Mehrere tödliche Unfälle mit Radfahrerinnen und Radfahrern sorgten in der letzten Zeit für Entsetzen in Leipzig. Vier mal waren Lkw an den Unfällen beteiligt und das Fehlen von Abbiegeassistenzsystemen könnte dazu beigetragen haben. Eine entsprechend besorgte Stadtratsanfrage der Linksfraktion hat das Dezernat für Stadtentwicklung und Bau jetzt beantwortet.
Obwohl die Linksfraktion sehr harsch vorgeprescht war: „Seit Anfang des Jahres 2018 sind in Leipzig vier Fahrradfahrer*innen durch Unfälle mit LKWs ums Leben gekommen. Wir halten es für geboten, dass die zuständige Bürgermeisterin Frau Dubrau diese Situation nicht länger nur mit ansieht, sondern endlich handelt.“
Die Linke hatte auch gleich noch mal eine Nachfrage zu ihrem Antrag zur verkehrsrechtlichen Prüfung zum LKW-Durchfahrtsverbot mit hineingepackt.
Aber die durchfahrenden Lkw sind wohl eher nicht der Grund für die zunehmende Gefährdung von Radfahrern.
Das Prüfergebnis des Baudezernats:
„Folgendes Prüfergebnis wird mitgeteilt: Auf Basis der Verkehrsbefragung zum Kfz-Verkehr an der Stadtgrenze Leipzig 2006 und 2007 sowie aus der IHK-Studie zum Wirtschaftsverkehr 2017 konnte festgestellt werden, dass der Durchgangsverkehr mit Lkw auf den wichtigsten Zufahrtsstraßen nach Leipzig zusammengenommen aktuell ca. 1.800 Fahrzeuge in 24 Stunden und somit lediglich 12 % am Lkw-Verkehr in der Stadt beträgt. Bezogen auf den gesamten Kfz-Verkehr auf diesen Zufahrtsstraßen, beträgt der Anteil des Durchgangsverkehrs mit LKW 0,8 % und ist somit als sehr gering einzuschätzen.
Positiv ursächlich dafür ist, dass durch die gute Befahrbarkeit des Autobahnrings um Leipzig die Durchfahrt durch das Stadtgebiet weder attraktiv noch sinnvoll ist. Diese Aussage betrifft sowohl den Pkw- als auch den Lkw-Verkehr. Mit der Ausweitung der Mautpflicht für Fahrzeuge über 7,5 t auf alle Bundesstraßen ist zudem mit einem weiteren Rückgang des Lkw-Durchgangsverkehrs zu rechnen, weil auch ein Umgehen der Maut dann nicht mehr möglich ist.
Da die Kosten für die Einrichtung eines stadtweiten Lkw-Durchfahrtsverbotes (und die Frage der Kontrollierbarkeit) damit in keinem Verhältnis zum gegebenenfalls erzielbaren Nutzen stehen, wird kein solches Verbot empfohlen.“
Sind Abbiegeassistenzsysteme die Lösung?
Ein ganzer Fragenkomplex beschäftigte sich mit den viel gepriesenen Abbiegeassistenzsystemen für Lkw.
Aber da sind der Stadt eher die Hände gebunden.
Sie darf Lkw ohne Abbiegeassistenzsysteme die Zufahrt in die Stadt nicht verbieten.
„Am Straßenverkehr teilnehmende Fahrzeuge müssen der bundeseinheitlich geltenden Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung entsprechen, die solche Assistenzsysteme bisher nicht vorschreibt. Für eigene Anforderungen einer Kommune an Fahrzeuge gibt es keine rechtliche Grundlage, eine Begrenzung der Befahrbarkeit (eines Teils) des Stadtgebietes ist nur im Rahmen der Ermächtigungen zur Luftreinhalteplanung (Grüne Plakette und sogenanntes Dieselfahrverbot) zulässig. Eine Vorschrift für Assistenzsysteme kann daher nur der Bundesgesetzgeber erlassen.“
Und im Rahmen des Deutschen Städtetages muss Leipzig auch nicht politisch aktiv werden, „damit bundesweit zum frühestmöglichen Zeitpunkt solche Abbiegeassistenzsysteme flächendeckend eingeführt und zur Pflicht werden?“
Die Auskunft: „Hierzu gibt es schon eine Bundesratsinitiative, das heißt einen Antrag der Länder Berlin, Bremen, Brandenburg, Hessen und Thüringen, mit dem sich die Bundesregierung nun beschäftigen muss. Damit ist das Thema bereits auf die notwendige politische Ebene gehoben. Es ist auch im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung verankert.“
Wirklich handeln kann die Stadt beim eigenen Fuhrpark.
„Die Stadt Leipzig und ihre Beteiligungsunternehmen beschäftigen sich bereits seit Längerem mit der Thematik“, heißt es in der Antwort. „Neuanschaffung von Fahrzeugen: hier wird das Kriterium ‚Abbiegeassistent für Lkw‘ bei der Fahrzeugauswahl bereits berücksichtigt. Nachrüstung von Lkw mit Abbiegeassistenten: nur fünf Beteiligungsunternehmen der Stadt verfügen über Lkw, für einen Teil der Fahrzeuge gibt es dabei nach Herstellerauskunft keine Nachrüstmöglichkeit. Darüber hinaus ist die Frage, inwiefern die verfügbaren Nachrüstsysteme eine stabile Funktionsweise gewährleisten können.“
Nur genügen die derzeit verfügbaren Nachrüstsysteme nicht den Anforderungen des Bundesverkehrsministeriums. Den Grund erfährt man aus einer Bundestagsanfrage der Linken aus dem März: „Es existieren verschiedene Nachrüstlösungen, die die Anforderungen nach Kenntnis des BMVI nicht erfüllen. Solche Nachrüstsysteme verwenden in der Regel Sensorik, die nicht hinreichend zwischen bewegten und statischen Objekten unterscheiden kann und daher anfällig für Fehlwarnungen ist.“
Leipzig verzichtet also lieber auf diese Systeme: „Bei Bestandsfahrzeugen sind aus Sicht der Stadtverwaltung daher derzeit in der Regel die in Bussen und vielen Lkw verbauten sogenannten Rampenspiegel die beste Methode, den Radverkehr dicht am Fahrzeug zu verfolgen. Eine Aussage, wann verlässliche Nachrüst-Assistenzabbiegesysteme auf dem Markt verfügbar sind, kann die Stadtverwaltung nicht treffen.“
Radfahrerunfälle? Wir tun doch was!
Und dann war da noch die eigentliche Frage, was die Stadtverwaltung denn nun plant, um die Unfallgefahr von Radfahrer*innen in Leipzig zu senken?
Die Antwort liest sich eher ausweichend.
„Die Verkehrssicherheit genießt in der Stadt Leipzig höchste Priorität. Sie wird regelmäßig u. a. im Rahmen der Arbeit der Verkehrsunfallkommission überprüft, die ständig an der Analyse von bestehenden Unfallhäufungsstellen arbeitet und versucht, diese mit entsprechenden Maßnahmen zu entschärfen.
Ebenso ist die Stadtverwaltung – im Gleichklang und auf der Basis diverser Stadtratsbeschlüsse – seit vielen Jahren bemüht, durch die sukzessive Verbesserung und Erweiterung benutzerfreundlicher Radverkehrsanlagen den Radverkehr sicherer im Sichtfeld des Kraftfahrzeugverkehrs zu führen. Dies gilt es stringent fortzuführen.
Ein Wort zum Abschluss: auch der aktuelle Bericht der Verkehrsunfallkommission für 2017 zeigt, dass das Unfallgeschehen in Leipzig vom falschen Verhalten der beteiligten Verkehrsteilnehmer bestimmt wird. Die Planung und der Bau sicherer Verkehrsanlagen in Verbindung mit entsprechenden verkehrsrechtlichen Anordnungen und ausreichender Kontrolle durch Polizei und städtischer Polizeibehörde sind ein wesentlicher Baustein steigender Verkehrssicherheit – zu dem auch Sie mit ihren Ratsbeschlüssen beitragen.
Das Fehlverhalten oder Augenblicksversagen von Verkehrsteilnehmern kann aber weder die Stadtverwaltung noch der Stadtrat ausschließen. Aufmerksamkeit, Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme, insbesondere gegenüber den ungeschützten Verkehrsteilnehmern aber auch sich selbst gegenüber, bleiben die notwendigen Grundlagen dafür, niemanden im Straßenverkehr zu verletzen und selbst nicht verletzt zu werden. Und dies fängt mit gegenseitigem Respekt an, egal, mit welchem Verkehrsmittel sich jemand fortbewegt.“
Wenn denn nicht der Ausbau „benutzerfreundlicher Radverkehrsanlagen“ seit zwei Jahren stocken würde. Es ist wie im Fernsehprogramm am 24. Dezember. Nur lautet der Wartetitel hier: Wir warten auf die Radnetzplanung.
Weniger Unfälle mit Radfahrern, dafür mehr mit schweren Verletzungen
Weniger Unfälle mit Radfahrern, dafür mehr mit schweren Verletzungen
Keine Kommentare bisher