Für FreikäuferLEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 70, seit 23. August im HandelNach anderthalb Stunden Diskussion über landespolitische Themen wie Umweltschutz, steigende Mieten und fehlende Kita-Plätze sprach Paula Piechotta, Kandidatin der Grünen für den sächsischen Landtag, den „Elefanten“ an, „der hier noch im Raum steht“. Sie lenkte das Thema des Abends auf eine gesellschaftliche „Stimmung der Angst“, die in Sachsen aktuell herrsche und für die sie die AfD verantwortlich mache. Sie habe als Frau keine Angst, nachts allein joggen zu gehen, aber sie habe „Angst vor Nazis in Connewitz“.
Um diesen Stadtteil und den Rest des Leipziger Südens, der in den Wahlkreis 28/Leipzig 2 fällt, ging es am Montagabend, den 19. August, im Kirchsaal der Bethlehemgemeinde. Die Direktkandidat/-innen der Linken, SPD, Grünen, FDP, CDU und AfD für diesen Wahlkreis waren gekommen, um bei einem der 60 Wahlforen, die die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung im gesamten Freistaat vor der Landtagswahl organisiert, zu diskutieren und mit den Bürger/-innen ins Gespräch zu kommen.
Bis das Thema auf Nazis in Connewitz und das Erstarken von Rechts in Sachsen zu sprechen kam, plätscherte die Diskussion eher vor sich hin. Das Publikum durfte vorab entscheiden, über welche Themen die Kandidat/-innen sprechen sollten. Am Eingang bekamen alle Besucher/-innen drei grüne Klebepunkte, die sie auf einem Banner bei bestimmten Themen platzieren konnten.
Den Bereich Inneres, Integration, Justiz und Zivilgesellschaft sprach Björn Meine, LVZ-Redakteur und Moderator des Wahlforums, als letzten von drei Themenblöcken an – zuvor redeten die Politiker/-innen über Umwelt und Bildung. Nachdem Piechotta mit ihrem Statement die Diskussion darüber eröffnet hatte, forderte sie Alexander Wiesner, Direktkandidat der AfD, dazu auf, Stellung zu beziehen.
Der fühle sich nicht für die Problematik verantwortlich. „Ich kann verstehen, dass Sie Angst vor Rechten haben, das habe ich auch“, sagte er und betonte, dass das Parteiprogramm der AfD nicht rechtsextrem sei. Ein Mann in der zweiten Reihe stimmte ihm gut hörbar zu und klatschte energisch in die Hände.
Bereits den gesamten Abend über hatte der Zuschauer durch Applaus und Rufe seine Zustimmung zu Wiesners Worten kundgetan. Fast jedes Mal, wenn Juliane Nagel, Direktkandidatin für die Linken und aktuelle Inhaberin des Mandats im sächsischen Landtag, hingegen etwas sagte, rief er Sätze wie „Die lügt, wenn sie das Maul aufmacht“. Der Mann wirkte wie bestellt, Wiesner blickte immer wieder zu ihm herüber, so als wolle er sich Bestätigung für das von ihm Gesagte abholen.
Rudolf Georg Ascherl, Direktkandidat der FDP, entgegnete Wiesner, dass Personen aus den Kreisen der AfD eben diese Stimmung der Angst durch ihr Verhalten kreieren würden. Auch der Direktkandidat für die CDU, Karsten Albrecht, kritisierte die AfD: „Bei diesem Antisemitismus, der dort an den Tag gelegt wird – da gruselt es mir, da habe ich Angst.“ Er forderte „To-Go-Areas“ statt „No-Go-Areas“ im ganzen Land und sprach nicht nur von rechter, sondern auch von linker Gewalt.
In diesem Zug forderte er Nagel dazu auf, sich eindeutig davon zu distanzieren. Die Direktkandidatin wolle sich „nicht von jeder Mülltonne im Leipziger Süden distanzieren müssen“, antwortete sie, sprach sich aber gegen Gewalt als Mittel der Politik aus. Piechotta von den Grünen nahm die Kandidatin in Schutz und sagte: „Dass sich Frau Nagel hier mehr rechtfertigen muss als der Kollege von der AfD, das finde ich sehr problematisch, ebenso wie rechte und linke Gewalt gleichzusetzen.“
Im Saal, der mit über 100 Personen gut gefüllt war, war bis zu diesem Zeitpunkt nur vereinzeltes Klatschen aus dem Publikum zu vernehmen. Nun gab es lauten Applaus und zustimmende Rufe.
Das Publikum war von Studierenden bis hin zur älteren Generation sehr durchmischt. Am Ende der insgesamt drei Themenblöcke gab es jeweils die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Die nutzte das Publikum auch und so wanderte das Mikrofon durch die Sitzreihen des Saals. Viele erzählten von persönlichen Erlebnissen. Fragen begannen mit Sätzen wie „Meine Tochter ist Lehrerin“ oder „Ich bilde Erzieher aus und weiß, wie das ist“.
Die Antworten auf Fragen und Reaktionen auf Kritik aus dem Publikum mussten recht knapp ausfallen. Denn von Beginn an waren für die Veranstaltung nur zwei Stunden vorgesehen. Moderator Björn Meine sorgte also dafür, dass die Kandidat/-innen knapp antworteten und die Gäste aus dem Publikum bei ihren Fragen ebenfalls nicht ausschweiften.
Kurz vor Ende der Veranstaltung fragte Meine die auf dem Podium sitzenden Kandidat/-innen, was ihr wichtigstes Ziel im sächsischen Landtag sei. Nagel nannte ein „gelungenes Integrationskonzept“, Lars Melzner von der SPD eine „bessere Vernetzung in der Bildung“. Wiesner sprach sich für die „Stärkung konservativer Werte“ aus und Albrecht wolle nun den „Schwung, den Michael Kretschmer nach Sachsen gebracht hat“, aufnehmen.
Piechotta forderte, Sachsen „zu einem progressiven Land zu verändern“, das in Sachen Klimaschutz „nach vorn geht“, und Ascherls Steckenpferd sei die Digitalisierung. Björn Meine lobte die Podiumsgäste und das Publikum für eine sachliche Diskussion und forderte alle dazu auf, am 1. September wählen zu gehen.
Das letzte Wahlforum der Landeszentrale für Politische Bildung in Leipzig findet am 29. August (Leipzig 7) in der Ossietzkystraße 60 statt.
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