Seit ein paar Jahren produziert Leipzig jedes Jahr Haushaltsüberschüsse. Auch 2019 wird es wahrscheinlich einen Haushaltsüberschuss geben, hat Finanzbürgermeister Torsten Bonew anhand der Finanzlage im Juni ausrechnen lassen. „Nach aktueller Hochrechnung wird eingeschätzt, dass für 2019 im Ergebnishaushalt ein Überschuss in Höhe von 13,6 Mio. EUR und im Finanzhaushalt ein Defizit in Höhe von 169,2 Mio. EUR zu verzeichnen sein wird.“ Ein Defizit? Nicht wirklich.
Denn dahinter steckt das, was Bonew seit Jahr und Tag erleben kann: Verwaltung und Stadtrat beschließen jedes Jahr immer größere Investitionspakete. Der Spielraum im Haushalt ist da. Leipzig hat sich – auch bedingt durch das Bevölkerungswachstum – freigeschwommen, auch wenn die Landesdirektion bei jeder Begutachtung des Haushaltsbeschlusses versucht, ein paar schwache Stellen zu finden. Und so wie die Sächsische Staatsregierung tickt, gibt es immer irgendwelche Schwachstellen, und wenn es nur die Gefahr ist, dass sich eine Stadt wie Leipzig bei Kreditaufnahmen überheben könnte.
Und Kredite hatte Bonew natürlich auch im Doppelhaushalt 2019/2020 vorgesehen. Schon allein deswegen, weil die Förderpolitik der Staatsregierung eher ein Knauserregime à la Ebenezer Scrooge ist. Das Geld wird lieber in milliardenschweren Fonds gespeichert, statt es für dringend notwendige Investitionen in den Kommunen auszureichen. Die können dann so viele Schul- und Straßenbaustellen beschließen wie sie wollen – das heißt noch lange nicht, dass sie dafür auch Fördergelder bekommen.
Und die vom Freistaat z. B. für Schulneubau bereitgestellten Fördergelder decken nicht einmal ein Drittel der 180 Millionen Euro, die OBM Burkhard Jung dafür eigentlich ausgeben wollte. Heißt im Klartext: Er plante auch schon im Februar damit, dass einige dieser Projekte völlig aus eigener Kraft finanziert werden müssten.
Aber auch das klappt nicht. Ein Projekt um das andere kommt später an den Start.
Und das bekommt auch der Finanzbürgermeister zu spüren. Denn was nicht gebaut wird, muss er auch nicht finanzieren. Das spiegelt sich dann in diesem „Defizit“ im Finanzhaushalt.
Ein Defizit ist es tatsächlich, denn Leipzig rechnet seit Jahren ja in der doppischen Haushaltsführung. Heißt im Klartext: Im Finanzhaushalt spiegeln sich auch Wertverfall und Wertzuwachs des städtischen Vermögens. Das heißt: Es wird sofort sichtbar, wenn die Stadt durch Abschreibungen z. B. mehr Wertvermögen verliert, als durch Neubau oder Modernisierung/Sanierung wieder dazukommen.
Und dazu schreibt das Finanzdezernat jetzt in seiner Vorlage: „Mit der Meldung zum VIST liquiditätswirksam (Stichtag 30.06.2019) wurde durch alle Fachämter prognostiziert, wie die einzelnen Investitionsprojekte im Verlauf des Jahres umgesetzt werden können. Aufgrund der vorangegangenen Auswertungen wurden die Fachämter/-dezernate/-referate im Rahmen der Erstellung des vorliegenden Finanzberichtes zu einer realistischen Einschätzung der in 2019 tatsächlich fließenden Mittel aufgefordert. Ein gesonderter Hinweis zur Einschätzung von Investitionsmaßnahmen ist auch im Rahmen der Hausmitteilung zum Finanzbericht 30.06.2019 an die Fachämter gegangen. Die eingeschätzten Prognosen für die Investitionsmaßnahmen sind durch die Budgetverantwortlichen explizit bestätigt worden. Des Weiteren wurden die Budgetabweichungen Mitte September im Rahmen der Festlegung des Oberbürgermeisters nochmals einer Prüfung unterzogen und grundsätzlich von den jeweiligen Fachdezernenten bestätigt.“
Das Ergebnis ist: Die von OBM Burkhard Jung im Februar noch verkündeten Investitionen in Milliardenhöhe lösen sich – wie in den Vorjahren – in Luft auf.
„Entsprechend den vorgenommenen Angaben der Fachämter wird bei einem Planansatz von 327 Mio. EUR und übertragenen Ansätzen aus Vorjahren von 330 Mio. EUR eingeschätzt, dass von diesen Auszahlungsansätzen (in Summe 657 Mio. EUR) in 2019 zum Jahresende 293 Mio. EUR, also ca. 45 % abfinanziert werden und die Liquidität zum Ende des Jahres entsprechend geschmälert wird“, beschreibt das Finanzdezernat die Lage aus seiner Sicht. „Diese Prognose wird durch das Dezernat Finanzen im Vergleich zu Finanzberichten vergangener Haushaltsjahre als realistisch eingeschätzt.“
Aus den vom OBM verkĂĽndeten 657 Millionen Euro, die allein die Stadt in diesem Jahr ausgeben wollte, werden absehbar wohl nur 293 Millionen Euro. Die anderen verkĂĽndeten Projekte wurden schlicht nicht umgesetzt oder begonnen, reihenweise wieder in zukĂĽnftige Haushaltsjahre verschoben.
Und das Ergebnis ist so nebenbei, dass der Berg von ins nächste Jahr übertragenen Ausgaberesten weiter wächst.
Burkhard Jung hatte zwar in Aussicht gestellt, dass man die entsprechenden Ämter mittlerweile fitter gemacht habe, was die Durchführung von Antragstellungen, Ausschreibungen und Bauplanverfahren betreffe. Aber sichtlich nicht so fit, dass es Leipzig tatsächlich gelingt, die Projekte auch dann umzusetzen, wann man sie geplant hat.
Etwas besser sei es ja geworden, gesteht der Finanzbürgermeister zu: „Zwar ist im Vergleich zum Vorjahr ein positiver Trend bei den Auszahlungen zu beobachten, eine verlässliche Aussage, ob sich dieser im weiteren Jahresverlauf 2019 fortsetzt, kann erst mit dem Finanzbericht zum 30.09.2019 getroffen werden. Eine Abfinanzierung in der Größenordnung des Planansatzes zzgl. der aus Vorjahren übertragenen Reste (akt. Plan) zur Verfügung stehenden Mittel wird auch in 2019 nicht möglich sein. Infolgedessen ist wiederum mit der Übertragung von Investitionsbudgets nach 2020 zu rechnen. Dies entspricht auch den Erfahrungen der Vorjahre, wonach einerseits die Reste stetig angewachsen sind und andererseits entsprechend nachfolgender Tabelle 2 Investitionsauszahlungen von maximal 197 Mio. EUR, meist aber deutlich darunter, realisierbar waren.“
Genauer waren es 2018 dann 196,8 Millionen Euro, auch das schon mehr als in den Vorjahren. Die Stadt Leipzig schwimmt sich wirklich frei. Aber das dauert deutlich länger, als noch im Februar von einem überschwänglichen OBM suggeriert. Mit voraussichtlich 293 Millionen Euro wird Leipzig 2019 den Vorjahreswert deutlich übertreffen – und dennoch deutlich unter den geplanten 657 Millionen Euro bleiben.
Nachdem die Ausgabereste in den letzten Jahren schon deutlich von 100 Millionen im Jahr 2013 über 223 Millionen Euro im Jahr 2017 auf 309 Millionen Euro angewachsen sind, werden nun 2019 wohl 364 Millionen Euro übrig bleiben. Alles längst geplante und beschlossene Projekte. Nur lassen sie sich sichtlich nicht mit Hauruck am Markt platzieren.
Denn dass viele Projekte nicht in die Pötte kommen, hat ja auch mit dem Markt der Baufirmen zu tun, die sich seit Jahren über randvolle Auftragsbücher freuen und kaum noch Platz für zusätzliche Projekte haben.
Der Nebeneffekt, der nur wie ein Defizit aussieht: Der FinanzbĂĽrgermeister muss die eigentlich fĂĽr Investitionen geplanten Kredite von 160,9 Millionen Euro in diesem Jahr nicht aufnehmen.
Dafür hat er auch in diesem Jahr Spielräume, den alten Schuldenberg der Stadt weiter abzubauen, nämlich um 50,5 Millionen Euro.
Was soll er auch machen? Da kann der Stadtrat noch so oft beschlieĂźen, den Schuldenabbau zu stoppen, um Geld fĂĽr Investitionen freizuschlagen, wenn das Geld fĂĽr Investitionen einfach nicht zum Einsatz kommt.
Also schmilzt der Leipziger Schuldenberg weiter von 528,7 Millionen Euro auf 478,2 Millionen. Noch zehn solcher Jahre, und Leipzig ist schuldenfrei. Was ja aber nicht der Sinn der Sache ist, wenn der Investitionsstau nun einmal tatsächlich im Milliardenbereich liegt.
Wie kommt es, dass Sachsens Kommunen ĂĽber 100 Millionen Euro fĂĽr StraĂźenbau einfach nicht abrufen?
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