Natürlich war es nur ein Mini-Paket, das OBM Burkhard Jung am 10. Juni als „Sofortmaßnahmenprogramm zum Klimanotstand 2020“ vorstellte. Es klang größer, als es war. Und es war auch nicht so neu, wie es klang. Eher machte es sinnfällig, wie viele kleine, aber sehr konkrete Projekte in Leipzig seit zehn Jahren vor sich hinköcheln und nie wirklich mit Nachdruck verfolgt wurden. Trotz der Bewerbung um den Titel „Europäische Energie- und Klimaschutzkommune“.
Den konnte Leipzigs Verwaltung sich 2011 zum ersten Mal umhängen und in späteren Jahren „verteidigen“, ohne dass sich an der Klimabelastung durch die Stadt auch nur das Geringste veränderte. Von einem großen Plan, die Klimalast der Stadt tatsächlich nachhaltig zu verringern – keine Spur. Auch nicht durch das 2014 verkündete Ziel, Leipzig bis zum Jahr 2050 klimaneutral machen zu wollen.
Logisch, dass OBM Burkhard Jung am 10. Juni lieber vermied, die einzelnen Maßnahmen mit genauen CO2-Einsparungen zu unterlegen. Dazu eignen sich diese Maßnahmen auch nicht wirklich. Und sie lösen auch den Klimanotstand nicht auf, den der Leipziger Stadtrat am 30. Oktober 2019 beschlossen hat.
Es ist wirklich nur das, was Leipzigs Verwaltung sofort tun kann, ohne dazu große Planungen vorzulegen. Und was sie schon längst hätte machen sollen.
Nicht nur „Fridays for Future“ kritisierte die magere Ausbeute.
Grüne: Mehr Mut, Herr Oberbürgermeister!
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen begrüßte zwar die Grundausrichtung des Sofortmaßnahmenprogramms, fordert aber signifikante Nachbesserungen an einigen Punkten.
„Wir begrüßen, dass trotz der aktuellen Corona-Situation ein Programm vorgelegt wurde, das auch mit einem Budget untersetzt ist. Der Einstieg in ,Green Investment‘ kann gerade auch in der derzeitigen schwierigen wirtschaftlichen Situation grüne Wirtschaftszweige ankurbeln und Arbeitsplätze sichern.
Allerdings reicht das bisher an vielen Stellen noch zu unkonkrete Programm bei Weitem nicht aus, um die notwendige klimapolitische Zielstellung zu erreichen. Die städtischen Anforderungen an die Strom- und Wärmeversorgung in Quartieren mit einem Anteil Erneuerbarer Energien von nur 25 bzw. 10 Prozent ist ein Beispiel, wo das Programm viel zu kurz ansetzt“, erklärt dazu Sophia Kraft, energiepolitische Sprecherin der Fraktion.
Und Jürgen Kasek, umweltpolitischer Sprecher der Fraktion, betont: „Es wird deutlich, dass die Kritik von Fridays for Future berechtigt ist und der Druck aus der Zivilgesellschaft auch weiterhin spürbar sein muss. Das Programm kann nur ein Anfang sein. Viele der Maßnahmen erstrecken sich auf ein klein/klein ohne Hauptemittenten von Treibhausgasen wie etwa den Flughafen mit einzubeziehen.
Gerade im umweltpolitischen und im Verkehrsbereich gibt es erheblichen Nachbesserungsbedarf. Uns bleiben nur noch zehn Jahre, um die drohende Katastrophe abzuwenden. Leipzig muss hier engagierter vorangehen. Wirksamer Klimaschutz jetzt, spart zukünftig Geld bei Klimafolgemaßnahmen und Ausgaben.“
Die Grünen-Fraktion fordert deshalb, dass Hauptemittenten wie der Flughafen stärker miteinbezogen und Begleitmaßnahmen wie die Verkehrswende verstärkt angegangen werden müssen. Ein ganz heikles Anliegen, wie ja am 10. Juni auch die Debatte im Stadtrat zeigte: Die Einflussmöglichkeiten der Stadt Leipizg auf all das, was am Flughafen passiert, sind nahezu Null.
Ist der Klimabeirat nur ein Feigenblatt?
Fridays For Future Leipzig erfuhr am 8. Juni in der ersten Sitzung des Klimabeirates der Stadt Leipzig (Stadtverwaltung Leipzig), davon, was in Jungs Sofortmaßnahmen steht.
Das Urteil war dann etwas härter: „Was nach einer guten Sache für unsere Stadt klingt, ist bei genauerem Hinsehen eine Farce. (…) Im Entwurf stehen 24 Maßnahmen, die sich fast ausschließlich nur auf die Behörden der Stadt beziehen. Genannt werden Gebäude, Einkäufe, Mitarbeiter/-innen. Auf Privatpersonen oder Gewerbe werden diese Maßnahmen kaum Einfluss haben. Dabei verursacht die Stadtverwaltung nur ca. 2 % der Emissionen. Im Bereich der Industrie, der für 60 % der Emissionen verantwortlich ist, wird weiter auf Freiwilligkeit gesetzt. Wozu das führt und wie gut das funktioniert, sehen wir ja auch gerade an Datteln4.“
In der Sitzung des Klimabeirats ging es auch nicht mehr um eine Änderung des Maßnahmenprogramms: „Änderungsmöglichkeiten oder Partizipation an der Erstellung bzw. Überarbeitung des Katalogs gab es nicht. Lediglich wurde noch besprochen, wie die Stadt mit den Einwohner/-innen über Klimaschutz (besser?) kommunizieren kann. Wird wohl was mit den Omas for Future werden….“
Aber die Omas werden das Leipziger Verwaltungshandeln aus der Vergangenheit schon gut genug kennen. Und auch die Schnecke auf der Rathausklinke: Die Verwaltung kommt langsam voran, in der Regel so langsam, dass Menschen darüber vor Ungeduld platzen könnten.
Und es stimmt: Wäre das Programm alles, was Leipzig zum Klimanotstand beizutragen hätte, es wäre wirklich nur ein Feigenblatt.
Ein Feigenblatt, das auch kaschiert, dass Klimaverträglichkeit noch nicht wirklich in allen Vorlagen der Stadt fest verankert ist, genauso wenig wie „eine verpflichtende Bürger/-innenbeteiligung für wichtige umwelt- und klimapolitische Themen“, wie sie sich FFF wünscht.
Aber die wirklich großen Weichenstellungen passieren nicht in dem eher kleinen, mit 20 Millionen Euro dotierten Sofortprogramm für 2020 bis 2022, das etwa mit Gründächern und Solardachprogramm auch nur alte Forderungen des Stadtrates aufnimmt.
Die wirklichen Weichenstellungen sind vom Stadtrat forcierte Beschlüsse wie der zum Kohleausstieg, zum nachhaltigen Mobilitätsszenario oder zum 365-Euro-Ticket.
Aber die zentrale Kritik von „Fridays for Future“ richtet sich eher gegen das Konstrukt des neu geschaffenen Klimabeirats der Stadt Leipzig.
Die FFF-Kritik am Klimabeirat
1. Die Zusammensetzung des Klimabeirats erscheint merkwürdig und recht zufällig. Anwesend waren 3 Menschen vom Jugendparlament Leipzig, 1 vom BUND Leipzig, 1 von Greenpeace Leipzig, einige Menschen aus dem Stadtrat, unsere 2 Aktivist/-innen, aber eben auch Vertreter/-innen von BMW, der Sparkasse, der Uni, usw. … Bei dieser Zusammensetzung fragen wir uns, warum OBM Jung diese verschiedenen Vertreter/innen eingeladen hat.
2. Der Klimabeirat wird nicht wie ein formeller Beirat gehandhabt. So entsteht der Eindruck, es ginge hier mehr um eine öffentlichkeitswirksame Präsentation (von) Klimaschutzambitionen als um wirkliche Veränderungen.
3. Der Entwurf der Sofortmaßnahmen ist aus unserer Sicht an sehr viele Stellen lückenhaft und nicht zu Ende gedacht. Er soll in ein paar Tagen durch den Stadtrat gewunken werden.
4. Der Klimabeirat soll sich nur zweimal im Jahr treffen, viel zu wenig, um die Probleme in Leipzig schnell zu beheben und konsequente Maßnahmen gegen die Klimakrise auf kommunaler Ebene einzuleiten. Wir hoffen sehr, dass dem Beirat schnell mehr Zeit eingeräumt wird.
5. Schließlich bleibt zu sagen, dass der Klimabeirat kaum eine Möglichkeit bietet, sich aktiv in einen Entscheidungsvorgang einzubringen oder an Maßnahmenvorschlägen für die Stadt mitzuarbeiten. Im Moment ist es eher still dasitzen und Bürger/-innenbeteiligung nur spielen.
Ist Leipzigs Verwaltung zu langsam für den Klimawandel?
Man merkt schon, wie sehr es den jungen Aktivisten in der Leipziger Klimapolitik an Tempo fehlt. Die Verwaltung reagiert in ihrem gewohnt langsamen Tempo, obwohl auch Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal am 10. Juni feststellte, wie enorm der Änderungsdruck auch für Leipzig ist.
Denn das noch verfügbare Budget an Treibhausgasen hat Leipzig, wenn sich nicht drastisch etwas ändert, schon 2025 aufgebraucht. Deswegen ist das Ziel einer Klimaneutralität bis 2050 eine Farce. Nicht einmal das Reduktionsziel für 2020 wird erreicht, weil alle Klimaschutzpläne Leipzigs seit 2010 viel zu unambitioniert waren. Zehn Jahre, die jetzt eindeutig fehlen.
Noch 2014 träumte Rosenthal davon, das Leipziger Pro-Kopf-Aufkommen an CO2 von 6,13 Tonnen bis 2020 auf 4,5 Tonnen senken zu können. Aber es werden wohl auch trotz Corona wieder um die 5,6 Tonnen.
Die Grenze 2025 ist nicht willkürlich gesetzt. Rein rechnerisch ist dann die Atmosphäre so sehr mit dem Treibhausgas CO2 angereichert, dass die Erde noch in diesem Jahrhundert auf eine Erwärmung von 2 Grad zusteuert, gerade noch die Erwärmung, von der die Wissenschaftler annehmen, dass sie von der Menschheit verkraftbar ist. Alles darüber stellt die menschliche Zivilisation grundlegend infrage.
Das war ja die Kraft hinter Fridays for Future.
Und nun?
„Bitte versteht uns nicht falsch“, schreibt FFF Leipzig auf seinem Facebook-Account. „Wir freuen uns über die Ambitionen und die Schaffung des Klimabeirates. Wir sind uns aber sicher, dass der Beirat in seiner aktuellen Form viel zu wenig Partizipation und echte Bürger/-innenbeteiligung ermöglicht. Wir fordern, dass dem Klimaschutz auf kommunaler Ebene deutlich mehr Wichtigkeit zugestanden wird und sich die Stadt nicht hinter einer Minimalmaßnahme versteckt. Wir möchten das Handeln der Stadt an konkreten und zielführenden Maßnahmen bewerten können und nicht an Ideen.“
OBM Burkhard Jung legt 24 Sofortmaßnahmen zur Bewältigung des Klimanotstands vor
OBM Burkhard Jung legt 24 Sofortmaßnahmen zur Bewältigung des Klimanotstands vor
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