In der letzten Ratsversammlung hat ja der Stadtrat das neue „Integrierte Stadtentwicklungskonzept“ (INSEK) beschlossen. Wirklich viel diskutiert wurde ja dazu nicht, wenn man vom Versuch der CDU-Fraktion absieht, den Kurswechsel hin zu einem nachhaltigen Stadtverkehr auszuhebeln. Aber gekoppelt ist das INSEK auch mit einem Indikatorenset, mit dem OBM Burkhard Jung glaubt, die positive Entwicklung der Stadt messen zu können. Wir glauben das nicht.

Aber als er im Februar mit dem nach Jahren der Mühe endlich fertiggestellten INSEK auch das Indikatorenset vorstellte, erntete Burkhard Jung zumindest ein gewisses „Hallo!“. In einem der Besprechungsräume im Neuen Rathaus hängen die ganzen Indikatoren auch an der Wand und sollen, so Jung, auch regelmäßig aktualisiert werden.

Was einem doch schon irgendwie vorkam wie eine Wettbewerbsgestaltung der frühen 1970er Jahre.

Ganz so, als lebten wir nicht längst im Digitalzeitalter, in dem man Daten automatisch in Modelle einfließen lassen und auch noch animieren kann. Warum gibt es so ein Programm nicht auf der Homepage der Stadt, wo jeder Leipziger sehen kann, wie sich die ganze Stadt entwickelt? Vielleicht geht Burkhard Jung ja mal als der OBM in die Leipziger Geschichte ein, der seine Furcht vor dem wirklich sinnvollen Einsatz von Daten bis zuletzt nicht überwand. Denn Daten hat die Stadt jede Menge – nicht zu verwechseln mit den Daten, die solche Vermarktungsbuden wie Facebook und Google bei allen Nutzern abgreifen.

Es geht um die vielen statistischen Daten, die die Stadt fortwährend aus ihrer ganz gewöhnlichen Alltagsarbeit generiert: Wie viele Autos fahren herum? Mit was für Motoren? Wie viele Kinder werden im Standesamt gemeldet? Wie viele Schulen gibt es und wie viele Schüler? Usw. Die stehen in der Regel fast alle im „Statistischen Jahrbuch“ der Stadt. Auf der Homepage des Amtes für Statistik und Wahlen kann man sie abrufen.

Aber die meisten Menschen können mit bloßen Daten nichts anfangen. Sie können sich nichts darunter vorstellen. Jeder Mathematiklehrer weiß das.

Deshalb sind auch die Indikatoren in ihrer statistischen Aufreihung im Indikatoren-Set nicht wirklich greifbar, auch wenn dahinter ein frecher Facebook-Daumen anzeigt, wohin die Verwaltung glaubt, dass sich die Zahlen entwickeln.

Obwohl das zweite Quartal 2018 noch nicht herum ist, hat die Stadt jetzt schon das Indikatoren-Set fürs 2. Quartal 2018 veröffentlicht. Und wenn Burkhard Jung jetzt nicht grübelnd vor seiner Indikatoren-Wand steht, dann steht er nicht da. Es macht ja nur Kopfschmerzen. Denn wo soll ein Oberbürgermeister eigentlich steuernd ansetzen, wenn wichtige Indikatoren auf einmal ins Minus drehen oder sich abschwächen?

Indikatoren zum Bereich "Natürliche Lebensgrundlagen". Grafik: Stadt Leipzig
Indikatoren zum Bereich „Natürliche Lebensgrundlagen“. Grafik: Stadt Leipzig

Oder sich auch gar nicht verändern. Denn für uns überraschend hat Burkhard Jung ja auch die „Gewässergüte nach WRRL“ als Indikator für „Natürliche Lebensgrundlagen“ mit aufgenommen. Da steht natürlich nur eine „9 Prozent“. Nur 9 Prozent der Leipziger Oberflächengewässer haben einen „guten ökologischer Zustand“. Und in seiner ganzen Dienstzeit als OBM hat Jung nicht ein einziges Mal Anlauf genommen, daran etwas zu verändern. Kann er das? Natürlich kann er das. Er hat genug Handlungsspielraum, sich für die Revitalisierung der Leipziger Fließgewässer einzusetzen oder die ungeklärte Einleitung von Mischwasser gerade in die Weiße Elster Stück für Stück abzustellen.

In einem guten ökologischen Zustand sind praktisch nur Seen wie der Kulkwitzer und der Cospudener See.

Dass die Leipziger Naturschutzgebiete nur mit ihrer amtlichen Größe im Set stehen, ist eigentlich nur peinlich. So etwas macht man, wenn man gar nichts wissen will. Mindestens im Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) bekommt man Daten über den tatsächlichen Erhaltungszustand der geschützten Natur. Und wenn 30 Prozent der Schutzgüter im Leipziger Auenwald das Prädikat „unzureichend“ bekommen, müsste daran gearbeitet werden. Das kann man nicht allein dem Förster überlassen.

Natürlich kann man sich als OBM auf die Lebensgrundlagen fokussieren. Das allein würde eine ordentliche Arbeit mit Zielmarken benötigen, klare Handlungsprogramme und zielgerichtete Arbeit.

Irgendwie fehlt das in Leipzig. Obwohl das Indikatoren-Set eine intensive Beschäftigung mit dem Thema Nachhaltigkeit suggeriert. Da staunten, wie Burkhard Jung erzählte, ja sogar die schwedischen Bürgermeister.

Aber was bedeutet der Daumen runter, wenn die Gewerbesteuereinnahmen nach 295 Millionen Euro mal auf 289,5 Millionen abrutschen, der Anteil an der Einkommenssteuer aber von 148,5 auf 157,3 Millionen steigt? Gar nichts, wenn man bedenkt, dass Burkhard Jung für das Jahr 2020 mal 400 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen angepeilt hat.

Aber er kann bestenfalls die Rahmenbedingungen für Wirtschaftsansiedlungen schaffen. Er kann nicht beeinflussen, wie viel Gewerbesteuer tatsächlich erwirtschaftet wird. Denn Leipzig hat ja einige strukturelle Probleme: Es fehlt an wirklich großen, börsennotierten Unternehmen. Und die meisten Unternehmen sind Klein- und Kleinstunternehmen und erreichen oft gar nicht die Bemessungsgrenze für die Gewerbesteuer.

Zumindest beiläufig kommt das Thema als Indikator vor: als Zahl der Betriebe mit mehr als 50 Beschäftigten. Diese Zahl ist in den vergangenen Jahren tatsächlich gestiegen: Von 701 auf 816. So ein gewisser neuer Mittelstand wächst da also heran.

Aber gleich der benachbarte Indikator „Gründungen wissensintensives Gewerbe“ macht keinen Sinn. Hier werden die jährlichen Neugründungen wissensbasierter Unternehmen gezählt, eine Zahl, die zwischen 1.159 und 1.242 schwankt. Wenn es im letzen Jahr nur 1.207 waren, ist das – anders als es der Daumen suggeriert – kein Rückgang. Denn normalerweise bleiben die meisten ja bestehen. Die Zahlen summieren sich im Lauf der Jahre aus.

Sinnvoll wäre die Entwicklung der Gesamtsumme wissensbasierter Unternehmen. Da könnte man dann ablesen, ob Leipzig auf dem Weg zu einer IT-Stadt ist.

Spannender ist eher die Tatsache, dass zwei Indikatoren sinken, bloß weil die Bevölkerungszahl wächst. Das eine ist der Anteil öffentlichen Grüns pro Einwohner. Wenn keine neuen Parkflächen entstehen, bleibt logischerweise immer weniger Grün für jeden Einzelnen übrig. Der Wert sank in den letzten vier Jahren von 19,9 auf 15,8 m²/Ew.

Und gesunken ist auch das CO2-Aufkommen pro Einwohner, eine Zahl, die die Stadt schon lange nicht mehr separat veröffentlicht. 2014 wurden noch 6,81 Tonnen CO2 je Einwohner berechnet. Am Heiz- und Mobilitätsverhalten hat sich ja nicht viel geändert. Aber da die Gesamtmenge im Energieverbrauch eher stabil blieb, sank der Durchschnittswert pro Nase dann auf 6,77 (2015), 6,7 (2016) und zuletzt auf 6,57 Tonnen im Jahr 2017. Der Daumen zeigt eher, dass man im Rathaus ratlos ist. Denn im Klimaschutzprogramm von 2011 hat sich die Stadt ganz andere Ziele gesetzt. Bis 2020 sollte der Gesamt-CO2-Ausstoß auf 4,47 bis 4,73 Tonnen pro Einwohner gesenkt werden.

Es ist jetzt schon klar, dass Leipzig dieses Ziel meilenweit verfehlt. Denn es hätte ab 2011 den konsequenten Ausbau von Radwegen und ÖPNV bedeutet. Nur als Beispiel.

Aber schon damals konnte man das Gefühl haben, dass es mehr als heiße Luft zum Thema nicht geben wird.

Deswegen messen Burkhard Jungs Indikatoren auch nicht wirklich, was das OBM-Büro einer Stadt wirklich messen könnte, wenn es um nachhaltige Stadtentwicklung ginge. An den entscheidenden Stellen ist es zahnlos. Und die Folge ist, dass das Bemühen an mehreren Stellen torpediert wird dadurch, dass sich wichtige Indikatoren, die gar nicht im Set enthalten sind, verschlechtern.

Wie wäre es zum Beispiel mit denen:

– Entwicklung der Mietpreise
– Entwicklung der niedrigen Einkommen
– Entwicklung der Pünktlichkeit im LVB-System
– Ausbau des Radwegenetzes
– Entwicklung der tarifgebundenen Arbeitsplätze
– Entwicklung der Ausfalltage wegen Krankheiten
– Entwicklung der tatsächlichen Kriminalitätszahlen (statt des Wischwaschi-Sicherheitsgefühls)
– Zahl der vom Stadtrat positiv gevoteten Petitionen
– tatsächlich umgesetzte Investitionen in Sozialinfrastrukturen
– Gymnasialempfehlungen in Grundschulen
– MitarbeiterInnen in Leipziger Forschungsinstituten

Usw.

So, wie das Indikatoren-Set aussieht, zeigt es nicht einmal, an welchen Stellschrauben der OBM tatsächlich drehen kann und für welche Ziele er sich wirklich mit seiner Persönlichkeit einsetzt. Setzt er sich überhaupt ein? Dieses Indikatoren-Set verrät davon nichts.

Der Stadtrat tagte: INSEK beschlossen + Video

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