Der Klimaschutz wird von unten kommen, von dort, wo die Bรผrger tatsรคchlich noch ein bisschen Einfluss auf die Politik haben und Kommunalparlamente Beschlรผsse fassen kรถnnen, die wenigstens im lokalen Rahmen den Ausstieg aus umweltzerstรถrenen Technologien mรถglich machen. So auch in Leipzig. Und zumindest unter den OBM-Kandidat/-innen von SPD, Linken und Grรผnen herrscht mittlerweile Konsens, wie auch beim Wahlforum von "Parents For Future" in der Alten Handelsรถrse zu hรถren war.

Die OBM-Wahl-Debatte am 24. Januar 2020 in der Alten Handelsbรถrse

Video: L-IZ.de

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Am Freitag, 24. Januar, blieb kein Stuhl frei: In der รผbervollen Alten Handelsbรถrse wollten รผber 200 Leipzigerinnen und Leipziger von den OBM-Kandidat/-innen wissen, wie sie sich die Umgestaltung der Stadt Leipzig hin zur Klimaneutralitรคt vorstellen.

Die Frage, die Parents For Future Leipzig ganz zentral stellte, war klar: โ€žWie weiter mit dem Klimanotstand?โ€œ

Die Besucher des Abends wurden nicht enttรคuscht: Die Kandidierenden Burkhard Jung (SPD), Katharina Krefft (B90/Grรผne) und Frankiska Riekewald (Linke) erlรคuterten ihre Ideen fรผr die Verkehrs- und Energiewende in Leipzig und stellten sich den Fragen des engagierten Publikums. Diese reichten von der Frage nach der Verkehrs- und Energiewende รผber die Fรถrderung รถkologischen Landbaus bis hin zur Verschattung von Schulgebรคuden.

CDU-Kandidat Sebastian Gemkow hatte absagen mรผssen: Als Wissenschaftsminister konnte er die Klausurtagung der Sรคchsischen Staatsregierung in Oberwiesenthal nicht schwรคnzen.

Die drei anwesenden OBM-Kandidat/-innen waren sich darin einig, dass das 365-Euro-Ticket kommen soll. Alle drei betonten auch, dass nach dem Ausstieg aus der Versorgung der Stadt mit Fernwรคrme durch Braunkohle aus dem Kraftwerk Lippendorf ab 2023 das neue Gasturbinenheizkraftwerk Sรผd รผbergangsweise die Versorgung der Stadt sicherstellen soll.

AnschlieรŸend werde mit klimafreundlichen Technologien, insbesondere Wasserstoff und Blockheizkraftwerken, die klimaneutrale Versorgung gewรคhrleistet, sobald diese bezahlbar und aufgebaut sind.

Fรผr Franziska Riekewald steht fest: โ€žDie Verkehrswende ist das wichtigste Thema beim stรคdtischen Klimaschutz. Neben dem 365-Euro-Ticket muss es allen unter 18-Jรคhrigen ermรถglicht werden, kostenlos Bus und StraรŸenbahn zu nutzen. Wir wollen die selbststรคndige Mobilitรคt fรถrdern und das Elterntaxi vermeiden.โ€œ

Burkhard Jung beschreibt seine Vision so: โ€žDie zentralen Felder der Stadtumgestaltung liegen in den Bereichen Verkehr und Energie. Wir mรผssen sicherstellen, dass die Versorgung der Stadt Leipzig mit Wรคrme und Strom in 20 bis 25 Jahren ohne fossile Brennstoffe gelingt. Dazu mรผssen wir in einem ersten Schritt aus dem Vertrag mit dem Kraftwerk Lippendorf aussteigen. Der siebtgrรถรŸte CO2-Produzent in Europa sollte so schnell wie mรถglich abgeschaltet werden.โ€œ

Katharina Krefft verweist auf den Klimaplan der Grรผnen mit MaรŸnahmen zu Mobilitรคtsproblemen-, Wรคrme- und Klimawende und ergรคnzt darรผber hinaus konkrete Ideen, wie durch die regionale Ausgestaltung der Speiseversorgung in Schulen und Kitas Klimaschutz gestaltet werden kann: โ€žWir mรถchten mit Quartierskรผchen die Versorgung von Schulen und Kitas, aber auch von Pflegeheimen und Anwohnenden im Quartier ermรถglichen. Durch eine regionale Kรผche der kurzen Wege wollen wir auch im Bereich Ernรคhrung auf Klimaschutz achten.โ€œ

Die Alte Bรถrse ist bis auf den letzten Platz gefรผllt. Foto: Parents For Future Leipzig
Die Alte Bรถrse ist bis auf den letzten Platz gefรผllt. Foto: Parents For Future Leipzig

Zu der Erkenntnis, dass die vielen MaรŸnahmen zum Klimaschutz mit erheblichen Investitionen verbunden sind, herrschte ebenfalls รœbereinkunft bei den Kandidierenden. Ohne Fรถrderung aus Bund und Lรคndern gehe es nicht. Der Weg zu umfassenden Klimaschutz funktioniere nur auf allen staatlichen Ebenen gemeinsam. Wie die Lรผcke ohne Fรถrderung geschlossen werden soll, blieb jedoch offen.

Dazu fรผhrte Jung aus, man kรถnne nicht die GroรŸunternehmen mit Milliarden zuschรผtten und die Kommunen, die vor Ort Klimaschutz betreiben, im Regen stehen lassen.

Eine Frage blieb jedoch unbeantwortet: Wieso hatte CDU-Kandidat Sebastian Gemkow kurzfristig abgesagt? Die Klausurtagung der Staatsregierung war bereits seit Langem geplant. รœber die รผberraschende Absage entstand Unmut im Publikum, da es nun nach dem Podium des BUND am 16. Januar schon das 2. OBM-Wahlforum zu Umweltthemen war, an dem Gemkow trotz fester Zusage kurzfristig nicht teilnahm.

Die Moderatorin des Abends, Bettina van Suntum, erklรคrte dazu: โ€žDie Absage hat viele aus dem Publikum enttรคuscht. Einige waren extra gekommen, weil sie die Ideen von Herrn Gemkow zur Verkehrs- und Energiewende hรถren wollten. Auch die Perspektive der Landesregierung und ein Vertreter aus dem bรผrgerlichen Parteienspektrum fehlten dadurch auf dem Podium. Herr Gemkow hรคtte die Diskussion erheblich bereichern kรถnnen. Diese Chance hat er nun verpasst.โ€œ

Eine Publikumsfrage fรผhrte zu einer Zusage bei allen drei anwesenden OBM-Kandidierenden: Die โ€žOmas for Futureโ€œ hatten die Gelegenheit genutzt, um auf ihr Baumprojekt โ€ž600.000 Bรคume fรผr 600.000 Leipziger/-innenโ€œ aufmerksam zu machen und das zukรผnftige Stadtoberhaupt um Unterstรผtzung bei Pflanzung und Pflege der Bรคume zu bitten. Spontan sagten alle drei Kandidierenden zu, die Schirmherrschaft fรผr dieses Projekt zu รผbernehmen.

Bereits zu Beginn der Veranstaltung hatte Prof. Dr. Astrid Lorenz, Vorstandsvorsitzende des Sรคchsischen Kompetenzzentrums Landes- und Kommunalpolitik e. V. und zugleich Dekanin der Politikwissenschaftlichen Fakultรคt der Universitรคt Leipzig, bei ihrer BegrรผรŸung auf folgende Fakten hingewiesen: Der Klimawandel sei ein sehr wichtiges Thema, fรผr alle Generationen, vielleicht sogar das zentralste Thema zurzeit.

Dabei sei zu analysieren, dass die Meinung der Bรผrger zu Klimafragen und zu Lรถsungsansรคtzen noch nicht gefestigt sei. Klar zu erkennen sei jedoch der in der Wissenschaft als โ€žNIMBYโ€œ bezeichnete Fakt: โ€žNot in my backyardโ€œ, was so viel bedeutet wie: Klimaschutz gern โ€“ aber nicht, wenn es in meinem persรถnlichen Leben Kosten und EinbuรŸen bedeutet.

Auf dieses Thema eingehend, verwies Burkhard Jung darauf, dass die Betroffenheit der Menschen noch nicht zu einer Verhaltensรคnderung fรผhre. Diese erreiche man nur durch eine Haltungsรคnderung, also durch intrinsische Motivation. Dazu mรผssten Anreize geschafft werden, damit die Menschen zum Beispiel mehr ร–PNV nutzten.

Auf sein persรถnliches Verhalten und insbesondere auf die Nutzung seines 7er BMW angesprochen, verteidigte er jedoch dessen Notwendigkeit als โ€žfahrendes Bรผroโ€œ, mit dem er 35.000 bis 40.000 km im Jahr zurรผcklege. Daher sei fรผr ihn die Anschaffung eines Hybrid-Fahrzeugs ein wichtiger Kompromiss gewesen.

Den Einstieg in die Diskussion hatte Annegret Janssen, stellvertretende Sprecherin des Jugendparlaments und Vorsitzende des Jugendbeirats gelegt. Sie erlรคuterte in ihrem Impuls die Grรผnde und die Ziele des Beschlusses zur Ausrufung des Klimanotstands, der auf einen Antrag des Jugendparlaments zurรผckging. Zugleich stellte sie die wichtigsten Regelungen der 11 Beschlusspunkte vor und gewรคhrleistete damit einen einheitlichen Wissensstand bei dem Publikum.

Sie stellte klar: โ€žDer Begriff ,Notstandโ€˜ ist politisch motiviert und legitimiert keine Notstandsgesetze. Er beschreibt die Dringlichkeit von KlimaschutzmaรŸnahmen, die nicht aufschiebbar sind, wenn wir unseren Kindern und Enkeln eine lebenswerte Welt hinterlassen wollen.โ€œ

Einige aus dem Publikum wรผnschten sich aufgrund des Klima-Notstands ein radikaleres Vorgehen und beispielsweise auch die Bildung von Klimarรคten. Die Kandidierenden stellten hierbei klar, dass zwar basisdemokratische Elemente und Aktionen hilfreich seien โ€“ nicht zuletzt sei der Erfolg der For-Future-Bewegung darauf zurรผckzufรผhren. Aber der Klimanotstand dรผrfe nicht dazu fรผhren, dass wir unsere reprรคsentative Demokratie auรŸer Kraft setzten.

Die Leipzigerinnen und Leipziger nutzen die Gelegenheit der Ausstellung, Ihre Wรผnsche zur Umsetzung des Klimanotstands fรผr das zukรผnftige Stadtoberhaupt zu hinterlassen. Foto: Parents For Future Leipzig
Die Leipzigerinnen und Leipziger nutzen die Gelegenheit der Ausstellung, Ihre Wรผnsche zur Umsetzung des Klimanotstands fรผr das zukรผnftige Stadtoberhaupt zu hinterlassen. Foto: Parents For Future Leipzig

Die Veranstaltung war flankiert von der Ausstellung โ€ž1.000 Klimawรผnscheโ€œ. Dabei konnten die Leipzigerinnen und Leipziger erstmals einen persรถnlichen Einblick in die โ€žWรผnsche fรผr ein gutes Klima in Sachsenโ€œ nehmen. Nachdem am Mittwoch, 8. Januar, Vertreter/-innen der Leipziger und Chemnitzer Ortsgruppe der โ€žParents for Futureโ€œ gemeinsam mit den โ€žOmas for Futureโ€œ auf Einladung dem Ministerprรคsidenten des Freistaats Sachsen, Michael Kretschmer, symbolisch 1.000 Klimawรผnsche รผbergeben haben, wurden diese Wรผnsche nun dem Leipziger Publikum zugรคnglich gemacht.

Bei der Gelegenheit konnte das Publikum im Nachgang zur Podiumsdiskussion seine Klimawรผnsche notieren, die es an das neue Stadtoberhaupt richten mรถchte. Die Wรผnsche und die Ausstellung sollen nach der Wahl dem oder der neuen OBM รผbergeben werden.

Am Mittwoch รผbergeben sรคchsische โ€žfor Futureโ€œ-Gruppen 1.000 Klimawรผnsche an Ministerprรคsident Kretschmer

Am Mittwoch รผbergeben sรคchsische โ€žfor Futureโ€œ-Gruppen 1.000 Klimawรผnsche an Ministerprรคsident Kretschmer

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