So ein Ausstieg aus der Fernwรคrmeversorgung durch ein Kohlekraftwerk ist verwickelt. So verwickelt, dass auch Medien mal schnell auf abschรผssige Bahnen geraten kรถnnen, wenn sie zu frรผh schreien, etwas zu wissen. Am gestrigen Donnerstagabend geschah in der bis etwa 22 Uhr andauernden Aufsichtsratssitzung der Stadtwerke mitnichten das, was die LVZ zuvor postuliert hatte. Der Kohleausstieg Leipzigs kommt definitiv und bis 2023 will man raus. Es wird nur deutlich verschlungener, als zum Beginn des Prรผfungsprozesses vielleicht gedacht.

Denn auf die Verhandler der Leipziger Verkehrs- und Versorgungsbetriebe (LVV) um Geschรคftsfรผhrer Karsten Rogall lauern marktwirtschaftliche Unwรคgbarkeiten bei der Errichtung des neuen Gaskraftwerkes. Und ein harter Verhandlungspartner namens LEAG, der einen Faustpfand namens Klรคrschlammverbrennung in der Hand hรคlt.

Bis zu 300 Tonnen dieses phosphor- und stickstoffbelasteten รœberbleibsels aus den stรคdtischen Wasserreinigungen verbrennt das Kraftwerk Lippendorf seit 2004 Jahr um Jahr als Beimischung zur eigentlichen Braunkohle. Dafรผr hatte einst die schwedische Firma Vattenfall den heute der LEAG (und damit der tschechischen EPH) gehรถrenden Meiler im Kraftwerk vor Leipzig fรผr 11,7 Millionen Euro nachrรผsten lassen.

Seither werden nach Angaben der LEAG die Klรคrschlรคmme zu etwa 2,5 Prozent โ€ždes Gesamtbrennstoffbedarfes der Braunkohlenfeuerung zudosiert, verbrannt und durch die Filteranlagen des Kraftwerkes weitestgehend unschรคdlich gemachtโ€œ.

Darunter auch der Klรคrschlamm aus Leipzig, eine Beimengung, welche den Wirkungsrad des Kraftwerkes zwar etwas (um ca. 0,05 Prozent) auf 42 Prozent drรผckt, jedoch auch eine Menge Geld einbringt. Denn die Wasserwerke, welche den Sondermรผll hier abgeben kรถnnen, zahlen dafรผr. Wie viel genau und in welchen Mengen der Klรคrschlamm von den Kommunalen Wasserwerken Leipzig (KWL) und damit von der LVV-Gruppe nach Lippendorf geht, konnte eine KWL-Sprecherin heute auf L-IZ-Nachfrage noch nicht genau sagen.

Doch wenig wird es angesichts der GrรถรŸe Leipzigs mit seinen knapp 600.000 Einwohnern nicht sein.

Verhandlungsmasse Nummer 1 dรผrfte fรผr die LEAG demnach sein, was eigentlich geschieht, wenn der Kohlemeiler in Lippendorf durch den Rรผckzug der LVV aus dem Fernwรคrmevertrag (EinbuรŸe 1) so unrentabel wird, dass er besser ganz vom Netz ginge. Die schnelle Abschaltung droht dann auch, weil laut Plan der Bundesregierung nur noch โ€žsystemrelevanteโ€œ Kohlekraftwerke bis 2038 am Netz bleiben dรผrfen. Und (EinbuรŸe 2), beim Fehlen von Kohleverbrennung und den Geldern fรผr die Fernwรคrmeversorgung, sind auch die Einnahmen aus dem Klรคrschlammgeschรคft fort. Doch fรผr Leipzig und weitere Gemeinden bliebe dann die Frage: wohin mit dem Dreck?

Dann โ€žmacht doch Euern Dreck alleeneโ€œ oder zwei Optionen

Das zentrale Ziel der Stadt Leipzig lautet, ab 2023 durch die Errichtung eines eigenen Gaskraftwerkes im Leipziger Sรผden (vorr. an der Bornaischen StraรŸe) etwa 480.000 Leipziger selbst und CO2-รคrmer und zudem schneller zu- und abschaltbar als bislang mit Braunkohle-Fernwรคrme zu versorgen. Ein wichtiger Schritt im Kampf um mehr umwelt- und klimaschonende Energierzeugung in Leipzig.

Die offene Frage auch fรผr die KWL lautet in der Umkehrung jedoch dann: wohin mit dem Leipziger Klรคrschlamm? Nicht grundlos hat man also bereits 2018 laut Geschรคftsbericht eine erste Planungsrunde dazu gemacht. Ein wichtiger Punkt: โ€žNeuorganisation der Klรคrschlammentsorgungโ€œ. Was natรผrlich auch bedeuten kรถnnte, dass man eine eigene Anlage bauen mรถchte, um sich ganz von der LEAG lรถsen zu kรถnnen. Und so selbst ein Angebot an mitteldeutsche Gemeinden unterbreiten zu kรถnnen, รผber die LVV ihre Rรผckstรคnde entsorgen zu lassen. Denn fraglich ist auch, ob es nicht lรคngst bessere Verfahren gibt, als die durchaus wieder nutzbar zu machenden Phosphate einfach zu verbrennen und wegzuwerfen?

Phosphor im Klรคrschlamm als neuer Rohstoff

Seit Ende 2017 fรถrdert das Bundesumweltministerium (BMU) ein Pilotprojekt zur Rรผckgewinnung von Phosphor aus der Klรคrschlammverbrennung der Hamburger VERA Klรคrschlammverbrennung GmbH. Denn eigentlich geht es bei Phosphor zunehmend nicht mehr um ein Vernichtungsgut, sondern um einen weltweit rarer werdenden Rohstoff, den Deutschland zudem importieren muss.

Zum Verfahren schreibt das BMU: โ€žMit Hilfe des TetraPhosยฎ-Verfahrens wird der Phosphor bei VERA zukรผnftig in mehreren Prozessschritten durch Zugabe von Sรคure aus der Verbrennungsasche herausgelรถst. Gleichzeitig werden die Stรถrstoffe abgetrennt.โ€œ Vorbei also die Zeiten, wo einfach der Rest verklappt wurde, denn, so das BMU weiter: โ€žAls Abnehmer des rรผckgewonnenen Phosphors kommen neben der Dรผngemittelindustrie auch Unternehmen der Automobil-, Galvanik- und Baustoffbranche in Betracht. Die im Volumen deutlich reduzierte Rest-Asche wird auf Deponien abgelagert.โ€œ

Weshalb der Bund bereits 2017 beschlossen hat, ab 2029 die Phosphorrรผckgewinnung aus Klรคrschlรคmmen fรผr Gemeinden ab 50.000 Einwohnern verpflichtend zu machen. Wobei die Frage steht, ob es dafรผr auch nicht-thermische Verfahren gibt.

Die Leipziger Initiativen bleiben dran am Kohleausstieg: Ab 13:30 Uhr bis zum Sitzungsbeginn versammelten sich rund am 20. Juni2019 rund 50 Demonstranten vor dem Gebรคude der SWL an der Eutritzscher StraรŸe und begrรผรŸten einige Aufsichtsrรคte. Foto: L-IZ.de
Die Leipziger Initiativen bleiben dran am Kohleausstieg: Ab 13:30 Uhr bis zum Sitzungsbeginn versammelten sich rund am 20. Juni2019 rund 50 Demonstranten vor dem Gebรคude der SWL an der Eutritzscher StraรŸe und begrรผรŸten einige Aufsichtsrรคte. Foto: L-IZ.de

Kรถnnten es auch die KWL?

Neben dem zeitlich ambitionierten Ziel der Gaskraftwerkerrichtung bis Ende 2022 wรคre eine gleichzeitige Lรถsung fรผr den Klรคrschlamm ein weiteres Investitionsprojekt vergleichbarer GrรถรŸe in der gleichen Zeit fรผr die LVV. Denn beides mรผsste auf den Punkt genau parallel gelingen. Doch der Bund oder die Lรคnder kรถnnten wohl auch hierfรผr angesichts des wertvollen Rohstoffes Phosphor Subventionen im Sinne eines Ausbaus der Kreislaufwirtschaft bereitstellen.

Das weiรŸ auch die LEAG, weshalb man da derzeit durchaus eher das Ziel verfolgt, รผber diesen Weg nachzudenken. Das Manko dennoch, egal, wer sich am Ende um die Phosphor-Rรผckgewinnung kรผmmert: es ist ein thermisches Verfahren, der Brennstoff dรผrfte nach diesem Plan dann Braunkohle lauten.

Die Variante Nummer zwei in den anstehenden Verhandlungen kรถnnte also sein, dass die LEAG sich weiterhin gegen gutes Geld um den Klรคrschlamm auch aus Leipzig trotz auslaufenden Fernwรคrmevertrages kรผmmert. Nach L-IZ-Informationen kรถnnte dies fรผr die LEAG eine Verhandlungs-Option darstellen, aus dem Standort Lippendorf eine reine Verbrennungsanlage fรผr Klรคrschlรคmme zu machen. Und somit das Geschรคftsmodell noch stรคrker Richtung Annahme von Klรคrschlamm und gleichzeitiger Rohstoffrรผckgewinnung von Phosphor samt Weiterverkauf zu verรคndern. Keine fernliegende รœberlegung fรผr die LEAG, denn derzeit trรคgt der Meiler vor den Toren Leipzigs trotz Fernwรคrmevertrag und Energieeinspeisung nur noch mit 6,5 Prozent des Gesamtumsatzes zum Geschรคftsergebnis des Unternehmens bei.

Dafรผr und fรผr die Absicherung einer eventuell nรถtigen รœbergangsphase bei der Fernwรคrmeversorgung braucht man natรผrlich โ€“ im Gegenzug โ€“ die Zusicherung der Stadt Leipzig, wie zukรผnftig mit dem Geschรคft rings um die Wasserrรผckstรคnde verfahren werden soll. Eine Preisverhandlung, die sicher auch fรผr die LVV-Geschรคftsfรผhrung nicht ganz einfach werden dรผrfte.

Aktion #BaggerStoppen in der Lausitz und im Leipziger Land: Aktivist*innen besetzen Kohlebagger. Foto: Ende Gelรคnde
Aktion #BaggerStoppen in der Lausitz und im Leipziger Land: Aktivist*innen besetzen Kohlebagger. Foto: Ende Gelรคnde

Die derzeit einzig logische Entscheidung im SWL-Aufsichtsrat

Es ist demnach wenig verwunderlich, dass am 20. Juni 2019 die Runde des Stadtwerke-Aufsichtsrates nicht nur das definitive Aus der Fernwรคrmeversorgung aus der Braunkohle in Lippendorf beschloss, sondern der LVV-Geschรคftsfรผhrung auch ein Verhandlungsmandat mit der LEAG mitgab. Denn mit dem Bau des Gaskraftwerkes allein ist es nicht getan.

Hinzu kommt das Wagnis des Gaskraftwerkes selbst: Durch die erhรถhte Nachfrage in Deutschland und die dafรผr gewรคhrten staatlichen Fรถrderungen, welche auch Leipzig gern mitnehmen mรถchte, steigt der Marktdruck auf die Hersteller von Gasturbinen. Die mรถchten auf einmal immer mehr Gemeinden kaufen und so ihre eigenen umweltschonenderen Gas-Kraftwerke errichten.

Es kรถnnten also auch Engpรคsse bei Bestellungen entstehen, die den 200 Millionen Euro teuren Leipziger Neubau รผber 2022 hinaus verzรถgern. Zumal sich Siemens gerade aus der Sparte zumindest teilweise zurรผckzieht und diese abspaltet.

Die Absicherung, dass dann 2023 dennoch keine Wohnung in Leipzig kalt bleibt, kรถnnte dann nur die LEAG und Lippendorf darstellen. Ein Druckpunkt, den die LEAG also ebenso in petto hat, wie die Frage der Leipziger: wohin mit dem Wohlstandsdreck, der auch bei der modernen Dreifachklรคrung der Wasserwerke รผbrigbleibt?

Ein Tauschhandel zwischen LVV und LEAG scheint demnach wahrscheinlich. Fรผr die LEAG eine Frage der Systemrelevanz, fรผr Leipzig eine Zwischenlรถsung.

Auch wenn sie eine weitere Verbrennung von Braunkohle vor den Toren Leipzigs bedeuten wird. Am 5. Juli wollte Leipzigs OB Burkhard Jung dazu Stellung nehmen, doch die Grรผnen machen nun Druck, wie auch schon im SWL-Aufsichtsrat am 20. Juni. In einem Eilantrag fordern sie Auskunft zum Vorgang bereits in der letzten Stadtratssitzung des alten Stadtrates und vor der Sommerpause am 26. Juni 2019.

40.000 junge Menschen am 21. Juni in Aachen fรผr den Kohleausstieg. Quelle: Ende Gelรคnde
40.000 junge Menschen waren am 21. Juni in Aachen fรผr den Kohleausstieg unterwegs und parallel marschiert ein Zug zum rheinischen Braunkohlerevier. Quelle: Ende Gelรคnde

Denn es steht ein Problem im Raum. Gibt es intransparente Vorgรคnge, die der LEAG einen Weiterbetrieb des Braunkohlemeilers bis 2030 sichern sollen? Den Sound zur Debatte liefern gerade die โ€žFridays for Futureโ€œ-Aktivisten gemeinsam mit โ€žEnde Gelรคndeโ€œ in Aachen. Da waren heute 40.000 junge Menschen unterwegs, um fรผr ihre Zukunft auf einem fรผr Menschen lebensfรคhigen Planeten zu demonstrieren.

Ob die aktuelle Sรคchsische Landesregierung bei all den komplexen Fragen รผberhaupt liefern kann, wird sich am 22. Juni 2019 bei der durch die Staatskanzlei Sachsen organisierten โ€žKlimakonferenzโ€œ in Leipzig herausstellen. Bis dato fand sich der amtierende Ministerprรคsident Sachsens Michael Kretschmer (CDU) noch immer auf der Seite der Braunkohleindustrie wieder.

Mehr dazu hier auf L-IZ.de.

Kohleausstieg fรผr Leipzig: Jeder hat die Absicht ein Kraftwerk zu betreiben + Video

Kohleausstieg fรผr Leipzig: Jeder hat die Absicht ein Kraftwerk zu betreiben + Video

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