Dass der Kohleausstieg nun bis 2038 kommt, ist so gut wie sicher. Wahrscheinlich flieรen auch die 40 Milliarden Euro vom Bund in die Kohleregionen. Aber ob der Strukturwandel gelingt, steht selbst nach der furiosen Findungsrunde fรผr tolle neue Groรprojekte im Mรคrz vรถllig in den Sternen. Den mitteldeutschen Regierungen โ und auch Leipzig โ fรคllt auf die Fรผรe, dass sie nicht den geringsten Vorlauf fรผr einen solchen Strukturwandel haben.
Das machte auch die bunte Liste deutlich, die OBM Burkhard Jung am 28. Mรคrz als Vorschlagsliste fรผr den Leipziger Anteil vorgestellt hatte. Projekte im Umfang von 2,3 Milliarden Euro standen darauf. Augenscheinlich hat die Sรคchsische Landesregierung ihrerseits die aus allen betroffenen Kommunen eintrudelnden Antragslisten noch einmal mit ihrer Brille gefiltert und dann den Restbestand nach Berlin weitergemeldet.
Wenn man den Pressemitteilungen dazu glauben darf, stehen fรผr Leipzig tatsรคchlich nur noch ein paar Infrastrukturprojekte drauf, die mit der Energiewende und dem Kohleausstieg gar nichts mehr zu tun haben. Die LVZ kolportierte dazu am 12. April: โEinen zweiten City-Tunnel wird es vorerst nicht geben. Dafรผr erhรคlt Leipzig eine neue Veranstaltungs- und Wettkampfhalle fรผr internationale Groรereignisse. Ferner soll die Bundesstraรe 2 im Bereich des Agra-Parks untertunnelt, der Mittlere Ring in der Messestadt geschlossen und die Bahnstrecke Leipzig-Chemnitz endlich elektrifiziert werden.โ
Schon das ziemlich seltsam, weil Leipzig den Lรผckenschluss im Mittleren Ring gar nicht nach Dresden gemeldet hatte. Einen zweiten City-Tunnel รผbrigens auch nicht.
Tatsรคchlich bestand auch die Leipziger Liste zum grรถรten Teil aus lauter zusammengekehrten Ideen aus allen Dezernaten, bei denen man das Gefรผhl nicht loswurde: Jetzt suchen die Bรผrgermeister fรผr ihre gestrandeten Projektwale einfach neue Fรถrdertรถpfe und verkaufen sie dann als Strukturwandel.
Ein Strukturwandel aber wรคre der massive Umbau des Leipziger Verkehrssystems โ aber nicht mit neuen Straรen, sondern neuen Straรenbahnen und Verstรคrkungen im S-Bahn-Netz. Das steckte รผbrigens in der Summe von 1 Milliarde Euro, die Leipzig unter dem Titel โNachhaltige Mobilitรคt der Zukunft โ Ost-West-Achse und Sรผdsehneโ angemeldet hatte.
Die zentralen Bausteine fรผr einen mรถglichen technischen Strukturwandel steckten eher in den Antragspaketen zum โSmart Infrastructure Hubโ (201 Millionen Euro), Mitteldeutsche Digital Fakultรคt (60 Millionen Euro) und Trimodales Reallabor Leipziger Nordraum Logistik-IT-Automotive (30 Millionen Euro).
Und es sieht so aus, als ob es genau dafรผr auch Geld geben wird. In der Antwort auf eine Einwohneranfrage formuliert es das Dezernat Wirtschaft, Arbeit und Digitales so: โDie wesentlichen Inhalte eines vertraulichen Eckpunktepapiers des Bundeswirtschaftsministeriums wurden am 5. April 2019 in der Presse (SPIEGEL Online) verรถffentlicht. Es ist geplant(,) die Lausitz zu einer โEuropรคischen Modellregion fรผr den Strukturwandelโ auszubauen und im Mitteldeutschen Revier wird die Schaffung eines โeuropรคischen Logistikhubsโ forciert. Zudem wird die Entwicklung von Technologien angestrebt, mit der eine โnachhaltige Industriegesellschaftโ aufgebaut werden kann. Darรผber hinaus sollen parallel zur schrittweisen Reduktion der Kohleverstromung erneuerbare Energieaktivitรคten รผber 20 Jahre aufgebaut werden.
Nach dem Eckpunktepapier will der Bund 14 Milliarden Euro an Finanzmitteln bis zum Jahre 2038 bereitstellen. Dazu kรคmen noch einmal 26 Milliarden Euro aus bestehenden Budgetplanungen fรผr weitere Maรnahmen zugunsten der Braunkohleregionen.
Nach einem Sofortprogramm in Hรถhe von 240 Millionen Euro bis zum Jahre 2020, ist die Ausreichung der ersten 14 Milliarden Euro in Sechsjahresperioden vorgesehen:
zunรคchst 5,5 Milliarden, dann 4,5 Milliarden und in der letzten Tranche ab 2032 noch einmal 4 Milliarden Euro.
Die Mittel werden wie folgt auf die Lรคnder verteilt:
Brandenburg 25,8 %,
Nordrhein-Westfalen 37 %,
Sachsen 25,2 % sowie
Sachsen-Anhalt 12 %.
In die jeweiligen Reviere flieรen demnach folgende Mittel:
43 % Lausitz (davon 60 % Brandenburg, 40 % Sachsen),
37 % ins Rheinische Revier,
20 % Mitteldeutsches Revier (davon 60 % Sachsen-Anhalt, 40 % Sachsen)
Es ist davon auszugehen, dass in den sรคchsischen Teil des Mitteldeutschen Braunkohlereviers bis zum Jahr 2040 ca. 3,20 Milliarden Euro flieรen kรถnnten. Bisher sind dazu keine Entscheidungen auf Bundesebene getroffen. Die zitierten Zahlen und Ziele sind daher lediglich als Richtwerte anzusehen.โ
Grรผne Fragen: Was hat das alles mit Strukturwandel zu tun?
Was im Stadtrat freilich die Verรคrgerung darรผber nicht dรคmpft, dass Leipzig so viele Projekte aus der Mottenkiste angemeldet hat.
Das thematisiert die Fraktion von Bรผndnis 90/Die Grรผnen jetzt in einer Stadtratsanfrage.
โAls Ergebnis der Kohlekommission werden 40 Milliarden รผber 20 Jahre ausgereicht, um den Strukturwandel in den Kohleregionen zu gestalten. Die Stadt Leipzig hat in seinen unabgestimmten Projektvorschlรคgen in die Mottenkiste gegriffen, eine ganze Anzahl an zukunftsuntauglichen Dinosauriern geborgen. Daneben wurden allerdings auch zukunftsweisende Wissenschafts-, Verkehrs- und Kulturprojekte skizziert, wรคhrend der agra-Tunnel unter โBergbaureparaturโ fallen kann, also Bergbaufolgen heilt.
Laut Medienberichten โ offizielle Dokumente sind nicht zugรคnglich โ finden sich in den Eckpunkten des Bundesministers Altmeier nur drei Projekte fรผr Leipzig. Demnach finden sich von der umfangreichen Projektรผbersicht nur drei Projekte aus Leipzig vorne, also fรผr eine zeitnahe Umsetzung.
In Anbetracht dessen, dass die Lรคnder ihren Teil an den Kosten tragen sollen, sind viele Projekte allein schon aus Finanzierungsgrรผnden hรถchst fraglich. Die Projekte sind viel zu grob gerechnet, Mehrausgaben fรผr Einzelmaรnahmen sind vorhersehbar. Das bedeutet, dass nachrangige Projekte niemals finanziert werden. Somit gewinnt die Priorisierung eine entscheidende Bedeutung, soll der Strukturwandel tatsรคchlich gรผnstig beeinflusst werden, hochwertige Arbeitsplatze entstehen kรถnnen und nicht nur Partikularinteressen ohne Gemeinwohlsinn befriedigt werden.
Darum fragen wir:
Wie kommt die Priorisierung im Eckpunktepapier des Bundesministers zustande?
Welche Mรถglichkeiten der Beteiligung hat der Stadtrat Leipzig, um die Gewichtung zu beeinflussen โ oder dรผrfen wir am Ende nur ja oder โwir wollen kein Geld aus der Kohlekommissionโ sagen?โ
***
Tatsรคchlich machen die von der sรคchsischen Regierung eingereichten Projekte โ wenn sie denn stimmen โ sichtbar, dass die Staatsregierung noch immer im alten Strukturdenken feststeckt (untersetzt mit etlichen groรen neuen Straรenprojekten), fรผr die Gestaltung eines belastbaren Strukturwandels in den lรคndlich geprรคgten Kohleregionen aber nicht wirklich eine Idee hat.
Die Prioritรคren Maรnahmen, die Leipzig vorgeschlagen hat.
Wie geraten eigentlich รผberholte Groรprojekte in die Vorschlagsliste der Kohlekommission?
Wie geraten eigentlich รผberholte Groรprojekte in die Vorschlagsliste der Kohlekommission?
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Keine Kommentare bisher
Naja, wenn der Stadtrat mitentscheiden kรถnnte wรผrde es billiger werden: ein paar Kettensรคgen fรผr den Auwald und ein paar Millionen fรผr die Fรถrderung eines nichtexistenten (und wenn es ihn gรคbe wรคre er schรคdlich) Wasserโtourismusโ. Insofern kann man froh รผber diese Art und Weise der Projektfindung sein.