WahlumfrageLEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausg. 66Beim Thema Flucht, Asyl und Zuwanderung kann man sich auch in Leipzig, auch mal ganz ohne „Weltlage“, Fake-News und Parolen eine einfache Frage stellen: Ist es richtig, dass Menschen im Mittelmeer nicht geholfen wird, wenn sie ertrinken? Hat man diese Frage für sich human beantwortet, ist die nächste Frage nicht weit. Wie soll Integration und gemeinsames Leben in Europa und Leipzig besser gelingen und was kann der Stadtrat dafür tun? Die Seebrücke Leipzig befasst sich seit einem Jahr mit diesem Problem.
Welche Auswirkungen hatte die Arbeit des Stadtrates bislang auf Sie bzw. die Tätigkeiten Ihrer Organisation?
Seit August 2018 treten wir als Leipziger Seebrücke für die Aufnahme von im Mittelmeer geretteten Menschen durch die Stadt Leipzig ein. Die Stadt soll dafür gegenüber der Bundesregierung und der sächsischen Landesregierung mehr Einsatz für Seenotrettung und die Aufnahme von Geretteten einfordern. Obwohl dutzende Menschen im vergangenen Sommer ertranken und sich daraufhin mehrere Städte sofort zum sicheren Hafen erklärten, hat der Leipziger Stadtrat diesen Beschluss erst am 13. März gefasst.
Dabei sind bereits seit Januar mehr als 300 Menschen ertrunken. Viel Kraft und Zeit wurde unsererseits für die Organisation von Demonstrationen anstelle einer sinnvollen Zusammenarbeit im Sinne der Lebensrettung investiert. Dass wir überhaupt tätig werden mussten, sehen wir als Problem an. Zudem kritisieren wir die unbegründete Aufnahmegrenze des Beschlusses von 100 Menschen pro Jahr trotz ausreichender Aufnahmekapazitäten in Leipziger Gemeindeunterkünften als willkürlich und inhuman.
Bis heute wird den wenigen Rettungsschiffen, die nicht von europäischen Behörden festgehalten werden, über Tage und Wochen die Hafeneinfahrt verwehrt. Wir hoffen, dass der Stadtrat nicht ein weiteres Halbjahr benötigen wird, um den Stadtratsbeschluss umzusetzen.
Was sind aus Ihrer Sicht die dringendsten Probleme, die der Stadtrat nach der Wahl angehen sollte?
Als Seebrücke fordern wir den Stadtrat auf, aktiver gegen das Sterben im Mittelmeer zu handeln. Es reicht nicht, nur eine Erklärung abzugeben, denn die bisherige Praxis hat gezeigt, dass diese nicht dazu führt, dass die Bundesregierung ihre Außenpolitik ändert. Die Stadt muss weitergehende Schritte planen, auch weil die Mittelmeersituation weiterhin katastrophal ist.
Langfristig geht es dabei auch um kommunale Selbstbestimmung in anderen Bereichen. Viele schutzsuchende Menschen leiden hier unter prekären Lebenssituationen und werden gesellschaftlich benachteiligt und ausgegrenzt. Die Stadt muss deshalb allen Menschen, unabhängig von ihrem Aufenthaltstitel oder ihrem Pass, die Möglichkeiten geben zu selbstbestimmtem Wohnen, Arbeiten, medizinischer Versorgung sowie gesellschaftlicher und politischer Teilhabe.
Eine Stadtgemeinschaft lebt letztendlich davon, dass alle Menschen, die in ihr leben, diese auch gleichberechtigt mitgestalten können und erst dadurch lebenswert machen.
Welche Entscheidungen müsste der neue Stadtrat treffen, um diese Probleme lösen zu können?
Auf überregionaler Ebene kann sich die Stadt für ein gemeinsames Bündnis mit anderen Städten, die sich ebenfalls zum sicheren Hafen erklärt haben, einsetzen, um den Druck auf EU und Bundesregierung zu erhöhen. Dabei könnte ein gemeinsamer Schritt unter anderem die Übernahme einer Patenschaft für ein Rettungsschiff sein, damit Rettungsmissionen unterstützt und Menschen sicher aufgenommen werden können.
Zahlreiche Bürgermeister*innen Italiens und Spaniens, wie zum Beispiel der Städte Barcelona, Palermo oder Neapel bemühen sich bereits in aktiven Allianzen für die kooperative Unterstützung der Seenotrettung und Zusammenarbeit ihrer Städte. Als Teil des europäischen Städteverbundes ,,Euro Cities“ (deren Grundsätze unter anderem im gegenseitigen Erfahrungsaustausch und Unterstützen bei der Aufnahme von Geflüchteten liegen) kann Leipzig hier bereits bestehende Beziehungen zu anderen Städten nutzen.
Auf kommunaler Ebene ist es notwendig, etwa bezahlbaren Wohnraum im Innenstadtbereich, Arbeitserlaubnisse, kostenlose Behandlungsscheine und Zugänge zu Hochschulbildung und Ausbildungsplätzen für Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus zu ermöglichen. Dafür braucht es vor allem auch eine klare Positionierung der Stadt, dass Menschen nicht abgeschoben werden dürfen.
Wir erwarten daher, dass der Stadtratsbeschluss ein ernst zu nehmender Schritt im Sinne einer solidarischen Stadtentwicklung ist.
Die Überlegungen und Forderungen finden sich zunehmend unter l-iz.de/tag/umfrage
Für einen sicheren Hafen Leipzig statt Ankerzentren: Ein Versprechen wartet auf seine Einlösung
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Video von der Seebrücke-Demo in Leipzig (2): Die Grenze selbst ist das Problem + Bildergalerie
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