Als der Stadtrat 1995 die Beteiligung von Bรผrgervereinen bei Bauplanungen beschloss, war das ein echter Fortschritt. Fortan wurden die Initiativen der Betroffenen zumindest um ihre Stellungnahme gebeten. Auch wenn die Planer dann doch haufenweise Grรผnde fanden, sie trotzdem zu ignorieren. Nun haben die Freibeuter einen Antrag vorgelegt, der die Beteiligungsmรถglichkeiten deutlich erweitern soll. Nur mit dem Begriff โLobbyregisterโ griffen sie augenscheinlich in ein Regalfach zu hoch.
โZiel des Antrags ist die Transparenz, Beteiligung und Chancengleichheit von organisierten Lobbyverbรคnden und semiprofessionellen Bรผrgerinitiativen gleichermaรen zur Berรผcksichtigung der Interessen aller Betroffenen in einem formalisierten Verfahrenโ, begrรผnden sie ihren Antrag, sodass die Begrรผndung im Grunde mehr beinhaltet als die drei einzelnen Antragspunkte:
- Der Beschluss vom 20. September 1995 der Ratsversammlung zur Mitwirkung von Bรผrgervereinen wird auf Bauleitplanungen, informelle Satzungsverfahren und sonstige Satzungsverfahren erweitert.
- Bรผrgervereine, Initiativen und Verbรคnde erhalten die Mรถglichkeit, sich in offene Listen (Lobbyregister) einzutragen und werden wie Trรคger รถffentlicher Belange behandelt.
- Der Einschub in Beschlusspunkt 1 des รnderungsbeschlusses vom 21. November 1996 โdie fรผr dieses Verfahren vom Fachausschuss Planung und Bau bestรคtigt werdenโ wird gestrichen.
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Um das Krรคfte-Ungleichgewicht deutlich zu machen, hier einfach mal die Wikipedia-Liste zu โTrรคgern รถffentlicher Belangeโ: โOberste Bundes- und Landesbehรถrden, Bundeswehr, Allgemeine untere Landesbehรถrden (Landkreise), Unternehmen: Energieversorger, Wasserwerke, Entsorgungsfirmen, Betreiber von Telekommunikationsnetzwerken, Post, Bahn, Trรคger von Feuerwehr und Rettungsdienst, etc.โ
Die Einzigen, die auf dieser Ebene gleichberechtigt sind (zumindest theoretisch), sind die Umweltverbรคnde, die als โauรenstehende Anwรคlte der Naturโ mit Trรคgern รถffentlicher Belange gleichberechtigt behandelt werden.
Dass ihnen das beim Unwillen der planenden Behรถrden meist gar nichts nรผtzt, ist mittlerweile ja eine sehr umfassende Leipziger Erfahrung, man denke nur an all die Negativerfahrungen bei den Planungen im Wassertouristischen Nutzungskonzept (WTNK).
Aber die Begrรผndung verweist auch darauf, dass zumindest die Freibeuter das flaue Gefรผhl haben, dass es einige โorganisierte Lobbyverbรคndeโ problemlos schaffen, bei sรคmtlichen Planungsverfahren ein gewichtiges Wort mitzureden, die โsemiprofessionellenโ aber entweder gar nicht erst zugelassen werden oder dann am Katzentisch landen, wie zuletzt erlebt bei der Planung zum Pleiรemรผhlgraben an der Hauptfeuerwache. Da musste der Profi โ der Chef der Feuerwehr โ nur sagen, dass er auf seinen betonierten Hinterhof nicht verzichten will, schon waren alle Stellungnahmen der โSemiprofessionellenโ (in diesem Fall des Vereins Neue Ufer e.V.) vom Tisch. Ergebnis: Ernรผchterung, Enttรคuschung, Entmutigung. Und die Botschaft fรผr die Leipziger: Auf euer Engagement kรถnnen wir auch verzichten.
Und natรผrlich die Feststellung, dass Bรผrger, die sich seit Jahren professionell engagieren, eben doch gegenรผber Behรถrden und Amtstrรคgern nichts zรคhlen. Und das in Leipzig, der Stadt der Friedlichen Enttรคuschung.
Das Dezernat Stadtentwicklung und Bau las den Antrag der Freibeuter jetzt so, als hรคtten diese jetzt tatsรคchlich ein richtiges Lobbyregister beantragt, damit man รถffentlich auch mal nachlesen kann, welcher (professionelle) Lobbyist eigentlich ungehinderten Zugang zu Verwaltung und Verwaltungsentscheidungen hat.
Und auch deshalb lehnt das Dezernat, wo es ja vor allem um Planungen geht, den Antrag erst einmal ab und begrรผndet das so:
โEin Lobbyregister (wie es z. B. auf Bundesebene von den Fraktionen Die Linke und Bรผndnis90/Die Grรผnen beantragt wurde und in einigen anderen Lรคndern existiert), soll der Transparenz der Aktivitรคten von Lobbyorganisationen fรผr die รffentlichkeit dienen. Man versteht darunter eine โรถffentlich einsehbare Datenbank, in der Lobbyismus betreibende Akteure zusammen mit Kenndaten รผber deren Aktivitรคten erfasst sind. Ziel ist es, รผber mรถgliche Einflussnahmen von organisierten Interessengruppen auf Parlamentarier Transparenz herzustellen.โ (Wikipedia)
Ein Lobbyregister dient mithin nicht dem Zweck, dort eingetragenen Lobbyorganisationen einen automatischen Zugang (Unterlagen) zu laufenden politischen Meinungsbildungsprozessen zu verschaffen, sondern andersherum, die von den Lobbyorganisationen ausgehenden Aktivitรคten transparent zu machen.โ
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Natรผrlich wรผnscht man sich beides: Mehr echte Beteiligung von (semiprofessionellen) Vereinen und Initiativen bei Planungen. Und natรผrlich ein Lobbyregister, in dem man sehen kann, welche Lobbyorganisation und welche Wirtschaftsunternehmen versuchen, Einfluss auf Verwaltungshandeln in Leipzig zu bekommen. Neben denen, die man schon kennt.
Aber das Planungsdezernat bedauert: โEine Rechtsgrundlage fรผr ein Lobbyregister gibt es in Deutschland bisher nicht, auf kommunaler Ebene ist der Verwaltung auch kein Beispiel einer โoffenen Listeโ bekannt, in die sich Bรผrgervereine, Verbรคnde und Initiativen selbststรคndig (nach welchen Kriterien?) eintragen kรถnnen und dann โwie Trรคger รถffentlicher Belange behandeltโ werden und zu sรคmtlichen โsonstigen Satzungsverfahrenโ automatisch Unterlagen zugeschickt bekommen. Das sind von der Abfallwirtschaftssatzung รผber die Marktgebรผhrensatzung bis zur Zweitwohnungssteuersatzung weit รผber 100 Satzungen aus allen Zustรคndigkeitsbereichen der Verwaltung.โ
Aber eine Beruhungspille teilt man doch noch aus: โEs ist geรผbte und vom Stadtrat beschlossene Praxis in Leipzig, dass bestimmte Bรผrgervereine รคhnlich wie TรถB in Bauleitplanverfahren und informellen Planungen beteiligt werden. Das Stadtplanungsamt tut dies bei Bรผrgervereinen, die der Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau auf der Grundlage eines Ratsbeschlusses vom 20.09.1995 (geรคndert durch Beschluss vom 21.11.1996) in eine entsprechende Liste aufgenommen hat. Der Zielrichtung des oben genannten Ratsbeschlusses entsprechend wurden in die Liste nur solche Bรผrgervereine aufgenommen, die sich unabhรคngig von Eigentums- und Finanzinteressen โ und somit quasi gemeinnรผtzig โ fรผr einen Stadt- bzw. Ortsteil und seine Bevรถlkerung insgesamt oder fรผr das gesamte Stadtgebiet und seine gesamte Bevรถlkerung betreffende Sachthemen (z. B. Natur- und Umweltschutz) einsetzen. Nicht aufgenommen wurden solche Vereine, die lediglich einzelne Interessensbereiche einzelner Bevรถlkerungsgruppen vertreten.โ
Stimmt: Stellungnahmen dรผrfen sie alle schreiben. Sie dรผrfen auch Alarm rufen. Aber das รคndert die gewรคhlte Politik der Verwaltung zumeist eben doch nicht, wenn man etwa an die nun neu zu bauenden Brรผcken in der Elsteraue denkt. Da wogen dann die Eigensinnigkeiten einzelner รmter in der Stadtverwaltung wieder schwerer und die besagten Vereine erlebten einmal mehr, dass ihre kompetenten Einwรผrfe meist nicht ernst genommen werden.
Da trรถstet auch nicht, wenn das Planungsdezernat betont: โDaraus wird deutlich, dass es ursprรผnglich darum ging, dass denjenigen Vereinen, die sich uneigennรผtzig fรผr die Stadt, fรผr Stadt-/Ortsteile oder fรผr die Umwelt einsetzen, die Beteiligung in den Bauleitplanverfahren dadurch erleichtert werden sollte, dass sie die Beteiligungsunterlagen gleichzeitig mit den TรถB zugeschickt bekommen. Eine Ausweitung dessen auf eine unbeschrรคnkte Zahl sich als Lobby verstehender Verbindungen auf alle Satzungsverfahren des Stadtrates ist weder leistbar noch zielfรผhrend.โ
Was man durchaus verstehen kann, was aber die Frage nicht beantwortet, wie die Beteiligungsverfahren in Leipzig transparenter gestaltet werden kรถnnen.
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