Leipzig ist eine schöne Stadt. Kalenderblätterreif, könnte man sagen, eigentlich bestens geeignet für Großformate. Auch wenn der Sax Verlag sich diesmal entschlossen hat, die schönen Leipzig-Motive im Tischkalender-Format zu drucken: Augustusplatz, Völkerschlachtdenkmal, Gasometer, Naschmarkt ... Passt in jedes Päckchen und macht auch Auswärtige neugierig auf zwölf Sehenswürdigkeiten, die man gesehen haben sollte.
Das Juni-Foto lädt direkt ein in einen schönen Vorgarten und zu einem kleinen Wohnpalais, das die Bilderklärung an der Elsterstraße verortet. Es ist die Elsterstraße 33, das ehemalige Wohnhaus der legendären Leipziger Fotografin Bertha Wehnert-Beckmann. Am Torweg erinnert seit 2015, dem 100. Geburtstag der Fotografin, eine Erinnerungstafel an die Frau, die zu ihrer Zeit praktisch alle fotografierte, die in Leipzig Rang und Namen hatten.
Eigentlich war sie schon drauf und dran, in den USA Karriere zu machen. Aber 1851 kehrte sie nach Leipzig zurück und hatte so viel Erfolg, dass sie 1866 das prachtvolle Wohnhaus am Elstermühlgraben in Auftrag geben konnte. Im Nebengebäude richtete sie ihr neues Atelier ein. Über 4.000 Aufnahmen aus ihrer Werkstatt haben sich erhalten.
Man vergisst mit dem Blick auf das Haus beinah, dass Leipzig zu ihrer Zeit – verglichen mit der Gegenwart – eine kleine Stadt war. Gerade einmal die 100.000-Einwohner-Marke überschritt, als sie das Grundstück in der neu entstehenden Westvorstadt kaufte und praktisch noch mitten in gerade urbar gemachtem Land ihr stilvolles Haus bauen ließ.
Andererseits konnte sie von ihrem Grundstück aus die Dampfboote beobachten, die zwischen dem innerstädtischen Mühlgraben und dem im Bau befindlichen Kanal, der heute den Namen des Bauherrn Karl Heine trägt, pendelten und auch von den Leipzigern gern zu Ausflügen genutzt wurden.
Würde sie heute von ihrem Grundstück über den Zaun schauen, würde sie auf die Wiese des Poniatowskiplans schauen. Der Elstermühlgraben ist hier noch unterirdisch verrohrt.
Aber das soll sich ändern. Für 17 Millionen Euro soll ab 2020 der letzte noch fehlende Abschnitt zwischen Lessingstraße und Elsterstraße geöffnet werden, sodass wohl 2022 der Elstermühlgraben endgültig freigelegt sein wird.
Das August-Blatt im Kalender zeigt dann übrigens den Steg kurz vorm künftigen Stadthafen, der für 7 Millionen Euro ebenfalls in den Jahren 2020 bis 2022 gebaut werden soll. Wobei es hier erst einmal nur um das Hafenbecken und die zugehörigen Anlagen geht, wie die Landesdirektion Sachsen am 10. Oktober meldete: „Die Stadt Leipzig beabsichtigt die Errichtung eines Hafenareals mit einem Hafenbecken und öffentlichen Freiflächen (Promenade, Zuwegungen und Plätze), die barrierefrei erreichbar sein werden.“
Die Bebauung mit Service-, Werkstatt- oder auch Büro- und Wohngebäuden im Randbereich soll weiterhin von Privaten hingestellt werden.
Wobei man sich da unwillkürlich an den 2006 gestarteten Versuch der Leipziger Stadtverwaltung erinnert, den ganzen Hafen von einem privaten Investor entwickeln zu lassen, felsenfest davon überzeugt, dass Investoren auf so ein Modell unbedingt anspringen würden und gleichzeitig auch noch lauter neue Arbeitsplätze entstehen.
An den Zahlen, die damals errechnet wurden, berauscht man sich noch heute. Sie tauchen immer wieder auf, wenn Leipzigs Verwaltung versucht, die ganzen Ausbaumaßnahmen im Wassertouristischen Nutzungskonzept (WTNK) als echte Wirtschaftsinvestition zu verkaufen.
Damals las sich das so: „In einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung der Deutschen Marina Consult zur Entwicklung des Gewässertourismus in der Region Leipzig wird auch die Neuschaffung von Arbeitsplätzen prognostiziert. Neben einer gewissen, neu hervorgebrachter (sic!) Anzahl von direkten Arbeitsplätzen ist danach unter Voraussetzung der Existenz des Stadthafens der Wassertourismus als ein stabiler Wirtschaftsfaktor anzusehen, dass eine 6–8-fache Wirkung auf dem indirekten Arbeitsmarkt erzielt werden kann.“
Da fehlt zwar noch ein Wort, aber die Satzkonstruktion entspricht der behaupteten Wirkung.
Das ging noch weiter: „Betrachtet man diesen Wert, so wird deutlich, dass der Wassertourismus erhebliche indirekte ökonomische Wirkungen mit sich bringt und er somit als Katalysator des indirekten Arbeitsmarktes zu verstehen ist. Nicht zu vernachlässigen sind die aus dem Wassertourismus entstehenden Umsätze sowie kommunale Steuermehreinnahmen.“
Das Vorhaben ist bekanntlich zwei Mal gescheitert. Kein vernünftiger Investor sah in dem Projekt auch nur den Zipfel eines Projekts, in das sich zu investieren lohnen würde.
Aber vorgestellt wurde das Projekt ja nicht grundlos 2006, denn es ist das „Herz“ des damals konzipierten WTNK, das die im Grünen Ring versammelten Kommunen unter Federführung von Leipzig 2019 gern weiterschreiben wollten. Doch schon vorher stand es unter massiver Kritik, denn bei etlichen Einzelvorhaben, die seit 2006 umgesetzt wurden, kam es immer wieder zu Verstößen gegen geltendes Umweltrecht.
Alle, wirkliche alle Umweltverbände sprachen sich gegen eine Fortschreibung dieses „Wirtschaftsförderungskonzepts“ aus. Sie forderten für das ganze Paket eine Umweltverträglichkeitsprüfung, denn in der Summe ist das WTNK ein gewaltiger baulicher Eingriff in Gewässer und Landschaftsschutzgebiete.
Was dazu führte, dass extra ein Runder Tisch eingerichtet wurde, an dem die kommunalen Verantwortlichen für das WTNK mit den Umweltvereinen beraten wollten, wie man mit der Fortschreibung nun umgehen wolle.
Doch schon im Sommer stellte sich heraus, dass die kommunalen Verhandlungsführer überhaupt nicht daran dachten, das WTNK aufzuschnüren oder gar endlich die Umweltthemen zu priorisieren. Es kam zum großen Eklat: Die Umweltvereine verließen das Gremium. Und sind auch nicht wieder zurückgekehrt, auch wenn gerade Leipzigs Umweltdezernat versucht hat, sie zurückzuholen.
Der Stadthafen ist also das „Herzstück“ eines WTNK, das in weiten Teilen die umweltrechtlichen Belange nicht berücksichtigt und in anderen Teilen auch längst gescheitert ist. Als der Stadthafen 2006 propagiert wurde, träumte Leipzigs Verwaltung noch davon, dass man von hier aus mit „motorgetriebenen Mehrpersonenbooten (Leipzigboot), Fahrgastschiffen, Segelbooten“ zum Cospudener und zum Zwenkauer See würde fahren können.
Und eine Zeit lang durfte ein Teil davon ja auch durch den Floßgraben fahren – bis die Umweltvereine zu Recht an die Decke gingen, das Eisvogelmonitoring eingeführt wurde und eine begründete Klageandrohung dazu führte, dass die rücksichtslosen Entkrautungen im Floßgraben eingestellt werden mussten.
Diese rigide Entfernung der wertvollen Unterwasservegetation war allein für die wirtschaftliche Nutzung des Floßgraben nicht begründbar. Sodass nur noch Kanus und Paddelboote den Kurs 1 befahren können. Und die brauchen nun einmal keinen Hafen, auch keinen Stadthafen.
Und im Grunde erledigt hat sich auch der „wassertouristische“ Traum, vom Stadthafen über Kurs 5 zum Markkleeberger See fahren zu können. Die Pleiße hat man dafür zwar schon ausgebaggert. Aber die geplante „Markkleeberger Wasserschlange“ ist bislang an einem ganzen Berg von wasserrechtlichen und umweltrechtlichen Rahmenbedingungen gescheitert.
Der Bergbausanierer LMBV, der sie bauen soll, hat das Projekt erst einmal auseinandergenommen und prüft im ersten Schritt, wie die Hochwasserabführung aus dem Markkleeberger See geklärt werden kann. Den Versuch, doch irgendwie einen Kanal von der Pleiße zum Markkleeberger See zu bauen, will man extra prüfen. Ergebnis: offen.
Birgit Röhling, Tischkalender „Leipzig 2020“, Sax Verlag, Beucha und Markkleeberg 2019, 5,95 Euro.
Die Leipziger Fotografin Bertha Wehnert-Beckmann und das posierende Bürgertum der Gründerzeit
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