LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 76, seit 21. Februar im HandelSebastian Gemkow (CDU) ist 41 Jahre alt, gebürtiger Leipziger und möchte am 1. März zum Oberbürgermeister dieser Stadt gewählt werden. Den ersten Wahlgang am 2. Februar konnte er knapp vor Amtsinhaber Burkhard Jung gewinnen. Die LEIPZIGER ZEITUNG hat Gemkow zu Forderungen der Umweltverbände, dem Radverkehr in Leipzig, der Sicherheitslage und dem ÖPNV befragt.
Sind Sie der Meinung, dass der Umweltschutz in Sachsen funktioniert und sich die Bürger darauf verlassen können, dass die Ämter und Behörden ihn gewährleisten können?
Grundsätzlich ja. Nichts ist aber so, dass es nicht noch besser werden kann. Insbesondere in der fach- oder ressortübergreifenden Abstimmung klaffen noch Lücken, die Zeit und Geld kosten und dem Umweltschutz im gewünschten Maße Entfaltung sichern. Auch dazu braucht es den Dialog der Akteure und nicht das vorrangig einseitige Anklagen.
Finden Sie die Forderungen der Leipziger Umweltverbände und von Fridays For Future nach einer Klimaschutzpolitik, die vor allem staatliches Handeln einfordert, unangemessen?
Es ist sinnvoll, eine Welt einzufordern, die auch künftigen Generationen Luft zum Atmen und Kraft zum Gestalten lässt. Ich fände es allerdings auch sinnvoll, wenn sich die Akteurinnen und Akteure aktiver damit auseinandersetzen würden, wer dafür welche Handlungsspielräume hat und wer mit welcher Wirkung für Region und Welt agieren kann. Wir dürfen uns nicht darauf ausruhen, dass wesentliche Wirkungen nur durch globale Verhaltensänderungen herbeiführbar sind.
Leipzig kann eines von vielen guten Beispielen sein. Wir haben schon jetzt gute Voraussetzungen dafür: ob es zum Beispiel die Kleingärten sind, die für das ökologische Gleichgewicht eine große Rolle spielen und deren Bestand aus meiner Sicht nicht angegriffen werden darf, oder auch unsere grünen Lungen in Form des Stadtgrüns, der Parks und des Auwaldes, das aus meiner Sicht auch ausgebaut werden kann. All diese Ideen müssen aber sowohl dem Klimaschutz als auch der Stärkung unserer lokalen Umwelt, unseres sozialen Gleichgewichtes und der Sicherung unserer Wirtschaftskraft dienen.
Beinhaltet die Idee, die Radfahrer auf parallele Nebenstraßen in Form von „Radschnellwegen“ zu lenken, die Beräumung der dort parkenden Autos? Die logische Überlegung daraus, in den Innenhöfen der Quartiere Leipzigs Tiefgaragen (oder Quartiersgaragen) zu etablieren, erfordert unzählige Verhandlungen mit den Besitzern der Flurstücke. Wie wollen Sie private Grundstücksbesitzer überreden, jahrelange Tiefbauarbeiten auf ihren Grundstücken zu realisieren?
Das Lenken auf parallele Nebenstraßen funktioniert nur, wenn Hauptziele miteinander günstig verbunden sind. Es ist auch nicht zwingend, dass Parken in diesen Straßen unzulässig ist. Um nötigen Parkraum zu schaffen, zum Beispiel in Quartiersgaragen, kann es in einer historisch bebauten Stadt wie Leipzig keine Lösungen von der Stange geben. Deswegen muss man jede Lösung im Detail entwickeln. Es könnte eine Einbahnstraßenregelung die Risiken für Radfahrerinnen und Radfahrer eindämmen.
Sind Sie als Radfahrer in diesen Leipziger Nebenstraßen unterwegs und kennen die dortige Parksituation?
Als Fahrradfahrer versuche ich nach Möglichkeit große Hauptstraßen zu vermeiden und bewege mich über Nebenstraßen fort. Nach meiner Vorstellung ließe sich durch eine Verkehrsführung der jeweiligen Nebenstraßen als Einbahnstraßen einerseits Parkraum erhalten, andererseits ausreichend Raum für den sicheren Fahrradverkehr gewinnen. Eine Entlastung des Parkraumes zum Beispiel durch Quartiersgaragen würde außerdem zu einer Entspannung führen und mehr Platz für Fahrradverkehr und Stadtgrün eröffnen.
Wissen Sie, dass die Leipziger CDU mit dem Vorstoß schon einmal gescheitert ist, weil man Radfahrer verkehrsrechtlich nicht von Hauptstraßen (hier Innere Jahnallee) verbannen darf? Wie also wollen Sie die Konflikte auf den Hauptstraßen tatsächlich lösen? Und welche Zeitspanne nehmen Sie sich für die Lösung vor?
Attraktivität und Sicherheit des Verkehrsweges ist für die Mehrzahl der Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer durchaus ein Argument, angebotene Alternativen zu nutzen. Auch hier sollte nicht der Zwang, sondern das Angebot im Vordergrund stehen. Natürlich sollen Radfahrerinnen und Radfahrer auch weiterhin, zum Beispiel in der Jahnallee, ein Geschäft ansteuern können. Doch dem Radfahrer, der vom Hauptbahnhof zum Lindenauer Markt fahren möchte, dem sollte ein alternativer, sicherer und auch schnellerer Weg angeboten werden.
Die Zeitspanne zur Umsetzung dessen wird wesentlich vom Beteiligungsverfahren gekennzeichnet werden, welches erforderlich ist, um das Angebot mit den Nutzern und den Anliegern gemeinsam zu entwickeln. Radfahrerinnen und Radfahrer sollen auch künftig alle Straßen nutzen können.
Erstaunlicherweise findet sich in Ihrem Programm kein Wort zum Kohleausstieg Sachsens und Leipzigs. Nehmen Sie den für gesetzt und Leipzig steigt 2023 aus dem Fernwärmeliefervertrag aus? Oder wollen Sie diesen Leipziger Weg wieder revidieren?
Der Braunkohleausstieg ist durch die im Bund ausgehandelten Rahmenbedingungen inhaltlich und zeitlich definiert. Hinsichtlich des vorzeitigen Ausstiegs aus dem Fernwärmeliefervertrag bedauere ich, dass man nicht den Konsens mit der Region gesucht hat. Man muss sich dann fragen lassen, ob hier allein die günstigen Fördermittel lockten statt des Ringens um CO2-Einsparung.
Gegenwärtig ergibt sich ein Bild, dass man durch den so gewählten Alleingang eher einen Beitrag zur Erhöhung des CO2-Ausstoßes in der Region insgesamt leistet. Auch hat man dadurch die Angst vor dem Ausstieg im ländlichen Raum eher befeuert anstatt gemeinsam den Weg der Transformation zu gehen.
Sie wollen den Bau des Mittleren Rings wieder auf die Tagesordnung setzen. Haben Sie dazu mit den Verkehrsforschern der TU Dresden gesprochen und sich modellieren lassen, welche Wirkungen das auf Kfz-Besitz, Verkehrsaufkommen und CO2-Einsparung hat? Was kommt dabei heraus? Und wie viel soll der Ausbau allein dieses Straßennetzes kosten?
Wenn wir, und so wird es ja auch von vielen Umweltaktivisten in Leipzig propagiert, den Innenstadtring weitgehend vom KFZ-Durchgangsverkehr freihalten wollen, muss man Alternativen, nicht zuletzt für den Wirtschaftsverkehr anbieten. Diese Alternative ist nach gegenwärtiger Sicht die weitgehende Vollendung des Mittleren Rings.
An manchen Stellen reicht dazu eine geänderte Verkehrsregelung, an anderen Stellen müssen tatsächlich Baumaßnahmen durchgeführt werden. Für die Dimensionierung dessen wird vorrangig der Wirtschaftsverkehr das Maß der Dinge sein. Somit kann ich der Mutmaßung, dass dadurch Verkehr erst erzeugt wird, nicht folgen. Vorhandene Studien der IHK zu Leipzig und der TU Dresden sind dazu sicher auszuwerten.
Laut Ihrer bisherigen Wahlwerbung fordern Sie ein sichereres Leipzig. Fühlen Sie sich als Leipziger unsicher? Warum trauen Sie der Polizei nicht zu, die Sicherheit zu gewährleisten? Wie werden Sie das als OBM ändern?
Sicherheit in einer Großstadt ist eine Daueraufgabe, die jederzeit abgesichert sein muss. Für mich steht nicht die Frage meines subjektiven Sicherheitsempfindens im Vordergrund, sondern der objektive Blick auf die Zahl der Straftaten in einer Großstadt wie Leipzig. Dass diese Zahlen rückläufig sind, ist auch das Verdienst der Arbeit der Polizistinnen und Polizisten.
Trotzdem möchte niemand Opfer von Straftaten werden und ich halte es für richtig, die Polizeiarbeit in Leipzig auch durch mehr Personal zu stärken. Der Freistaat baut das Personal weiterhin aus und es wird die Aufgabe des zukünftigen Leipziger Oberbürgermeisters sein, das Interesse an einer angemessenen Personalausstattung gegenüber dem Freistaat in den kommenden Jahren durchzusetzen.
Welche Aufgaben soll der Stadtordnungsdienst Leipzigs Ihrer Meinung nach zusätzlich übernehmen? Und wie viele zusätzliche Stellen soll es dafür geben?
Mir geht es hier vorrangig um die weitere Verbesserung der Kooperation zwischen den Ämtern. Dazu bedürfen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stadtordnungsdienstes der weiteren Qualifikation. Sie sollen nicht allein die Durchsetzung der Polizeiverordnung der Stadt Leipzig, der Sondernutzungssatzung und so weiter zur Aufgabe haben. Vielmehr sollen sie präventiv agieren können und als Vertrauenspersonen für Jung und Alt anerkannt werden.
Dazu insbesondere bedarf es weiterhin mehr Personals. Im Rahmen eines Diskurses in der Verwaltung ist eine solche Neuausrichtung zu klären und es sind im Ergebnis dieses Beteiligungsprozesses die Zahl der Stellen und die Aufgaben der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter neu zu definieren. Auch muss die Ausrüstung diesen Aufgabenfeldern entsprechend angepasst und zur Verfügung gestellt werden. Ich werde hier niemandem etwas überstülpen.
Wie sollen die Entlastungen für Vielfahrer im Leipziger ÖPNV Ihrer Meinung nach aussehen? Unterstützen Sie das 365-Euro-Ticket oder haben Sie eine alternative Idee?
Die Entlastung der Vielfahrer beginnt für mich bei der Sicherung der Zuverlässigkeit des ÖPNV und der Verbesserung der Angebote, beispielsweise bei Taktdichte und Linien. Dazu sind gemeinsam mit Land und Bund Finanzierungsquellen zu binden, die eine Investitionsoffensive ermöglichen.
Wien hat es uns vorgemacht. Erst muss man investieren, bevor man mit günstigeren Konditionen die Nutzerinnen und Nutzer vom eigenen PKW in den ÖPNV lockt. Und selbst Wien wusste zu berichten, dass die Verbesserung der Angebote viel verlockender war als die Einführung des 365-Euro-Tickets. Meine alternative Idee ist Investition in Angebote statt billigeren ÖPNV mit sinkenden Leistungen.
Ist Ihr Modell, die Vielfahrer nach gefahrener Strecke zahlen zu lassen, schon irgendwo ausprobiert worden? Oder übernehmen Sie da wirklich nur das „E-Roller-Modell“?
In bedeutendem Rahmen wurde dieser Vorstoß in Deutschland bisher noch nicht umgesetzt. Ein in meinen Augen verfolgenswerter Ansatz für Leipzig kann das Ergebnis der Pilotierung digitaler Tarifmodelle sein, welche derzeit in Nordrein-Westfalen vom Verkehrsverbund Rhein-Ruhr erprobt werden. Das Projekt „nextTicket“ fokussiert auf die veränderten Anforderungen, die die Nutzerinnen und Nutzer an den ÖPNV heute und zukünftig stellen.
Für mich ist wichtig, einen einfachen Tarif und leichten Zugang zu allen Mitteln des öffentlichen Personennahverkehrs zu haben – idealerweise im gesamten mitteldeutschen Verkehrsverbund mit unkomplizierten Checkin- und Checkout-Mechanismen. Das wird die Attraktivität des ÖPNV steigern und ist ein Ansatz, den ich für eine Stadt wie Leipzig mit den vorhandenen Verkehrsbewegungen, auch mit Blick auf den Pendlerverkehr zwischen Umland und Stadt, für zukunftsorientiert halte und den ich verfolgen möchte.
In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Hinweise und erste Berichte zu Ihren Verbindungen mit rechtsextremen Kreisen um den Kampfsportler und Gewalttäter Benjamin B. (Imperium Fight Team). In diesem Zusammenhang äußerte der wegen der mutmaßlichen Beteiligung an einem Säureanschlag auf Ihre damalige Leipziger Wohnung Angeklagte Thomas K. vor Gericht sinngemäß, er bekäme Ärger mit seinen Freunden, wenn er sich derart gegen Sie wenden würde.
Wie ordnen Sie diese Aussage ein?
Der damalige Anschlag auf unser Zuhause und meine Familie im Jahr 2015 – im Übrigen in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit meinem Engagement für die Geflüchteten auf der Insel Lesbos – hat uns tief getroffen. Trotzdem habe ich mich zur Bewertung des Sachverhaltes in der Vergangenheit nicht geäußert und werde dies auch weiterhin nicht tun, denn es ist Aufgabe unserer unabhängigen Justiz aufzuklären, wer die Täter sind. Zu meiner persönlichen Haltung zu menschenverachtenden Ideologien führten unter anderem zwei für mich prägende Erfahrungen.
Mich hat als Kind in den 80er Jahren in Leipzig geprägt, trotz des Wunsches andere Länder und Kulturen kennenzulernen, wahrscheinlich nie selber diese Erfahrungen machen zu können. Ich habe mich schon damals über jeden Menschen gefreut, der aus dem Ausland – ob als Austauschstudent aus Afrika oder Gastarbeiter – zu uns kam.
Viele dieser Menschen mussten damals unser Land wieder verlassen und ich habe bedauert, dass diese auch für mich persönlichen Bereicherungen wegfielen. Umso glücklicher war ich, als mit der Friedlichen Revolution alle Wege offenstanden, dass Menschen anderer Nationalität und Herkunft zu uns nach Leipzig kommen konnten und heute Teil unserer Stadtgesellschaft sind.
Eine zweite einschneidende Erfahrung war der Besuch einer jüdischen ehemaligen Leipziger Familie bei uns zu Hause Anfang der 90er Jahre. Mein Vater war Gründungsmitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Leipzig. So kam dieser Besuch damals zustande. Es wird mir immer in Erinnerung bleiben, mit wie viel Wehmut diese ehemaligen Leipziger mit uns die Orte ihrer Kindheit und Jugend besuchten und ich werde nie das Bild der eintätowierten Nummer des Konzentrationslagers auf dem Unterarm des älteren Herrn vergessen, dessen Angehörige alle ermordet wurden.
Für mich ist völlig klar: Nie wieder darf es zu Hass, Intoleranz und Inhumanität kommen. Seit vielen Jahren bin ich selbst Mitglied der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und kämpfe gegen Antisemitismus, Hass und Menschenverachtung. Wir alle tragen eine große Verantwortung und ich werde mich immer gegen diejenigen stellen, die mit einer solchen Geisteshaltung versuchen, unsere Gesellschaft zu vergiften. Auch deswegen habe ich mich im Januar 2016 in die Reihen des zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Legida gestellt.
Ein ehemaliger Kanzleikollege von Ihnen, Denis van Ngoc, trainiert laut vorliegenden Facebookveröffentlichungen im Sportgym des oben genannten Gewalttäters Benjamin B. und lässt sich dabei mit diesem gemeinsam ablichten. Wie ist Ihr Verhältnis heute zu Ihrem ehemaligen Kanzleikollegen, welcher (Stand 16. Februar 2020) mit Ihrer Person auf seiner Kanzleiseite für sich wirbt?
Ich bin nicht dafür verantwortlich, was ehemalige Kollegen oder Bekannte tun oder nicht. Ich habe meinen eigenen Wertekompass, der für mich Maßstab und der für mich Leitfaden meines Handelns ist.
Der Leipziger OBM-Wahlkampf in Interviews, Analyse und mit Erfurter Begleitmusik
Der Leipziger OBM-Wahlkampf in Interviews, Analyse und mit Erfurter Begleitmusik
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