Am 3. April gab es im Leipziger Stadtrat eine Sondersitzung, über deren Verlauf am Ende die meisten Teilnehmer selbst verblüfft waren, denn tatsächlich wurde in der Stunde erstmals wirklich sehr ernsthaft über die Rolle der Fluglärmkommission diskutiert. Immerhin steht am heutigen 4. April die Neuwahl des Fluglärmkommissionsvorsitzenden an. Und OBM Burkhard Jung hat ein paar unerwartete Aufgaben bekommen.
Denn im Grunde fand der vom Leipziger Umweltdezernat vorgelegte Alternativvorschlag am Mittwoch keine Mehrheit. Denn aus diesem wurde nur jener Punkt mit überwältigender Mehrheit vom Stadtrat angenommen, der mit dem Antrag der Stadträte Andreas Geisler (SPD), Andreas Faulhaber (CDU) und Daniel von der Heide (Grüne) identisch war: dass Leipzig sich unbedingt um den Vorsitz in der Fluglärmkommission bewerben soll.
Andreas Geisler hat im Grunde alle Gründe, die Leipzigs Stadträte beim Thema Fluglärmkommission seit nunmehr zwölf Jahren bewegen und aufregen, aufgezählt. Die Rede packen wir deshalb ungekürzt unter den Text.
Beim Punkt 1 des Verwaltungsstandpunktes wollte die Verwaltung gern den OBM aus der Schusslinie nehmen. Die bisherige Vertreterin der Stadt Leipzig in der Fluglärmkommission, Angelika Freifrau von Fritsch, Leiterin des Amtes für Umweltschutz, sei fachlich kompetent, das wäre genau die richtige Vertretung der Stadt in der Kommission.
Aber mehrere Stadträte betonten zu Recht, dass es nicht nur um die fachliche Kompetenz geht, sondern um Außenwirkung und auch politisches Gewicht. Darauf zielte auch der Änderungsantrag der Linksfraktion, den OBM zu entsenden und bei dessen Verhinderung den Ersten Bürgermeister, also aktuell Torsten Bonew, Leipzigs Finanzbürgermeister.
Aber dieser Änderungsantrag fand keine Mehrheit.
Dafür stimmten in einer namentlichen Abstimmung 46 Stadträtinnen und Stadträte der von Geisler, Faulhaber und von der Heide gewählten Formulierung zu, dass „als Nachfolger für die bisherige Vertreterin der Stadt Leipzig in der FLK der OBM und als sein Vertreter der Beigeordnete für Umwelt, Ordnung, Sport benannt werden.“
Heißt im Klartext: OBM Burkhard Jung soll Leipzig in der Kommission deutlich aufwerten. Und sein Stellvertreter wird nicht Torsten Bonew, sondern der fachlich zuständige Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal.
Auch Punkt 3 der Verwaltungsvorlage fand keine Mehrheit. Auch hier gab es am Ende eine überwältigende Mehrheit für den Vorschlag des Ausgangsantrags, dass „bei der zuständigen Behörde für die FLK, dem Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit, der Antrag gestellt wird, zukünftig 3 Vertreter für die Stadt Leipzig in die FLK zu entsenden. (Bürgermeister, Amtsleiter, ein Vertreter aus dem Dialogforum )“.
Burkhard Jung war am Ende selbst ein wenig erstaunt: „Ich bin überrascht, was Sie mir alles zutrauen.“
Aber wahrscheinlich ist das das einzig mögliche Signal, das Leipzig insbesondere an die Staatsregierung senden kann: Dass es der Stadt wirklich ernst darum ist, dass endlich auf Wünsche und Anträge der Stadt zur Fluglärmproblematik am Flughafen reagiert wird und sich positive Änderungen zeigen. Und das Land als Haupteigentümer ist nun einmal der Akteur, der das meiste bewirken kann.
***
Die Rede von SPD-Stadtrat Andreas Geisler:
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrter Herr Rosenthal,
werte Anwesende und Zuhörer,
seit über zwölf Jahren verstößt der Flughafen Leipzig/Halle gegen wichtige Auflagen aus dem Planfeststellungsbeschluss, verlärmt immer größere Teile des Leipziger Nordens und Nordwestens und in der Fluglärmkommission werden die Leipziger Anträge abgebügelt, vertagt und ausgesessen.
Wenn man ehrlich ist, begann die Lügengeschichte schon vorher, nämlich als die Herren Stein und Hesse vom Flughafen auch im Ortschaftsrat Lindenthal öffentlich sagten und protokollieren ließen, dass Leipzig nach Bau der Südbahn umflogen wird. Das war Teil ihrer Werbetour durch die Ortsteile. Jene Ortsteile, die bei Einrichtung der Fluglärmkommission 1993 keinen Platz darin gefunden haben, obwohl sie noch eigenständige Gemeinden waren. Wäre das so nicht passiert, wäre heute das Stimmenverhältnis in der Fluglärmkommission für Leipzig deutlich angemessener.
Und nun soll es noch mehr Lärm auf diesem Frachtflughafen geben, ohne dass die besonders betroffene Stadt auch nur den geringsten Zuwachs an Einfluss auf die Lärmentwicklung hat.
Laut Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD ist der Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle zu einem europäischen Frachtdrehkreuz geplant.
Der Fluglärmkommission kommt dabei eine besondere und auch eine neue Bedeutung zu, um die Interessen einer ganzen Region im Bereich der wirtschaftlichen Entwicklung mit den Interessen der Menschen vor Ort abzuwägen und gute Entscheidungen anzuschieben, vorzuschlagen, zu testen, zu berechnen und auch durchzusetzen.
Dazu braucht diese Fluglärmkommission eine neue Qualität, insbesondere politisch und teilweise auch fachlich.
Und, Herr Oberbürgermeister, wenn ich mir vorstelle, dass jemand aus der Fluglärmkommission die Anliegen der Bürger ernst nimmt und in den Aufsichtsrat trägt, ist das für mich ein reizvoller Gedanke. Um es klar zu sagen: Wir trauen Frau von Fritsch das Thema fachlich unbedingt zu, aber es geht darum, diese Fluglärmkommission komplett aufzuwerten und Leipzigs Einfluss zu stärken – deshalb sollen der OBM bzw. ein Bürgermeister ins Gremium, soll ein Antrag beim SMWA gestellt werden, der die fachliche Begleitung durch die Umweltamtsleiterin sichert, und noch ein Vertreter aus dem Dialogforum, der nicht aus der Verwaltung kommen, soll Platz in der Kommission haben.
Kurz zum Zustand der Fluglärmkommission:
– 56 Sitzungen ohne klare Signale für den Lärmschutz;
– 56 Sitzungen ohne klare Transparenz – jahrelang nicht mal Protokolle und auch heute sind diese noch schwer zu finden und dann sind die ohne die in der Sitzung behandelten Folien, Vorträge und Anlagen;
– Ständiges Abbügeln aller Anträge der Umlandgemeinden und vor allem aller Anträge der Stadt Leipzig, die in der Regel auf Initiativen von uns Stadträten beruhen.
Wissen Sie wie die FLK eigentlich besetzt ist? Sie ist so besetzt, dass Wirtschaft und Flughafen immer eine Mehrheit haben und jeden Vorschlag wegstimmen können. Dem SMWA sei Dank und dabei nicht nur dem heutigen Wirtschaftsminister, sondern auch allen seinen Vorgängern, die das so eingerichtet haben. Hier ist das Land klar in der Verantwortung, Lösungen zu finden, wirtschaftliche Interessen und Interessen der Anwohner demokratisch sauber abzuwägen und die FLK ausgewogen zu besetzen, denn sonst bleibt sie ein Feigenblatt – eine Demokratiesimulation. Und die Stadt Leipzig sitzt aktuell dabei nur am Katzentisch…
Wir als Stadtrat müssen hier und heute den Anfang machen, dies zu ändern!
Wir hatten 2018 über 75 Überflüge durch die Antonow AN 12 über die Südabkurvung, davon als Militärzulieferer dutzende direkt über das Stadtgebiet mit Maschinen, die militärisches Gut nach Mali fliegen, und die alle älter sind als ich! Was macht die FLK dagegen? Gefühlt, nix!
Ein Flughafen der seine Fluglärmkommission und die Menschen im Umfeld ernst nimmt, stellt keinen Antrag beim SMWA, die Triebwerksprobeläufe nachts auf dem Rollfeld machen zu dürfen, obwohl eine Triebwerksprobelaufhalle (die von den Menschen vor Ort mit vielen Millionen Steuermitteln finanziert wurde) vorhanden ist.
Ich erinnere an die Stellungnahme zum Regionalplan Westsachsen, wo eine Siedlungsbeschränkung eingeführt werden sollte, nur weil man sich an einem Ist-Zustand der Landebahnnutzung orientieren wollte, die absolut nicht den Planfeststellungsbeschluss abbildet. Wo ist bei dem Prozess die FLK, die für die Einhaltung der Zusagen im Planfeststellungsbeschluss kämpft? Ich habe nichts von ihr gehört…
Der Kollege Rothkegel wurde in der September-Ratsversammlung deutlich: Er benannte das längst offensichtliche Problem: „Dass die Flughafenbetreiber mit dieser Missachtung rechtlicher Grundlagen und mehrfacher Stadtratsbeschlüsse der Demokratie einen Bärendienst erweisen. In dieser Verlärmung der Stadt stecke ziemlich viel Missachtung der Gesellschaft.“
Ja, wir sind es den Menschen im stark wirtschaftlich belasteten Norden dieser Stadt schuldig, ihre Sorgen ernst zu nehmen.
Ich möchte als Stadtrat nicht den braven Kofferträger für Leute machen, denen das dicke Geld immer wichtiger ist als echte Gerechtigkeit im Land und die Dividende für Aktionäre wichtiger ist als Lebensqualität im Umfeld. Wer wachsen will, muss teilen können – mit seinem Umfeld, der Stadt und den Landkreise. Auch als staatlich gefördertes Unternehmen.
An einem Flughafen gelten zuerst folgende Grundsätze
- Sicherheit,
- Wirtschaftlichkeit und
- Die Betroffenheit der Anlieger.
Wobei nachts 2 und 3 umgedreht angewendet werden sollen. Mit Verlaub, bei jeder Abkurvung nachts merke ich davon nichts. Diese unsäglichen Überflüge auf der Südabkurvung am Wochenende und in den Randzeiten bis über die Grenzen sowie diese unsägliche Gewinnmaximierungsmethode der kurzen Nordabkurvung legen eine Lärm- und Abgasschleppe über den Norden von Leipzig. Ich erinnere nur mal kurz: Die drehen genau über der nördlichen Kaltfrischluftschneise dieser Stadt Leipzig, die nicht verbaut werden darf, wo Wald-Inseln im Feld Luftströmungen nicht behindern dürfen. Wildes Abkurven von schwerem und altem Fluggerät scheint hingegen als völlig normal angesehen zu werden. Ein Eingreifen der heutigen Fluglärmkommission? Nein.
Ich habe in meiner Rede zum Regionalplan Westsachsen gesagt: „Im Grunde muss konstatiert werden, dass die Lärmbelastung der Menschen im Nordwesten größer ist als angenommen. Da hilft allerdings keine Vergrößerung der Siedlungsbeschränkung. Vielmehr müssen ehrliche Maßnahmen, den Lärm zu begrenzen und gleichmäßig zu verteilen, oder eben Lärmpausen eingeführt werden, solange man auf diese Lärmquelle nicht verzichten kann oder möchte.“
Und genau dafür braucht es eine Fluglärmkommission, die dieser Aufgabe gewachsen ist und sie auch ernst nimmt.
Und, Herr Oberbürgermeister, ich traue Ihnen diesen schwierigen Spagat im Interesse der Menschen einer ganzen Region zu!
Es gibt viele Gründe, die Fluglärmkommission zu stärken. Gerade heute! Bitte stimmen Sie mit mir für unseren gemeinsamen Antrag.
Zum Verwaltungsstandpunkt möchte ich sagen:
Danke, dass Sie, ähnlich wie wir, ein Bewusstsein für das Problem entwickelt haben. Wir wollen das demokratische Gewicht dieser Fluglärmkommission stärken, keiner von uns Dreien zweifelt die fachliche Eignung unserer Umweltamtsleiterin an, aber ihr ist es unbestreitbar nicht gelungen, für fachlich gute Ideen Mehrheiten zu organisieren oder Verständnis beim Flughafen und beim Land zu erwirken.
Und irgendwann muss mal Schluss sein mit den Lügengeschichten aus dem SMWA, wenn Schkeuditz 2 Sitze hat, weil der aus Kursdorf bei der Eingemeindung 1994 nach Schkeuditz mitgenommen wurde, müsste die Stadt Leipzig heute mindestens 4 oder 5 Sitze haben, die von den ehemals eigenständigen Gemeinden Lützschena/Stahmeln, Lindenthal, Wiederritzsch usw. mit nach Leipzig gebracht worden wären. Schließlich erfolgten diese Eingemeindungen noch 5 Jahre später und knapp 7 Jahre nach Einrichtung der Fluglärmkommission.
Der Antrag der Linken, der uns heute früh erreicht hat, freut mich ähnlich, denn auch sie haben offenbar begriffen, welche Chance unserer Idee innewohnt. Warum allerdings der Finanzbürgermeister der Vertreter des OBM in dem Gremium sein soll, statt des Bürgermeisters für Umwelt und Ordnung, in dessen Dezernat das ganze Thema angesiedelt ist, erschließt sich mir nun überhaupt nicht.
Da unser Antrag im Punkt 1 deutlich weiter geht und in Punkt 3 klar beschreibt, wen wir dort gerne sehen möchten – auch im Hinblick auf eine Heilung des weiter vorn beschriebenen Aspektes der Nordgemeinden, würde ich aktuell den Originalantrag abstimmen lassen.
Und lassen Sie mich einen letzten Gedanken für eine ihrer ersten Aufgaben einbringen: Ein Fluglärmbeauftragter der nicht zeitgleich Angestellter des Flughafens ist (so wie fast an allen Flughäfen außerhalb Sachsens gelebte Praxis) würde dieses Amt demokratisch aufwerten und etwas unabhängiger gestalten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Zeit!
Der Stadtrat tagt: Die April-Sondersitzung im Livestream & Videomitschnitt
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