Seit August ist alles zum Stillstand gekommen. Das Kulturdezernat war erschrocken. Unverhofft waren die Plankosten für das neue Naturkundemuseum in der Spinnerei von 10 Millionen Euro auf 37 Millionen Euro hochgeschnellt. Das Kulturdezernat zog die Reißleine. So viel Geld würde man in das Museum an diesem Standort nicht stecken können.
Und so legt das Kulturdezernat dem Stadtrat jetzt die Beendigung des Lindenauer Abenteuers vor: „Nach Vorliegen der Leistungsphase 2 der Bau- und Museumsplanung schlägt die Verwaltung vor, die Halle 7 auf dem Gelände der Baumwollspinnerei nicht als Standort für das Naturkundemuseum Leipzig zu entwickeln. Gründe sind unverhältnismäßige Kostensteigerungen und Einschränkungen für das Museumskonzept infolge der räumlichen Gegebenheiten mit Umsetzung der Baumaßnahme.“
Und gleichzeitig braucht es einen neuen Auftrag: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, dem Stadtrat einen neuen Standortvorschlag zu unterbreiten. Der vorhandene Standort Lortzingstraße 3 wird dabei mit betrachtet. (…) Für Weiterentwicklungsoptionen am bestehenden Standort des Naturkundemuseums zur Aufrechterhaltung des Museumsbetriebs und Untersuchungen für einen neuen Standort für das Naturkundemuseum Leipzig werden im Doppelhaushalt 2019/2020 jeweils 1 Mio. EUR im PSP Element 7.0000736.700. bereitgestellt. Der Beschluss gilt unter dem Vorbehalt der Beschlussfassungen des Haushaltes 2019/2020 der Stadt Leipzig.“
Deshalb stehen auch nicht die 10 Millionen Euro mehr im Doppelhaushalt 2019/2020, was ja die Grünen kritisiert hatten.
Mit dem neuen Antrag wird aber auch sichtbar, dass es nicht nur die Bausubstanz der Halle 7 war, die die absehbaren Baukosten in die Höhe trieb.
Auf einmal tauchen zusätzliche Grundstückskosten von 4,5 Millionen Euro auf. Die Museumsausstattung wurde von 2,5 Millionen auf 7,5 Millionen Euro hochgesetzt.
Die Bauwerkskonstruktion verteuert sich hingegen von rund 5 Millionen, wie sie 2017 geschätzt wurde, auf fast 19,5 Millionen Euro.
Ganz will man sich von der Halle 7 ja nicht verabschieden. Lofft und Tanztheater ziehen ja trotzdem ein. Und die jetzt nicht mehr für das Museum genutzten Etagen will man zumindest prüfen, ob man sie für andere kulturelle Nutzungen verwenden kann.
„Die Stadtverwaltung ist in Gesprächen mit dem Eigentümer der Halle 7 und dem Freistaat Sachsen, um Möglichkeiten einer neuen Nutzung für die nicht durch das Naturkundemuseum in Anspruch genommenen Flächen in der Halle 7 auszuloten. Ziel ist dabei, dass die unter der Maßgabe der Errichtung einer kulturellen Gemeinbedarfseinrichtung gewährten Fördermittel des Freistaates Sachsen weiter gewährt werden“, heißt es in der Vorlage.
Und dann erzählt man auch ein bisschen, wie man damals zu dieser flotten Entscheidung für die Spinnerei gekommen war: „Die Eignung des Gebäudes für das NKM war im Jahr 2015 durch das Amt für Gebäudemanagement betrachtet worden. Basis waren die Anforderungen aus dem Masterplan Naturkundemuseum aus dem Jahr 2012. Konkrete Untersuchungen konnten aufgrund des nicht vorhandenen Museumskonzeptes nicht erfolgen. Aussagen zu dem Zustand des Gebäudes und den voraussichtlichen Kosten lagen qualifiziert nicht vor.
Demnach konnten die Aussagen nur als Plausibilisierung einer möglichen Umsetzung der Anforderungen aus dem Masterplan zum Naturkundemuseum in der Halle 7 verstanden werden, ohne Anspruch einer Vollständigkeit der notwendigen zu betrachtenden Parameter und Randbedingungen. Dies gilt auch insbesondere vor dem Hintergrund, dass im Masterplan nicht in allen Punkten Aussagen zu den Raumgrößen getroffen worden waren. Auf der Grundlage des Planungsbeschlusses vom 20.09.2017 zum Naturkundemuseum in der Halle 7 wurden für die Generalplanung und die Museumsplanung im I. Quartal 2018 europaweite Ausschreibungsverfahren (VgV-Verfahren) durchgeführt und zunächst bis zur Leistungsphase (LP) 2 gem. HOAI vergeben.“
Und letztere haben dann im Sommer die neuen Zahlen begründet.
Dazu gehört auch die Tatsache, dass die in Halle 7 verfügbaren Flächen für keinen Teil des Museumskonzeptes ausgereicht hätten. Insgesamt würden rund 1.750 Quadratmeter fehlen, der größte Teil davon, 1.250 Quadratmeter, für Magazinflächen.
Aber die Vorlage zeigt eben auch, dass das Gebäude in vielerlei Belangen überhaupt nicht für ein Museum geeignet ist. Die Liste der Mängel ist so lang, dass es tatsächlich nur noch eine Lösung gab – die Reißleine zu ziehen.
Hier der entsprechende Abschnitt in der Vorlage:
„Des Weiteren sind im Gebäude anhand der Raumgeometrie erhebliche Probleme bei der Umsetzung der musealen Anforderungen vorhanden:
Die Raumdecken sind für die Präsentation von Großpräparaten zu niedrig, schränken die Präsentation von hängenden Objekten erheblich ein und erschweren die Besucherführung.
Die Beschaffenheit der Decken erlaubt die Aufhängung von Ausstellungsobjekten nur mit großen Einschränkungen. Aufhängungen für schwere Objekte müssten bereits im Zuge der Sanierung durch entsprechende Hilfskonstruktionen berücksichtigt werden. Das schränkt die Flexibilität in Hinblick auf die Präsentation von Präparaten/Exponaten, die im Zuge der Museumsarbeit noch erworben oder angefertigt werden, erheblich ein.
Insbesondere für den Sonderausstellungsbereich sind Deckenhöhen von 6 bis 8 m notwendig (Siehe Masterplan S. 76: ‚Ein Sonderausstellungsraum sollte idealerweise zumindest auf Teilflächen eine Höhe von etwa 6 bis 8 m haben, um auch Großobjekte zeigen zu können.‘). Aber auch im Bereich der Dauerausstellung ist die Präsentation von Großpräparaten nicht oder nur durch aufwendige Deckendurchbrüche möglich (z. B. muss für die Präsentation des Mammuts ‚Zentralinszenierung Mammut von Borna‘ eigens ein aufwendiger Deckendurchbruch erstellt werden).
Die niedrigen Decken verursachen eine niedrige Montagehöhe der Beleuchtungsanlage und verursachen damit Blendwirkungen für den Besucher.
Niedrige Decken bedeuten Einschränkung in der Besucherorientierung. Der Masterplan fordert richtigerweise für die Gestaltung und Vermittlung eine ‚Fernwirkung im Raum …, der es gelingt, einen flanierenden Besucher anzusprechen und ihn zu einer intensiveren Beschäftigung einzuladen.‘ (Siehe Seite 76) und ‚übersichtliche, großzügige Räume mit weit sichtbaren Zeichen und Überschriften‘ (S. 101). Eine intuitive Besucherführung, die die wichtigsten Elemente und Überschriften der Ausstellung über die Themenwelten und ihre Vitrinen etc. herausragen lässt, ist grundsätzlich nicht möglich.
Die Struktur des Gebäudes bedingt, dass Sonderausstellungsbereich und Veranstaltungsbereich nicht separat vom Foyer her begangen werden könnten.
Üblich – und für einen reibungslosen Betriebsablauf notwendig – ist eine Trennung der Zugänge zu Dauerausstellung, Sonderausstellungsbereich und Veranstaltungsbereich vom Foyer aus. Besucher von Abendveranstaltungen oder Sonderausstellungen erreichen die Veranstaltungsräume nur durch die Dauerausstellung hindurch. Dies würde erhebliche Sicherheitsprobleme und erhöhten Personalaufwand in der Bewachung ergeben.
Außerdem ist die derzeitige Entfluchtungssituation durch die vorhandenen drei Treppenhäuser als sehr kritisch anzusehen. Es wurde bewusst in der Flächen- und Kostenbetrachtung der LP 2 auf die Installation eines vierten Treppenhauses verzichtet, damit eine weitere Reduzierung der Programmflächen vermieden wird.“
Was aber eben auch bedeutet, dass man es sich auch 2015 schon zu einfach gemacht hat. Man hat nicht das Fachwissen von kompetenten Museumsexperten genutzt, um die Räume wenigstens einmal in Bezug auf museale Anforderungen in Augenschein zu nehmen. Das Museumskonzept von Ronny Maik Leder hat die Planer nun gezwungen, auf die alte Halle endlich auch einmal mit Museums-Augen zu schauen – um dann entsetzt festzustellen: Das war eine Schnapsidee.
So wird es mit jedem schon existierenden Gebäude gehen, das nicht für Museumszwecke gebaut wurde. Es sieht ganz danach aus, dass es ohne einen modernen (Teil-)Neubau für Leipzigs Naturkundemuseum nicht funktioniert.
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