Eine Verwaltung von mehreren tausend Mitarbeitern zu fรผhren, hat in jedem Fall etwas mit Kompetenz und einer gehรถrigen Portion Erfahrung im Handels- und Fรถrdergeldgeflecht von Bund, Land und Kommune zu tun. Ginge es jedoch ausschlieรŸlich darum, kรถnnte man nach dem gestrigen Abend einen Haken an den OB-Wahlkampf Leipzigs machen und einen Zweikampf zwischen Burkhard Jung (SPD) und Sebastian Gemkow (CDU) ansetzen. All zu oft jedenfalls ging es beim Thema Digitalisierung um bereits Getanes, sodass fรผr wirklich Neues, Visionรคres kaum Platz blieb.

Am 8. Januar fand eine von mehreren Leipziger Diskussionen zur (ersten Runde) der Oberbรผrgermeisterwahlen am 2. Februar 2020 statt. Das SpinLab und der Medienstadt Leipzig e.V. hatten die Kandidaten eingeladen, sich in der Moritzbastei รผber die StartUp-Szene und die Zukunft der Internet-Wirtschaft in Leipzig zu unterhalten.

Auf dem Podium (von links nach rechts): Marcus Viefeld (FDP), Katharina Subat (Die Partei), Sebastian Gemkow (CDU), Franziska Riekewald (Die Linke), Burkhard Jung (SPD), Katharina Krefft (Bรผndnis 90/Die Grรผnen), Ute Elisabeth Gabelmann (Piraten, Humanisten, ร–DP & Demokratie in Bewegung) und Christoph Neumann (AfD).

Moderation: (links) Dr. Eric Weber, SpinLab und (rechts) Prof. Wolfgang Kleinwรคchter, Medienstadt Leipzig e.V.

Video: L-IZ.de

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Ist Leipzig ein โ€ždigitaler Hotspotโ€œ der Republik?

Wohl eher nicht; bei vielen Fragen steht die nun รผber 600.000 Einwohner-Stadt noch am Beginn โ€“ so richtig Bundesliga ist man noch nicht. Noch immer herrscht in vielen Schulen โ€žKreidezeitโ€œ, auch Lehrer/-innen seien nicht immer auf der Hรถhe der Zeit ihrer Schรผler, wenn es um den Umgang mit โ€ždem Netzโ€œ geht und das freie WLan der Stadt bezeichnet OB-Kandidatin Ute Elisabeth Gabelmann als eher lahm. Die Datenrate ist noch lange nicht dort, wo sie sein kรถnnte.

Zum Einstieg hatte Katharina Krefft (Grรผne) noch einmal erlรคutert, wie die erst vor wenigen Tagen gewรคhrten 27 Millionen Euro aus dem Digitalpakt des Bundes in Leipzig noch genutzt werden sollen. Es sei wichtig, dass bald an allen Haltestellen der LVB โ€žWLan verfรผgbar ist, aber auch in Parks, Schwimmbรคdern und รถffentlichen Gebรคudenโ€œ, so OB-Kandidatin Krefft.

Bereits hier deutete sich die fast schon gemรผtliche Einigkeit des Abends an, Widerspruch unter den Kandidaten blieb weitgehend aus, auch bei dem weiteren Vorantreiben der Verwaltungsdigitalisierung zeigte sich eher ein gemeinsamer Wille.

Franziska Riekewald jedenfalls verwies zu Beginn auf eine nicht zu unterschรคtzende Gefahr in der รœberlassung wichtiger Daten โ€“ von LVB-Nutzerdaten zum Beispiel โ€“ an private Firmen. Wรคhrend sich die Stadt Leipzig โ€“ so auch das Eingestรคndnis von Burkhard Jung โ€“ kostenintensiv an SAP gebunden hat und โ€žnun ganz schlecht da wieder rauskommtโ€œ (Jung), hat sie in einer Privatfirma gute Erfahrungen mit Open Source Software sammeln kรถnnen.

Auch Krefft stimmte dem spรคter zu, Open Source sei besser als beispielsweise Microsoft, da man preiswerter und breiter aufgestellt sei. In einer Replik verwies Jung auf die eigenen Erfahrungen Leipzigs, bei denen man โ€žzรคhneknirschendโ€œ von diesem Weg wieder abgekommen und nun eben bei SAP angekommen sei.

Um Geld ginge es bei beiden Wegen, so eine indirekte Bemerkung aus dem Publikum, um digitale Kompetenz bei der Programmierung von Zusatzlรถsungen vor allem bei Open Source wohl ebenfalls.

Riekewald plรคdierte zum Einstieg der Debatte fรผr die Wiederauflage eines echten โ€žMittelstandfรถrderprogrammes, wie es das bereit einmal in Leipzig gegeben hat. Immerhin sind damals 17 Prozent auch in die Digitalwirtschaft geflossen.โ€œ Widerspruch gab es auch dazu keinen, bis auf den von Marcus Viefeld (FDP), welcher spรคter am Abend doch noch darauf hinwies, dass nicht immer alles mit Fรถrdermitteln zu lรถsen sei.

โ€žEinfach mal machen lassenโ€œ, so der Programmierer, der schon aus beruflichen Grรผnden bei der Digitaliserung der Verwaltung eh โ€žalles andersโ€œ machen wรผrde. Schneller auch, denn, so Viefeld, die Debatte rings um die digitale Verwaltung laufe nun schon viel zu lang, wรคhrend zu wenig geschieht.

Politik und Verwaltung erklรคren

Was Burkhard Jung auch in diesem Wahlkampf sehr gut versteht, ist nach 14 Jahren Oberbรผrgermeisterposition in Leipzig auf Podiumsdebatten Politik und Verwaltung zu erklรคren. Im Zweifel fehlte es (real) in den vergangenen Jahren am nรถtigen Geld, der Unterstรผtzung vom CDU-gefรผhrten Land Sachsen (oder aus dem Bund, siehe der nun angelaufene Digitalpakt fรผr die Schulen) und dennoch, so Jung am gestrigen 8. Januar, stรผnde Leipzig im Vergleich zu anderen sรคchsischen Stรคdten gut da.

Auch Sebastian Gemkow wurde als Ex-Justizminister und aktueller Wissenschaftsminister sofort auf seine Erfahrungen in der Staatsregierung Sachsens angesprochen, was ihm den Raum erรถffnete, die Umbaubemรผhungen des Freistaates zu schildern. Was Jung seinerseits fรผr die Stadtverwaltung nur durch andere Redebeitrรคge bestรคtigen konnte, wobei er auf die Arbeit der stadteigenen IT-Firma Lecos verwies, welche Daten und Datenschutz im Namen der Bรผrger betreibe. So gรคbe man zum Beispiel LVB-Daten nicht an Dritte, denn Daten seien โ€ždas Uran der heutigen Zeitโ€œ.

Der Weg zur digitalen Akte sei zudem laut Gemkow zum Beispiel davon geprรคgt, dass hier vor allem Programmierfehler zu groรŸen Problemen fรผhren kรถnnen. Anfangs sei eine solche Umstellung sogar personalintensiver und brauche mehr Zeit, als sich mancher vorstellen kรถnne. Den dabei lรคngst eingetretenen Fachkrรคftemangel sprach spรคter โ€“ gegen eine eher zur Belustigung beitragenden Stoppuhr anredend โ€“ Katharina Krefft (Grรผne) nochmals explizit an.

Was Christoph Neumann zu einem Angebot an die im Publikum sitzenden Digital-Profis trieb, sich โ€žwenn ich Oberbรผrgermeister der Stadt Leipzig werdeโ€œ, mit diesen zusammenzusetzen, da er โ€žvon ihnen lerneโ€œ, wie der Weg zur Digitalen und โ€žsmarten Cityโ€œ gelingen kann. Besonders viel Freude schlug dem AfD-Bundestagsabgeordneten bei dieser Einladung nicht entgegen, Lust auf ein Treffen jedenfalls sieht wohl anders aus, als bei den im Raum sitzenden Vertretern des SpinLab und dem Medienstadt Leipzig e.V.

Ebenfalls keine Lust auf die Art der Datenspeicherung (Archivierung auch von persรถnlichen Daten), wie in anderen Lรคndern bereits รผblich, hatte Ute Elisabeth Gabelmann (Piraten), vor allem nicht nach einem Beispiel Neumanns dazu, dass man in einem skandinavischen Land sogar digital leicht herausbekommen kรถnnte, wer da โ€“ in seinem Fallbeispiel weiblich โ€“ vor einem auf der StraรŸe im Auto fรคhrt.

Im Verlauf drehte sich die Diskussion, unterstรผtzt durch Fragen aus dem Publikum, weiter um die Frage, wie tief am Ende die Digitalisierung in den Alltag der Menschen eingreifen wird. Auch hier โ€“ man ahnt es โ€“ Einigkeit darรผber, dass sich Mรถglichkeiten und zu beachtende Datenschutzfragen und โ€žletztlich alle Lebenswelten erfassenโ€œ (Krefft).

Minutenlang spielte dabei auch das neue Dezernat โ€žDigitalisierungโ€œ der Stadtverwaltung Leipzigs eine Rolle, welches noch keinen Leiter oder Leiterin hat, und ob es nicht eigentlich โ€žChefsacheโ€œ sei โ€“ in Richtung Jung. Der widersprach, dass man ja jeden Beigeordneten abschaffen kรถnne, wenn alles Chefsache sei. Alle Dezernate seien gefragt, Digitalisierung mitzudenken.

Moderation, Publikum und Fazit

Fast alle Fragen, Hinweise und Einwรผrfe liefen letztlich auf einen Oberbรผrgermeister zu, der wortreich aus einer aus seiner Sicht sehr gut funktionierenden Verwaltung zu berichten wusste. Der neue Standard 5G und die Mรถglichkeiten dadurch wurden nur kurz angesprochen, ein echtes Praxisbeispiel kam eher aus dem Publikum (mit Sensoren moderne Verkehrszรคhlungen, statt per Auge und Hand durchzufรผhren) und dann noch die Frage, warum die Stadt gemeinsam mit weiteren Partnern nicht pro Jahr nur ein paar wenige Ideen richtig fรถrdere. Mit richtig war also โ€žrichtig Geldโ€œ, langfristigere Fรถrderungen und nachhaltiger Aufbau und keine Minizuschรผsse gemeint.

Dass dem bereits so sei, so Jung, darf man zwar bezweifeln (geht man fรผr wirkliche Innovationen, also รผber eine neue Wald- und Wiesen-App mal hinaus), aber um die Frage, wie viele Millionen denn dafรผr so im Jahr eingesetzt wรผrden und was fรผr namhafte Firmen und Produkte aus dieser Fรถrderung so hervorgegangen sind, kam der amtierenden OB mangels Nachfragen herum.

Was leider auch den beiden Moderatoren (im Video links) Dr. Eric Weber, SpinLab und (rechts) Prof. Wolfgang Kleinwรคchter, Medienstadt Leipzig e.V. geschuldet sein mag. Fachlich sicher gut vorbereitet, gelang es beiden letztlich auf der politischen Ebene nicht, die Kandidaten aus der Reserve zu locken, mit hรคrteren Nachfragen zu konfrontieren und gerade den Amtsinhaber mit anderen Fakten zu konfrontieren.

Dies unterlieรŸen auch (noch) die Gegenkandidat/-innen in dieser Runde. Katharina Subat (Die PARTEI) wird sicherlich eines der noch folgenden Podien nutzen, um sich mehr zu Wort zu melden (etwas, was an diesem Abend die Fragesteller ihrer Partei aus dem Publikum รผbernahmen) und Katharina Krefft suchte wie auch Franziska Riekewald noch den richtigen Hebel zur Kritik am Amtsinhaber.

Leider blieb die Debatte so auch zu lange bei der Digitalisierung der Verwaltung oder der stadteigenen L-Gruppe hรคngen, konkret wurde es am 8. Januar in der Moritzbastei rings um smarte Lรถsungen fรผr den Verkehr, die Energieversorgung und so manche weitere Anwendung eher nicht. Was man unter dem Namen โ€žMedienstadt Leipzigโ€œ und dem Innovationstreiber SpinLab hรคtte erwarten kรถnnen, blieb so an vielen Stellen zu unkonkret.

Dass รผber digitale Medien im Wortsinn, hier also der lรคngst stattfindende Umbau der gesamten Online-Medien- und Nachrichtenwelt als Teil der Stadtgesellschaft, gar nicht gesprochen wurde, daran hat man sich in der โ€žMedienversuchsstadtโ€œ hingegen bereits fast schon gewรถhnt. Folgerichtig wohl auch, dass am Ende der Veranstaltung die merkwรผrdig-berechtigte Frage auftauchte, wer denn nun eigentlich die Debatte gefilmt hat und verbreiten wรผrde.

Weitere Termine

Das nรคchste spannende Podium dรผrfte die Wirtschafts-Debatte der IHK zu Leipzig (Video und Artikel) werden. Diese startet am Montag, 13. Januar 2020, 18 Uhr, in der Hauptpost am Augustusplatz. Spรคter, am 24. Januar 2020, folgt dann unter anderem die โ€žKlimanotstandโ€œ-Debatte der Parents for Future, gemeinsam mit dem Sรคchsischen Kompetenzzentrum fรผr Landes- und Kommunalpolitik e.V., ab 17 Uhr in der Alten Handelsbรถrse.

300 zusรคtzliche Polizisten fรผr Leipzig sind nichts als heiรŸe Luft

300 zusรคtzliche Polizisten fรผr Leipzig sind nichts als heiรŸe Luft

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