„Und wie gespalten ist diese Stadt eigentlich?“, fragten wir noch in der Nacht nach der Oberbürgermeisterwahl am 2. März, bei der Amtsinhaber Burkhard Jung (SPD) knapp vor seinem Herausforderer Sebastian Gemkow (CDU) ins Ziel kam. „Kann man von einem progressiven Mitte-Links-Lager sprechen, das in den vergangenen Wochen trotz diverser Differenzen geschlossen hinter Jung stand? Und dazu im Gegensatz ein (rechts-)konservatives Lager, dem Leipzig in den vergangenen Jahren etwas zu hipp geworden ist?“
Und von Spaltung war ja oft die Rede nach dem knappen Ausgang der ersten Wahlrunde am 2. Februar. „Nach diesem Wahlkampf wird es eine große Aufgabe, die Leipziger Stadtgesellschaft wieder zu einen und einen zivilisierten demokratischen Diskurs zu ermöglichen“, meinte die Leipziger CDU in einer Meldung schon Anfang Februar.
„Für diese Aufgabe zeichnen sich OB Jung und seine radikalen Unterstützer ungeeignet. Es wird Zeit für einen Wechsel an der Stadtspitze hin zu der ausgleichenden Leipziger Persönlichkeit Sebastian Gemkow“, ließ sich der Leipziger CDU-Vorsitzende Thomas Feist zitieren.
Eben jener kampflustige Wahlkämpfer, der sich dann in der Wahlnacht mit einer völlig verunglückten Aussage zu Wort meldete.
Die anderntags dann Henning Homann, Generalsekretär der SPD Sachsen, so kommentierte: „Mit einem, insbesondere in rechten Kreisen beliebtem, Spruch, versucht der Leipziger CDU-Chef Thomas Feist das politische Engagement ‚unechter Leipziger‘ abzukanzeln. Leipzigern ihr Leipziger-Sein abzusprechen, ist nicht nur unwürdig, es zeigt auch, wie wenig er eine wachsende, internationale Stadt verstanden hat, obwohl er dort geboren ist. Solche Sprüche taugen vielleicht für den Stammtisch, aber selbst im Fischladen und erst recht im Rathaus sorgen sie nur für Kopfschütteln.“
Thomas Feist hatte in einem TV-Interview auf die Frage der Lebenszeit, die der SPD-Oberbürgermeister Burkhard Jung in Leipzig verbracht hat und ob er damit ein „richtiger“ Leipziger ist, geantwortet: „Wenn eine Katze im Fischladen Junge bekommt, sind das dann Fische?“
Homann weiter: „Wahlkämpfe werden hart und pointiert geführt, aber auch hier gelten die Regeln des Anstandes. Die CDU wollte im Oberbürgermeister-Wahlkampf ein Bild vermitteln, das ihr Vorsitzender offensichtlich nicht teilt. Damit hat er auch seinem CDU-Kandidaten Gemkow einen Bärendienst erwiesen. Feist ist aber nicht nur CDU-Chef von Leipzig, er ist auch Beauftragter des Freistaats Sachsen für jüdisches Leben. Mit Blick auf diese Funktion sind seine Äußerungen absolut inakzeptabel.“
Schon in den Tagen zuvor hatte das Wahlkampfteam von Sebastian Gemkow diese Karte gespielt und die eigenen Wahlplakate mit dem Aufkleber „Ein Leipziger“ beklebt. Als wenn das eine besondere Eignung für das Amt beweist, wenn jemand in der Stadt geboren wurde. Aber so etwas lenkt natürlich ab von der Frage, worum es im Leipziger OBM-Wahlkampf wirklich ging. Auch wenn die Karte mit den Wahlergebnissen suggeriert, es könnte um einen konservativen, eher rechten Außenring und eine linke (rote) Mitte gehen. Was auch immer das heißen soll.
Dass ein ganz anderer Zwiespalt die Stadt in zwei Hälften teilt, machte am Montag, 2. März, Holger Mann, der Kreisvorsitzende der SPD, deutlich: „Das Wahlergebnis zeigt erneut eine Spaltung zwischen Innen- und Außenbezirken. Wir verstehen es daher als impliziten Auftrag, Politik für alle Stadtteile zu machen. Das will die SPD mit aktiver Politik für bezahlbaren Wohnraum, besseren öffentlichen Nahverkehr, moderne Schulen und nachhaltige Klimapolitik.“
Er sagte auch: „Dies erfordert ein Aufeinander-Zugehen im Stadtrat. Die letzten Monate haben gezeigt, dass dafür bereits eine gemeinsame inhaltliche Basis mit Die Linke und Bündnis90/Die Grünen gegeben ist. Wir danken Ihnen auch ausdrücklich für ihren Einsatz und Unterstützung im Wahlkampf. Diese Erfahrung wollen wir zum Wohle unserer Stadt nutzen.
Es liegt ein intensiver Wahlkampf hinter uns, der leider auch unter der Gürtellinie geführt wurde. Wer wie CDU-Vorsitzender Thomas Feist dem Oberbürgermeister auch gestern Abend noch abspricht, Leipziger zu sein und alle Zugezogenen abwertet, spaltet unsere Stadt. Es wird eine gemeinsame Aufgabe sein, diese Gräben und Polarisierung der Stadtgesellschaft zu überwinden. Dazu sollten alle aufeinander zugehen. Wir sind dazu bereit.“
Aber er hat schon richtig benannt, was die Leipziger Außenbezirke von den inneren Stadtteilen trennt: Sie fühlen sich oft nicht eingebunden in die Stadtpolitik. Was auch Gründe hat, wie sie zuletzt beispielhaft bei der Diskussion um den Nahverkehrsplan deutlich wurden, in der gerade die 1999/2000 eingemeindeten Ortsteile zu Recht belastbare Angebote im ÖPNV beklagten. Viele wichtige Stadtentwicklungsthemen haben sich in den vergangenen Jahren auf die innere Stadt konzentriert. Der Rand spielte oft nur eine Rolle, wenn man dort – wie im Norden – neue Unternehmen ansiedeln konnte.
Andererseits leiden gerade dort – Beispiel Nordwesten – besonders viele Menschen unter Flugzeug- und Bahnlärm. Wofür sie augenscheinlich eher den Leipziger SPD-Oberbürgermeister verantwortlich machen als die sächsische Regierung, der Sebastian Gemkow ja als Wissenschaftsminister angehört. Der holte auch in diesen fluglärmbelasteten Ortsteilen Ergebnisse von 67 bis 68 Prozent.
Die Ergebnisse für den CDU-Kandidaten, die gerade in diesen eher dörflich geprägten Randlagen oft über 70 Prozent lagen, erzählen natürlich auch davon, dass die meisten dort Wohnenden oft ganz andere Interessen haben – sie sind oft Besitzer eines Eigenheims, kommen oft ohne eigenes Auto gar nicht zur Arbeit oder zum nächsten Supermarkt, haben mit eher dünner Ausstattung an Arztpraxen, Kitas oder gar städtischen Angeboten zu leben. Und viele Themen, die die dichtbesiedelten Innenstadtbereiche bewegen, spielen hier draußen eher keine Rolle.
Da stimmt schon, was Holger Mann anmahnt: „In den nächsten sieben Jahren muss sich Oberbürgermeister Burkhard Jung auch verstärkt um die Einbindung dieser Ortsteile kümmern, sie viel stärker zum Teil der städtischen Entwicklungsprojekte machen – angefangen beim ÖPNV (der da draußen oft nicht einmal rudimentär vorhanden ist) über den Ausbau eines funktionierenden Radwegenetzes bis hin in die Lärmschutzplanung.“
Und nicht vergessen darf man, dass auch die großen Plattenbaugebiete mehrheitlich für Gemkow gestimmt haben. Man darf das durchaus auch als Anmeldung eines Gesprächsbedarfs darüber verstehen, was jetzt in Grünau, Paunsdorf, Mockau oder Schönefeld-Ost passieren muss, damit die dort Wohnenden sich in die Stadtpolitik eingebunden fühlen.
Wobei man einen Aspekt dieser Wahl nicht ausblenden darf: Den Versuch des Gemkow-Teams, mit dem Thema Sicherheit zu punkten und den Kandidaten als einen Mann darzustellen, der in der Lage wäre, für (mehr) Sicherheit zu sorgen, auch wenn für dieses Thema ebenfalls die Dresdner Landesregierung zuständig ist.
Zu den realen Gefühlen des Abgehängtseins kamen so auch ganz emotionale Themen, mit denen die CDU in diesem Wahlkampf versuchte, die Wählerinnen und Wähler über das Bauchgefühl zu erreichen. Womit dieser OBM-Wahlkampf auch ein Wettstreit zwischen Emotion und Ratio wurde, Bauchgefühl und klaren Angeboten für die Stadtpolitik. Denn zumindest ein interessierter Teil der Leipziger wollte ja wirklich wissen, wohin die Reise in den nächsten sieben Jahren geht.
Und die Themen lauten nun einmal, wie es auch Linke-Stadträtin Franziska Riekewald auf den Punkt bringt: „Ab sofort werde ich als Stadträtin Druck machen, um die schrittweise Einführung des kostenlosen ÖPNV für alle unter 18, Einführung einer Kindercharta und mehr sozialen Wohnungsbau zu erreichen.“
Dazu kommen das Schulbauprogramm, der Ausstieg aus der Kohle, die Radnetzplanung, das neue Technische Rathaus, Naturkunde- und Sportmuseum, 1 Milliarde Euro für den Ausbau des ÖPNV … Alles sehr konkrete Dinge, die jetzt angepackt werden müssen. Vielleicht wird die spannende Frage wirklich: Wie kann man die Ortsteile am Stadtrand auch dabei so einbinden, dass die dort Wohnenden nicht wieder das Gefühl bekommen, nicht dazuzugehören?
OBM-Wahl 2020: Die gespaltene Stadt Leipzig
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Es gibt 3 Kommentare
Mir braucht niemand erzählen, dass die Frau von den Piraten eine Alternative war. Diese Frau ist eine Vollkatastrophe und das zeigt, warum die Piraten in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sind. Da hätte ich sogar lieber Gemkow genommen, und das will was heißen.
Ja, Olaf, Du hast recht. Wer wirklich Wechsel wollte, hätte die unabhängige Kandidatin der Piraten gewählt, zumindest im 1 Wahlgang. Alle anderen Kandidatinnen (denn es wäre endlich mal Zeit für eine Frau an der Stadtspitze!) hatten, wie zu hören ist, bereits ihre Absprachen mit Herrn Jung, wie es nach dem 1. Wahlgang weitergehen würde und was danach “zu liefern” wäre (wofür man sich jetzt “mit Nachdruck” engagieren wird). Sie haben jahrelang eine Politik mitgetragen, die sie im Wahlkampf kurz und zaghaft zu Teilen kritisiert haben, und tragen sie jetzt weiter mit. Natürlich werden sie jetzt richtig Druck machen, wieso eigentlich erst jetzt und nicht schon all die engagierten Jahre vorher? Wo die Stadträte der rot-rot-grünen Fraktionen, z.T. wider besseren Wissens und Wollens, für den Forstwirtschaftsplan gestimmt haben, um “ihrem OBM nicht in den Rücken zu fallen”??
Auf solche “Wechsel” kann man auch verzichten!
Einzige Alternative für Leipzig wäre die unabhängige Kandidatin der Piraten gewesen. Allerdings: ohne ein Wahlbudget, wie es Herrn Jung und Herrn Gemko via Parteispenden zur Verfügung steht, hatte sie von Anfang an keine Chance (aber dafür trotzdem respektable Ergebnisse). Und: sie hat ihre Stimmen nicht verkauft.
Insofern, lieber Olaf: was genau hätten die LeipzigerInnen machen sollen, die endlich einen Wechsel wollten?
Viel zu wenig wird thematisiert, in welcher Manier der alte und neue OBM die Stadt gespalten hat. Man kennt das von einschlägig bekannten Regierungschefs aus Europa und darüber hinaus. DAS kann man dem “unsichtbaren” CDUler nicht zuschreiben. Oder nur undirekt: dass seine Zurückhaltung das Gegenüber immer mehr irritiert hat (man kennt sowas ja aus dem richtigen Leben, wie fuchsig man wird, wenn der andere sich dem Spiel verweigert). Und das wird Folgen haben, weit über seine Macht-Zeit hinaus, eine ziemlich gefährliche Hinterlassenschaft für die Nachfolger, die es irgendwann geben wird. Und für uns alle: Die er rief, die Geister, werden wir nun (so schnell) nicht wieder los. Hier, in unserem Leipzig.
Nachfolgender Text macht gerade im Netz die Runde, ein Schreiben an Herrn Meine LVZ:
Sehr geehrter Herr Meine,
wenn ich die Aussagen lt. Aufmacher auf der Lokalseite der LVZ bzgl. OB-Wahl richtig verstehe, ist Burghard Jung ( wie auch Sie, Herr Meine) der Meinung, dass die jungen, urbanen, Zukunftgewandten und coolen Leute in der Stadt wohnen, und weil sie so sind und leben, haben sie natürlich Jung gewählt.
Die Gemkow=schwarz-Wähler leben am Stadtrand in der Idylle, sind konservativ, etwas dämlich-dörflich, natürlich rechtsgescheitelt, und müssen mit guten Worten davon überzeugt werden, dass dieser unverzeihliche Fehler, CDU zu wählen, korrigierbar ist. Das hat er sich nun vorgenommen.
Bei so viel Selbstüberschätzung kann man eigentlich nur noch ärztliche Hilfe anbieten.
Die Tatsache, dass auch die „Stadtbewohner“ schwarz gewählt haben könnten, kommt in seiner Welt nicht vor!
Wir, meine Familie und ich, leben und arbeiten in der Stadt, feiern auf der Karli, gehen in die Spinnerei, sind gegen AfD und alle Nazis und haben Gemkow gewählt, wie übrigens alle unsere Freunde und auch Verwandte, Selbständige, Ärzte, Junge und Alte. Und alle wollten ein Zeichen setzen: So geht es nicht weiter, 14 Jahre sind genug.
Die Chance, einen neuen, unverbrauchten und nicht derartig selbstverliebten Politiker im Rathaus zu sehen, haben die Leipziger leider nicht wahrgenommen.
Nun kommt Papa Jung und will uns zurück in den, ja was… roten Schoss holen?
Hier geht es nicht um Stadt oder Land, City oder Stadtrand, hier geht ein einzig und allein um eine große Müdigkeit und Frustration gegenüber dieses Oberbürgermeisters.
Mit seinen dummen und beleidigenden Aussagen hat er es leider noch einmal bestätigt.
Der Verfasser ist mir unbekannt, viele Grüße Klaus..