚Festung Europa‘“ und den „Rechtsruck in zahlreichen Mitgliedsstaaten“ an. Laut Bündniswebsite ist unter anderem eine als „Gegengipfel“ betitelte Veranstaltungsreihe mit Workshops und Vorträgen geplant, zu deren Inhalten es Ende Juni Informationen geben soll. Ursprünglich sollte die Reihe von Anfang Juni bis Mitte September stattfinden, mit der Verschiebung des Regierungstreffens ist auch sie zeitlich nach hinten gerückt. Noch bis Ende des heutigen Tages können Themenideen zu Veranstaltungsformaten per Online-Formular eingereicht werden.

Weiterhin sind eine Großdemonstration und eine Konferenz mit internationalen Expert/-innen zum Spannungsfeld „China und der Westen“ angekündigt. Ein Sprecher kündigte im Mai angesichts eines im Raum stehenden digitalen Treffens an: „Auch bei einem digitalen Stattfinden des Gipfels werden wir unsere Kritik auf die Straße tragen!“

Die Debatte vom 10. Juni 2020 im Stadtrat

Quelle: Livestream der Stadt Leipzig

Für Sachsens Innenminister wäre die Durchführung des EU-China-Gipfels in Leipzig ein wichtiges Zeichen in Corona-Zeiten

Für Sachsens Innenminister wäre die Durchführung des EU-China-Gipfels in Leipzig ein wichtiges Zeichen in Corona-Zeiten

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