Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) und Vertreter/-innen der Fraktionen im Stadtrat haben sich am Donnerstag, den 7. November, mit politisch motivierter Gewalt in Leipzig befasst. Anlass waren die jüngsten Angriffe auf Baustellen, Polizist/-innen und eine Mitarbeiterin einer Immobilienfirma. Während sich die Fraktionen bei der Ablehnung von Gewalt einig waren, gab es bei der Benennung der größten Gefahren unterschiedliche Schwerpunkte.
Nach den jüngsten Angriffen auf Polizist/-innen, Baustellen und eine Mitarbeiterin einer Immobilienfirma haben Stadt und Freistaat reagiert. Am Mittwoch, den 6. November, kündigten Sachsens Innenminister Roland Wöller und Justizminister Sebastian Gemkow (beide CDU) an, eine Sonderkommission für „Linksextremismus“ zu gründen – eine sogenannte Soko LinX.
Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), der Anfang kommenden Jahres genau wie Gemkow bei der OBM-Wahl antreten wird, hatte sich zuletzt wiederholt mit drastischen Worten geäußert. Er sprach im Zusammenhang mit dem Brandanschlag auf Baukräne in der Prager Straße von „Terrorismus“ und warnte nach dem Angriff auf die Mitarbeiterin einer Immobilienfirma, dass der Weg zu politischen Morden nicht mehr weit sei.
Bereits in der Ratsversammlung am 30. Oktober hatte Jung angekündigt, in der Sitzungsfortsetzung am 7. November zur politisch motivierten Gewalt in Leipzig reden zu wollen. Die AfD-Fraktion hatte zudem eine „Aktuelle Stunde“ zum Thema „Linksextremismus“ beantragt. Jung und die AfD einigten sich darauf, beides miteinander zu verbinden.
„Die Situation in unserer Stadt bereitet mir große Sorgen“, sagte Jung zum Auftakt des Tagesordnungspunktes „Bericht des Oberbürgermeisters“ und verwies auch auf frühere Bedrohungen, die gegen ihn selbst gerichtet waren. „Das steckt man nicht so einfach weg.“
Bei den jüngsten Gewalttaten sehe er „terroristische Anfänge“. Jung verglich die aktuelle Situation mit den Anfängen der linken Terrororganisation RAF. Jung sprach sich gegen jede Gewalt und für einen fairen Wettstreit unterschiedlicher Meinungen aus. Zugleich wünschte er sich einen genauen Blick auf Connewitz: „Dort leben 19.000 Menschen. Die meisten Menschen distanzieren sich von Gewalt.“
Vertreter/-innen der Fraktionen, die anschließend zu Wort kamen, distanzierten sich ebenfalls von jeglicher Gewalt. „Die Ereignisse machen meine Fraktion und mich fassungslos“, sagte etwa Oliver Gebhardt von der Linken. „Gewalt ist für uns kein Mittel.“ Zugleich kritisierte er die geplante Sonderkommission für „Linksextremismus“, die keine Probleme lösen werde.
Katharina Krefft (Grüne) kritisierte in diesem Zusammenhang den „Alleingang“ der CDU-geführten Ministerien. Es habe keine Absprache mit der Stadt oder den möglichen Koalitionspartnern gegeben. Krefft, die Anfang nächsten Jahres selbst als Oberbürgermeisterin kandidieren möchte, rief dazu auf, bei diesem Thema „kein Wahlkampfgetöse“ zu veranstalten.
Mit den Worten „Der Terror ist unter uns“ eröffnete Michael Weickert aus der CDU-Fraktion seine Rede. Aktuell gebe es eine „seit den 70ern nie dagewesene Situation“. Weickert kritisierte sowohl Linke-Stadträtin Juliane Nagel, an deren Abgeordnetenbüro es einen „Aufruf zur Lynchjustiz“ gegeben habe, als auch Oberbürgermeister Jung, der Hausbesetzer zum Kaffeetrinken eingeladen habe.
Weickert spielte damit auf ein satirisches Fahndungsplakat an, das im Nachgang des G20-Gipfels bundesweit veröffentlicht wurde, und auf die Besetzung der ehemaligen Führerscheinstelle in der Platostraße im März 2016. Aktivist/-innen wollten dort ein soziales Zentrum für Geflüchtete, Arbeitslose und andere benachteiligte Gruppen einrichten. Im Neuen Rathaus gab es ein Treffen mit Jung; anschließend wurde die Besetzung beendet.
Der AfD-Stadtrat Siegbert Droese forderte Jung dazu auf, den „Kampf gegen linke Gewalt“ zur Priorität in der verbleibenden Zeit bis zur Oberbürgermeisterwahl zu erklären. Neben ihm seien auch eine angeblich zu milde Justiz sowie ein tatenloser Polizeipräsident für die Gewalt mitverantwortlich.
Christopher Zenker (SPD) richtete sich in seiner Rede ebenfalls an verschiedene Akteure. Er sagte, dass die AfD zum strukturellen Problem des Rechtsextremismus gehöre, indem sie diesen immer wieder verharmlose, dass die linken Gewalttäter aus Connewitz den Stadtteil spalten würden und dass er froh sein, dass der Angriff auf die Mitarbeiterin der Immobilienfirma „von vielen linken Milieus verurteilt“ worden sei.
Abschließend wies FDP-Stadtrat Sven Morlok (Freibeuter) den Oberbürgermeister darauf hin, dass die Betonung, es habe sich um eine „wehrlose Frau“ gehandelt, den Eindruck erwecken könnte, dass ein Angriff auf einen Mann weniger schlimm gewesen wäre. Zudem argumentierte Morlok, dass bereits Bezeichnungen wie „Heuschrecken“ und „Immobilienhaie“ problematisch seien.
Oberbürgermeister Jung erklärte abschließend, dass er nach einem Format suchen werde, um die Debatte fortzuführen. Der Redebedarf im Stadtrat war nach den ersten Wortmeldungen aus den Fraktionen weiterhin hoch – allerdings waren die für die Debatte angesetzten 30 Minuten bereits abgelaufen.
Video der Debatte am 7. November 2019 im Stadtrat
Video: Livestream der Stadt Leipzig
Oberbürgermeister Jung warnt nach Angriff auf Mitarbeiterin einer Immobilienfirma vor politischen Morden
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