Nie war es in Leipzig so still wie in den vergangenen Wochen. Der Shutdown hat für viele Leipziger erstmals erlebbar gemacht, wie leise eine Stadt sein kann, wenn überflüssiger und ungeregelter Verkehrslärm unterbleibt. Da wirkt es schon ein wenig wie aus der Zeit gefallen, wenn Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal am Montag, 27. April, die Fortschreibung des Lärmaktionsplans vorstellt. Auch wenn viele Leipziger schon ziemlich lange darauf gewartet haben.
Denn die große Bürgerbeteiligung dazu fand schon 2016 statt. Aus Sicht des Umweltdezernats sogar sehr frühzeitig, denn den ersten Lärmaktionsplan setzte die Stadt Leipzig 2013 in Kraft. Einen sehr umstrittenen Lärmaktionsplan, der wie ein zahnloser Tiger wirkte und deshalb dann auch 2016 zu der groß angelegten Bürgerbeteiligung führte. Ein Abwägungsprotokoll beschreibt jetzt, was die Verwaltung mit den Bürgervorschlägen gemacht hat. Und was nicht.
Diese erste Fortschreibung des Lärmaktionsplans von 2013 wurde am 9. März von der Stadtspitze bestätigt und soll am Mittwoch, 29. April, durch die Ratsversammlung beschlossen werden. Im Anschluss daran soll es dann eine zweiwöchige öffentliche Auslegung geben.
Ziel der Lärmaktionsplanung ist es, Lärmemissionen in der Stadt zu vermindern und zu vermeiden, insbesondere dort, wo die Geräuschbelastung gesundheitsschädliche Auswirkungen hat, betont das Amt für Umweltschutz, das den Plan erarbeitet hat.
„Durch die Umsetzung der Maßnahmen zur Lärmminderung und Luftreinhaltung konnte bislang beispielsweise die Lärmbelastung von über 9.000 Bewohnern in der Nacht nahezu halbiert werden“, konstatiert Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal.
Die Berechnungsgrundlage findet man im Entwurf. Und damit auch den Grund dafür, warum der Lärmaktionsplan für viele Leipziger nicht funktioniert.
Die Fortschreibung basiert auf den Ergebnissen der Lärmkartierung von 2012, der im Jahr 2016 durchgeführten frühzeitigen Bürgerbeteiligung, der öffentlichen Auslegung im Juni und Juli des vergangenen Jahres sowie den Erkenntnissen des ersten Umsetzungsberichts. Räumlich wurde die Lärmaktionsplanung auf das gesamte Stadtgebiet ausgedehnt, inhaltlich um den Flugverkehrslärm erweitert.
Und da wird dann besonders deutlich, warum man so dem eigentlich gesundheitsschädlichen Lärm nicht beikommt.
Im Lärmaktionsplan heißt es konkret zum Fluglärm: „Die Belastung durch den Flugverkehrslärm für die Stadt Leipzig wird nach der ,Vorläufigen Berechnungsvorschrift für den Umgebungslärm an Flugplätzen‘ (VBUF)vom LfULG errechnet. Einer Belastung von LDEN >70 dB(A) sind keine Bewohner und von LNight >60 dB(A) sind drei Bewohner ausgesetzt. Einer Belastung von LDEN >67 dB(A)sind keine Bewohner und von LNight >57dB (A) sind drei Bewohner ausgesetzt.“
Das klingt so, als könnte die Stadt hier einfach auch die Namen der drei Leipziger/-innen hinschreiben, die unter Fluglärm besonders leiden. Aber das wird sie nicht können. Denn die drei Betroffenen sind nur ein Rechenergebnis, kein Messergebnis.
Denn was das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) berechnet, ist ein „Mittelungspegel über Tag, Abend und Nacht unter besonderer Gewichtung des Abend-und Nachtzeitraumes mit Isophonen >55 dB(A) in 5 dB Bänder“. Und dazu dienen nicht einmal die Lärmmessstellen des Flughafens selbst, sondern die offiziellen Zahlen aus dem Flugbetrieb und den vorgeschriebenen Flugbahnen samt den registrierten Flugzeugtypen.
Das Ergebnis: Mit der Wirklichkeit hat das ganze Verfahren nichts zu tun. Denn die Lärmemissionen werden „gemittelt“, also gerade das wird ausgepegelt, was die Bewohner der Ein- und Ausflugbereiche aus dem Schlaf reißt – die Lärmspitzen. Und die entstehen nun einmal auch nachts, wo es dann selbst an den Messpunkten oft über 70, 75 oder bei ganz schweren Brummern über 80 dB(A) hinausgeht.
Es entsteht nun einmal – anders etwa als bei Autobahnen – kein relativ gleichförmiges Rauschen, sondern ein Wechsel zwischen Lärmpausen und anschwellendem Lärm, wenn die Flieger starten oder landen.
Aber auch die Lärmwerte in der Stadt werden nicht gemessen, sondern modelliert. Was immer wieder auch zu heftigen Diskussionen führt, wenn die Anwohner sich über einen Straßenlärm beschweren, den die Modellrechnungen der Stadt so nicht aufzeigen. Man denke nur an die Diskussionen in der Karl-Tauchnitz-Straße.
Dass entsprechende Bürgereinwände dazu keine Chance haben, wird zum Beispiel deutlich, wenn die Verwaltung den Einwand ablehnt: „Lärmpegel aufgrund von Durchschnittswerten zu niedrig, realitätsfern.“
Das begründet das Umweltdezernat dann so: „Für die dem LAP zugrunde liegende Lärmkartierung gelten Berechnungsvorschriften, nach denen die Lärmbelastung als Mittelungspegel auszuweisen ist. Der Stadt Leipzig ist bekannt, dass diese Pegel bei bestimmten Lärmarten (Fluglärm, Eisenbahnlärm) nicht immer das Lärmempfinden der Bürger trifft. Gleichwohl ist die Lärmkartierung eine wichtige Grundlage für die Lärmaktionsplanung, bspw. um die unterschiedliche Lärmbelastung durch eine Lärmart in den Leipziger Ortsteilen zu vergleichen.“
Der Lärmaktionsplan ist also eher ein diffuses Instrument, um eine Art Gesamtlärmbelastung zu ermitteln und den Gesamtpegel an einigen Stellen durch hilfreiche Maßnahmen zu mindern.
Handlungsschwerpunkte bilden deshalb vor allem Straßenabschnitte und Bereiche, in denen die Belastung über den sogenannten Auslösewerten des ersten Lärmaktionsplans von 70 Dezibel tags und 60 Dezibel nachts liegt. Weiterer Handlungsbedarf ergibt sich aufgrund der Absenkung der Auslösewerte auf 67 Dezibel tags und 57 Dezibel nachts.
Zur Minderung des Kfz- und Straßenbahnverkehrslärms wurden Maßnahmen erster und zweiter Priorität abgeleitet. Dazu zählen insbesondere straßenverkehrsrechtliche und verkehrsorganisatorische Maßnahmen, der Betrieb von Geschwindigkeitsanzeigetafeln sowie Verkehrsflussdosierungen, betont das Amt für Umweltschutz.
Neben den Maßnahmen für konkrete Straßenabschnitte enthält der fortgeschriebene Lärmaktionsplan auch zahlreiche flankierende Schritte aus dem Bereich des Umweltverbundes sowie der Raum- und Stadtplanung. Die Anzahl ruhiger Gebiete wurde erweitert und zu deren Schutz verschiedene Instrumente erarbeitet. So sollen beispielsweise prioritär eine Zunahme des Lärms vermieden und die ruhigen Gebiete möglichst sogar weiter entlastet werden.
Im Ergebnis beinhaltet der Plan insgesamt 76 Einzelmaßnahmen, von denen über 30 den Umweltverbund betreffen und weitere mehr als 20 den Kfz-Verkehr.
Umweltverbund bedeutet: Förderung aller umweltfreundlichen Verkehrsarten wie Fußverkehr, Radverkehr und ÖPNV.
Aber wer in den vergangenen Jahren die Umwandlung einer Straße in eine Tempo-30-Zone erlebt hat, weiß, wie viel allein schon so eine Maßnahme an Lärmminderung mit sich bringt. Denn den größten Verkehrslärm erzeugen Kraftfahrzeuge, die beschleunigt werden und mit jaulenden Motoren durch die Stadt rasen.
Mit der Lärmaktionsplanung werde auch die Entwicklung zu einer nachhaltigen Mobilität ganz im Sinne der Mobilitätsstrategie 2030 unterstützt, betont das Umweltdezernat. Denn gerade Kraftfahrzeuglärm ist die Hauptlärmquelle in Leipzig. Zudem trage sie zum Erhalt und der Verbesserung der Umwelt- und Lebensqualität bei und erfülle damit auch die Ziele der integrierten Stadtentwicklung.
Aber etwas fehlt ganz augenscheinlich. Und das mahnt gleich die Grünen-Fraktion in einem Änderungsantrag an:
„Über die jeweilige Umsetzung der einzelnen Maßnahmen des Lärmaktionsplanes und deren konkret erreichte Wirksamkeit vor Ort wird der Stadtrat jährlich unterrichtet.“ Und: „Die Maßnahmen des Lärmaktionsplanes sind hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zur Lärmreduktion zu wichten und mit den weiteren Plänen wie Luftreinhalteplan, Mobilitätskonzept, Handlungskonzept Radverkehr, STEP Verkehr, Green City Plan, Klimanotstand in Einklang zu bringen.“
Denn offenkundig war in den vergangenen sieben Jahren eben auch, dass der Druck, Tempo-30-Zonen zu schaffen, immer wieder erst aus dem Stadtrat kommen musste. Die große Betonung des Umweltverbundes entspricht dagegen so gar nicht dem, was für Fuß-, Rad- und Tramverkehr in Leipzig wirklich passiert ist, obwohl zum Beispiel ein gut ausgebautes Radnetz enorm zur Lärmverringerung beitragen würde. Hier ist die entsprechende Vorlage inzwischen auch fünf Jahre überfällig. Und auch der Lärmaktionsplan ist überfällig, der hätte nämlich schon 2018 vorliegen müssen, kritisieren die Grünen, denn nach dem bundesdeutschen Imissionsschutzgesetz sind solche Pläne alle fünf Jahre zu aktualisieren.
Und wirklich informiert über die Umsetzung des ersten Lärmaktionsplans fühlen sich die Grünen auch nicht: „Der erste Lärmaktionsplan der Stadt Leipzig wurde am 17. September 2013 in der Dienstberatung des Oberbürgermeisters beschlossen und am 11. Dezember 2013 dem Stadtrat zur Kenntnis gegeben (RBV-1914/13). Der dazugehörige erste Umsetzungsbericht 2015 wurde am 20. April 2016 dem Stadtrat zur Kenntnis gegeben.“
Und der fiel dann auch etwas dünn aus und sorgte für jede Menge Zündstoff für die Bürgerdiskussion 2016.
Update, 28. April, 10.25 Uhr:
Grüne üben scharfe Kritik am Lärmaktionsplan und fordern die Absetzung von der Tagesordnung am 29. April
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Stadtrat Leipzig meldet sich mit deutlicher Kritik am Lärmaktionsplan der Stadt Leipzig zu Wort. Dieser soll eigentlich am morgigen Mittwoch im Stadtrat beschlossen werden. Das sieht die Fraktion kritisch und verlangt grundlegende Nachbesserungen.
Jürgen Kasek, Stadtrat und umweltpolitischer Sprecher der Fraktion: „Die Fortschreibung des Lärmaktionsplans kommt deutlich zu spät, die Öffentlichkeitsbeteiligung zum Plan fand bereits 2016 statt. Die aktuelle Situation ist nicht aufgenommen. Die Maßnahmen sind nicht hinsichtlich ihrer Wirksamkeit priorisiert, sodass der Plan keine abrechenbaren Folgen hat. Wie damit innerhalb einer Großstadt wie Leipzig die Lärmprobleme gelöst werden sollen, erschließt sich mir nicht.“
Kristina Weyh, Stadträtin und verkehrspolitische Sprecherin, ergänzt: „Es fehlt an der Abrechnung der bisher erfolgten Maßnahmen und ihrer Wirksamkeit. Es ist nicht ersichtlich, welche in der Vergangenheit umgesetzten Maßnahmen sich wie auf die Lärmentwicklung ausgewirkt haben und welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Viele der Maßnahmen zielen auf den Verkehrsbereich ab, sind aber mit anderen Verkehrskonzepten wie dem STEP Verkehr oder dem Handlungskonzept Radverkehr nicht verknüpft. Bei der Beurteilung einer Maßnahme muss aber zwingend auch die jeweilige Auswirkung auf die Lärmsituation mit beachtet werden.“
Am deutlichsten kritisieren die Grünen jedoch den Umgang mit dem Thema Fluglärm. Folgerichtig hat die Fraktion heute einen Antrag auf Absetzung des Lärmaktionsplanes von der Tagesordnung der Ratsversammlung eingereicht.
Stadtrat Bert Sander, flughafenpolitischer Sprecher der Fraktion erklärt: „Die wenigen Ausführungen zum Problem Fluglärm lesen sich wie eine Kapitulationserklärung gegenüber Flughafen, DHL und der Landesregierung in Dresden. Die bereits durchgeführten und viele der vorgesehenen Lärmschutzmaßnahmen sind allesamt Placebo-Maßnahmen bzw. stellen Scheinlösungen dar, vor allem aber berücksichtigen sie bisherige Stadtratsbeschlüssen zum Thema Fluglärm nicht: die Gleichverteilung der nächtlichen Starts und Landungen auf beide Start- und Landebahnen; die Einführung von Lärmpausen; die Abschaffung der Kurzen Südabkurvung; kein weiterer Ausbau des Frachtfluges … Wir meinen, die vorliegende Fortschreibung des Lärmaktionsplans wird den vom Leipziger Stadtrat zum Thema verabschiedeten Beschlüssen nicht gerecht.“
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