Manche Ereignisse liegen jetzt schon Jahre zurück. Die Wunden sind nicht verheilt. Und wenn ein Grüner Abgeordneter im Landtag fragt, trifft er ganz augenscheinlich auch sofort eine wunde Stelle. Wolfram Günther, der Fraktionsvorsitzende der Grünen, hat gefragt. Denn das Hochwasser von 2011 hat noch einige Nachwehen. Immerhin gab es die Holzfällerei im angrenzenden Auenwald erst nach der Flut.
„In den Jahren 2011/2012 wurden im Raum Leipzig im Einzugsgebiet der Weißen Elster nach dem Ausklingen des Hochwassers 2011 im Auftrag der Landestalsperrenverwaltung des Freistaates tausende Bäume entlang der Ufer auf 23 km Länge gefällt und an den Deichen teilweise neue Deichverteidigungswege angelegt. Es ist aktuell nicht nachvollziehbar wo und in welchem Umfang die Eingriffe in Natur und Landschaft ausgeglichen wurden. Betroffen von den Maßnahmen sind der Landkreis Nordsachsen und das Stadtgebiet Leipzigs“, hatte Wolfram Günther formuliert.
Rund 10 Hektar Auenwald waren betroffen – darunter etliche alte und wertvolle Bäume. Aber selbst die Feststellung des Leipziger Landtagsabgeordneten wollte der zuständige Agrarminister Thomas Schmidt so nicht stehen lassen. Denn damals machte die Landestalsperrenverwaltung (LTV) gehörigen Druck auf Leipzigs Verwaltung mit der Begründung, es ginge um akute Gefahrenabwehr. Etwas, was die Leipziger Umweltverbände nur verblüffte: Was ist daran Gefahrenabwehr, wenn man ganze Streifen von Auenwald fällt, um Deiche zu stärken, die ausgerechnet den Auenwald vor Überflutung schützen?
„Richtigstellend wird angemerkt, dass während des Hochwasserereignisses beziehungsweise nach Abklingen des Hochwasserscheitels im Januar 2011 Gefahrenabwehrmaßnahmen zum Schutz mehrerer akut vom Hochwasser bedrohter Stadtteile der Städte Leipzig und Schkeuditz sowie der Unterlieger in Sachsen-Anhalt notwendig waren“, meint Minister Thomas Schmidt nun in seiner Antwort und wiederholt damit die Argumente von 2011.
„Dazu gehörten auch die Beseitigung von Gehölzen auf den Deichen einschließlich der zugehörigen Deichschutzstreifen, die für den Hochwasserschutz der Städte Leipzig und Schkeuditz von besonderer Bedeutung sind. Auch die Stubbenbeseitigung und Reprofilierung der durch das Hochwasser im Januar 2011 geschädigten Deichkörper erfolgte unmittelbar, um auf ein erneutes Hochwasserereignis angemessen vorbereitet zu sein. Die im Bereich der Deichschutzstreifen zur Umsetzung der Gefahrenabwehrmaßnahmen notwendigen Baustraßen wurden nach dem Abschluss der Arbeiten zurückgebaut und begrünt.“
Man sieht, wie sich die Regierung an dieser Begründung festbeißt. Was auch damit zu tun hat, dass bis heute kein belastbares Revitalisierungskonzept für die Leipziger Nordwestaue vorliegt. Die Baumfällungen fanden auch hinter Deichen statt, die bis heute die Burgaue von einer regelmäßigen Vernässung „schützen“.
Tatsächlich ist Leipzigs Umweltschutzamt 2011 komplett auf die Haltung der LTV eingeschwenkt, als es in den Naturschutzgebieten „Burgaue“ und „Lehmlache Lauer“ die LTV von den straffen Auflagen des Naturschutzes befreit hat.
Der Streit ist bis heute ungelöst. Auch wenn Leipzigs Naturschutzbehörde die LTV beauflagte, alle Veränderungen zu protokollieren und im gleichen Maß Ausgleich zu schaffen – möglichst in der Elsteraue. So verwickelt muss man erst einmal denken. Aber im Leipziger Umweltschutzamt denkt man augenscheinlich genau so verwickelt.
Das Ergebnis: Der zuständige Minister muss sieben Jahre später feststellen, dass man in der durchaus überschaubaren Aue nicht genug Flächen gefunden hat, um Ersatzpflanzungen im gleichen Umfang zu gewährleisten. Ein „Eingriffsdefizit von 7.010.767,5 Wertpunkten nach dem ‚Leipziger Bewertungsmodell‘“ wurde gerade einmal mit „2.796.397 Wertpunkten“ kompensiert. Heißt: Nur knapp 40 Prozent dessen, was man 2011 hinter den Deichen gefällt hat, hat man an anderer Stelle der Elsteraue wieder aufpflanzen können.
„Entsprechend den Anforderungen sollen die Kompensationsmaßnahmen möglichst im Stadtgebiet Leipzig insbesondere im Auenbereich erfolgen. Aufgrund des hohen Nutzungsdruckes im Stadtgebiet Leipzig konnte die Flächenverfügbarkeit noch nicht im notwendigen Umfang erreicht werden“, betont Thomas Schmidt. „Eine belastbare zeitliche Einordnung der Maßnahmenumsetzung ist aufgrund der Unwägbarkeiten insbesondere bei der Flächenbeschaffung und des Genehmigungsverlaufes nicht möglich.“
Zu den Maßnahmen, die man eigentlich nach 2011 umsetzen wollte, gehören auch zwei Deichöffnungen. Die liegen eigentlich in direkter Verantwortung der Landestalsperrenverwaltung. Aber wenn es um Deichöffnungen – oder auch nur Deichschlitzungen – geht, tut sie sich schwer. Kann sie sich auch schwertun, wenn Leipzig selbst bis heute kein belastbares Konzept zur Renaturierung der Elsteraue hat. Es ist ein Eiertanz mit lauter Pokerspielern, in dem schon der Verweis auf das nächste Hochwasser genügt, alle schreckhaft zusammenzucken zu lassen. Was passiert, wenn wir das Hochwasser in den Auwald lassen?
Eigentlich weiß es jeder. Und auch Leipzig weiß es längst. Man hat ja seit Jahren das Testprojekt im Paußnitzgebiet laufen. Und da, wo man dort mit kleinen Winterhochwässern ein bisschen Vernässung erreicht, stabilisiert sich die Lebensgemeinschaft Auwald. Deswegen gehört dieses Waldsstück seit 2011 auch zu den Wiedergutmachungsprojekten der LTV: „Dynamische Aue im Ratsholz, tlw. Wiedervernässung“.
Dazu müsste der Deich in Höhe der Paußnitz dauerhaft geöffnet werden, damit das Ratsholz ohne großen technischem Aufwand regelmäßig vernässt werden kann.
Aber das ist bis heute nicht passiert, genauso wenig wie das andere Vernässungsprojekt Möckernscher Winkel. Das ist die Landspitze am Zusammenfluss von Nahle und Neuer Luppe, wo nun wirklich keine Bebauung gefährdet wird. Andererseits liegt das Gebiet so hoch über der Flusssohle, dass man hier problemlos alle Deiche entfernen kann. Aber auch hier merkt man, wie die Landestalsperrenverwaltung pokert, denn angeboten hat sie hier nur „Deichschlitzungen in Bereichen ohne Hochwassergefährdung“.
Und wer die Diskussion um das Projekt „Lebendige Luppe“ verfolgt hat, weiß, dass sich die Hochwasserschutzverwaltung, wie man sie auch nennen kann, auch dort vehement gegen eine Öffnung der Deiche gesperrt hat, sodass jetzt nur noch ein schmaler Bypass in Planung ist, der von der Kleinen Luppe aus Wasser in die Burgaue bringen soll. Von den einstigen Versprechen des Projekts „Lebendige Luppe“, hier dauerhaft alte Flussläufe wieder mit Wasser zu bespannen, ist fast nichts übriggeblieben.
So lange Leipzig keine wirkliche Konzeption für sein Natura-2000-Schutzgebiet auflegt, wird es beim Pokern immer Federn lassen.
Die neue Leipziger Zeitung Nr. 59 ist da: Zwischen Überalterung und verschärftem Polizeigesetz: Der Ostdeutsche, das völlig unbegreifliche Wesen
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Nur mal zur Erinnerung: es gibt auch südlich von Leipzig (noch) geschützte Auwaldfläche (und solche, die nicht als Naturschutzgebiet ausgewiesen wird, obwohl die Kartierungen dafür vorliegen, besser gesagt: ganz hinten in der Schublade der Nautrschutztbehörde verrotten und hoffentlich nie mehr gefunden werden). So wird derzeit ein Masterplan für den Leipziger Auwlad erarbeitet – aber darin kommt nur die Nordwestaue vor. Im Süden tummeln sich per Facebookverabredung Mountainbiker, “bauen” sich ihre Strecken im Landschafts und Naturschutzschutzgebiet (mit Wissen der Naturschutzbehörde übrigens). Und die LMBV “baut” die Pleiße aus für Motorboote. Alles Auwald.,