Das brachte dann doch den ein oder anderen in Verwirrung: Am Donnerstag, 6. Dezember, stellte Leipzigs Planungsdezernat das Projekt „Stadtraumkonzept: Leipzigs Innenstadt wächst über den Ring“ der Presse vor. 2021 soll es beschlussreif sein. Aber was bedeutet das? Schwappt nun die City einfach über den Promenadenring? Wird jetzt alles City bis zum Tangentenviereck? Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau hätte das gern selbst vorgestellt. Aber krankheitsbedingt musste sie absagen.
Aber sie schickte zumindest ihre Worte zum Projekt mit: „Das weiter anhaltende Bevölkerungswachstum und die damit verbundene Zunahme an Arbeitsplätzen und neue Pendlerverflechtungen stellen Stadt- und Verkehrsplanung gleichermaßen vor Herausforderungen. Das wird am augenfälligsten im Zentrum und den zentrumsnahen Bereichen, wo die Stadt am dichtesten ist. Wir brauchen neue Perspektiven und Lösungsansätze für attraktive Lebensräume und flexible Mobilitätsformen. Dafür entwickeln wir das ‚Stadtraumkonzept: Leipzigs Innenstadt wächst über den Ring‘.“
Alles klar?
Tatsächlich läuft das Projekt schon. 2017 wurde es von der Verwaltung gestartet. Es wurde eine Projektgruppe gebildet, in der neben den Ratsfraktionen, der City-Gemeinschaft, Wirtschaft, MDV und Verkehrsbetrieben auch die Leipziger Umweltverbände teilnehmen. Die Gruppe tagte im Januar 2018 zum ersten Mal, hat mittlerweile drei Sitzungen hinter sich und wird wohl im April ein paar Vorschläge fertig haben, die dann auch öffentlich vorgestellt werden. Dann beginnt auch die Öffentlichkeitsbeteiligung.
Daneben gibt es einen wissenschaftlichen Beirat, in dem vor allem Verkehrsexperten aus deutschen Hochschulen vertreten sind, die sich mit Verkehrsvisionen für die Zukunft beschäftigen.
Denn all das, was Dorothee Dubrau mit „Zunahme an Arbeitsplätzen und neue Pendlerverflechtungen“ beschrieb, bedeutet vor allem: mehr Verkehr. Deswegen ist Torben Heinemann, Leiter der Abteilung Generelle Planung des Verkehrs- und Tiefbauamtes, eine zentrale Figur in diesem Projekt. Denn letztlich geht es zuallererst um eine zukunftsfähige Planung für den Verkehr in der und um die Innenstadt im Jahr 2030.
Jenem Jahr, in dem Leipzigs Bevölkerung nach der letzten Bevölkerungsprognose die 700.000 übersteigen soll. Möglicherweise auch nicht, wie Michael Jana, Leiter des Verkehrs- und Tiefbauamtes, einschränkt. Aber wenn die Leute nicht in Leipzig wohnen, wohnen sie in der Region drumherum. „Und dann ist die gute Frage“, so Jana, „wie kommen sie dann in die Stadt? Mit welchem Verkehrsmittel?”
Und für Heinemann ist jetzt schon klar: Verhältnisse wie in vergleichbaren Städten – er nannte Stuttgart, Frankfurt und Köln – will in Leipzig niemand haben. Und auch in den genannten Städten will sie eigentlich keiner haben. Aber der dortige motorisierte Verkehrsrausch ist nun einmal Ergebnis der über Jahrzehnte gepflegten Politik der „autogerechten Stadt“.
In Leipzig ist das in DDR-Zeiten nur in Teilen so umgesetzt worden. Der breite Promenadenring ist ein Beispiel dafür. Nach der „Wende“ kamen dann noch Projekte wie die Adenauerallee und die Maximilianallee dazu. Aber so gründlich wie westdeutsche Städte wurde Leipzig nie fürs Auto zurechtgehauen. Dafür hat Leipzig bis heute ein dichtes Straßenbahnnetz behalten. Und das – da ist sich auch Heinemann sicher – wird in den nächsten Jahren noch vielmehr an Bedeutung gewinnen.
Also zum Projekt:
Das Konzept stellt den Beitrag dar, den Leipzig in das EU-Projekt DEMO-EC einbringt. Diese Abkürzung steht für „Development of Sustainable Mobility Management in European Cities“ (Entwicklung eines nachhaltigen Mobilitätsmanagements in europäischen Städten). Man sieht also auch am Namen: Es geht vor allem um nachhaltige und zukunftsfähige Verkehrskonzepte für die Innenstädte.
Die stadteigene Aufbauwerk Region Leipzig GmbH fungiert als Leitpartner, weitere Partner sind neben dem Verkehrs- und Tiefbauamt der Stadt Leipzig die Städte Genua (Italien), Lublin (Polen) und Liberec (Tschechien), die Entwicklungsagentur Sinerjia aus Toplice (Slowenien), und FAMCP, die in Zaragoza ansässige Vereinigung der Kommunen, Regionen und Provinzen von Aragón (Spanien). Leipzig erhält bis 2021 EU-Fördermittel in Höhe von rund 204.000 Euro bei einem Eigenanteil von etwa 36.000 Euro. (Insgesamt ist das EU-Projekt mit 1,576 Millionen Euro dotiert).
Machen jetzt alle das Gleiche?
Nein, sagt Michael Jana. Vergleichbar sind die Konzepte in den vier beteiligen Städten nur durch den gemeinsamen Prozess der Bürgerbeteiligung. Jede Stadt muss ihr eigenes zukunftsfähiges Innenstadtkonzept finden.
„Aber“, so betont Stefan Heinig, amtierender Leiter des Stadtplanungsamtes, „wir brauchen so ein Konzept schon jetzt. Wenn wir erst reagieren, wenn all die Innenstadtprojekte schon gebaut sind, die wir vernetzen wollen, ist es zu spät.“ Dann kann man nur noch reagieren.
Aktuell in Planung sind ja bekanntlich: die Hauptbahnhof-Westseite (mit einer großen Schule), der Freiladebahnhof Eutritzsch (mit einer Schule), das Areal Krystallpalast, perspektivisch wird auch der Leuschnerplatz Thema, und irgendwann, wenn der Besitzer so gnädig ist, auch das Stadtquartier am Bayerischen Bahnhof (mit großem Schulkomplex). All das erzeugt logischerweise Verkehr. Und der wirkt sich zwangsläufig auf die Innenstadt und den Ring aus.
Was wächst da also?
Das Konzept betrachtet das gesamte Areal innerhalb des Tangentenvierecks und integriert stadt- und verkehrsplanerische Ansätze. Das Projektgebiet wird begrenzt durch die Straßenzüge Leutzscher Allee, Gerichtsweg, Kurt-Eisner-Straße und Am Sportforum.
Weil man aber noch nicht weiß, welche Verkehrstechnologien 2030 tatsächlich zur Verfügung stehen und wie sich jedes einzelne Baugebiet auswirkt, geht es vor allem um generelle Leitlinien, wie Verkehr sich in diesem ganzen Gebiet entwickeln soll. Sogar Experten von BMW hat man schon eingeladen, um auch die Visionen der Autobauer mit aufzunehmen.
Und schon angeschobene Projekte werden natürlich weiter durchgeführt. Gerade weil jetzt schon enormer Handlungsbedarf besteht – so auf dem Hauptbahnhofsvorplatz. „Da werden wir wohl nächstes Jahr schon eine Lösung vorstellen können“, sagt Michael Jana.
Auch ein Projekt wie das Bürgerquartier Kolonnadenviertel wird einbezogen. Hier suchen die Bürger selbst zusammen mit der Stadt nach einer Vision für ihr Quartier.
Aber eines scheint schon jetzt sicher: Mehr Kraftverkehr wird niemand in der Innenstadt haben wollen. Und auch in der Konzeptgruppe ist davon keine Rede. Dazu ist allen Beteiligten zu klar, dass es in Leipzigs Innenstadt jetzt um den Erhalt von Lebensqualität geht. „Das ist ja das, was die Bürger an Leipzig wichtig finden“, sagt Heinemann.
Also braucht man – und das ist ja nicht neu – mehr Umweltverbund in der City, wenn das Verkehrsaufkommen wächst. Und das hat der Stadtrat ja mit dem „Nachhaltigen Mobilitätskonzept“ im Grunde schon beschlossen. Besonderes Thema ist der spürbare Ausbau des Straßenbahnangebots.
„Und zwar künftig auch außerhalb des Rings“, so Heinemann. Stichwort: Tangentenbahn. Für eine Strecke verdichten sich die Zeichen auf eine Umsetzung immer mehr – das wäre die Tangentenstraßenbahn über Schleußiger Weg und Kurt-Eisner-Straße zum alten Messegelände. Damit nicht mehr alle Fahrgäste über den eh schon engen City-Ring müssen.
Wer arbeitet jetzt eigentlich wie?
Die Erarbeitung des „Stadtraumkonzeptes: Leipzigs Innenstadt wächst über den Ring“ ist ein mehrstufiger, ämterübergreifender Prozess. Im Projektbeirat wirken Verwaltung, Wirtschaft, Vereine und Verbände sowie Vertreter von Handel, Bildung und Verkehrsunternehmen mit. Daneben berät ein wissenschaftlicher Beirat, der sich aus 14 Experten aus ganz Deutschland zusammensetzt.
Nachdem die Analysephase abgeschlossen worden ist, läuft jetzt bis März 2019 die Auftaktphase, an die sich weitere Phasen anschließen. Von Juni bis September 2020 ist die Phase der Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen, die Beschlussphase folgt bis März 2021. Abschließend wird die Öffentlichkeit noch einmal detailliert informiert.
Tatsächlich soll es schon nach Ostern 2019 eine erste Öffentlichkeitsbeteiligung geben, sodass die Bürger auch schon die ersten Konzeptideen mitdiskutieren können. Am Ende (also 2021) soll ein Konzept stehen, das (vor allem verkehrlich) die City über den Promenadenring hinaus mit den Ortsteilen innerhalb des Tangentenvierecks möglichst optimal verknüpft.
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