Irgendetwas hat Burkhard Jung falsch gemacht. Und es deutet manches darauf hin, dass es die Personalpolitik betrifft. Denn wenn eine Stadt wie Leipzig immer wieder in die Umsetzungsklemme gerät, weil für Schulen, Kitas und Straßen der simple Planungsvorlauf fehlt, dann liegt das an unterbesetzten Planungsabteilungen im Rathaus. Kühne Schnell-Lösungen sollen das retten. Aber das hat Folgen, teure Folgen, wie Linke-Stadtrat Steffen Wehmann mittlerweile vorrechnen kann.
Seit 2014 versucht er herauszubekommen, welche Auswirkungen es hat, wenn die Stadt den größten Teil der dringend benötigten Kita-Bauten nicht in eigener Regie baut, sondern dafür Mietverträge über 25 Jahre abschließt. Dass das ein aus der Not geborenes Verfahren war, ist ihm sehr wohl bewusst.
Dass aber in den vier Gesamtpaketen, die der Stadtrat im Lauf der Zeit zum Kita-Bau beschloss, von 94 einzelnen Kita-Projekten nur 22 von der Stadt selbst oder ihren Töchtern gebaut werden, machte ihn skeptisch. 2014 und 2015 versuchte er auf eigene Faust auszurechnen, ob die Stadt mit dem Mietmodell draufzahlt und wenn ja, wie viel. Aber das befriedigte ihn nicht wirklich. Und wirklich beeindruckt zeigte sich auch die Verwaltung nicht.
Deshalb gab die Leipziger Linksfraktion im November 2017 beim Kompetenzzentrum für kommunale Infrastruktur Sachsen (KOMKIS) an der Uni Leipzig eine Studie in Auftrag: „Langfristige Anmietung und kommunaler Eigenbau von Kitas im Vergleich“. Was passiert, wenn man die auflaufenden Kosten nebeneinanderlegt?
Das hat Niklas Günther vom KOMKIS jetzt getan. Und das Ergebnis bestätigt Wehmanns Vermutungen: Das von der Stadt seit 2014 bevorzugte Mietmodell erweist sich spätestens nach 16 Jahren als deutlich teurer, als wenn die Stadt alle Kitas selber gebaut hätte oder LWB oder LESG hätte bauen lassen.
Der Grund ist natürlich simpel: Damit sich der Kita-Bau für Investoren lohnt, werden langfristige Mietverträge von 25 Jahren Laufzeit geschlossen. Der künftige Nutzer der Kita, in der Regel ein Freier Träger, schließt einen Mietvertrag mit dem Investor ab. Über den werden die ursprünglichen Baukosten über 25 Jahre abbezahlt – plus die üblichen Aufschläge, mit denen auch die Zinsen für Bankkredite und notwendige Instandhaltungskosten bezahlt werden. Das alles mit einem stabilen Inflationsausgleich versehen, bekommen Investoren eine sichere Planungsgrundlage und bauen der Stadt vergleichsweise schnell auch die benötigten Kitas.
2014 war – mal lax ausgedrückt – in Leipzig die Kacke am Dampfen. 2014 war der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr in Kraft getreten. Und irgendwie erstaunt stellte Leipzigs Verwaltung fest, dass alle Mühe, genügend Kindertagesstätten zu bauen, nicht geholfen hatte. Zur Bedarfsdeckung fehlten über 1.000 Plätze – über die nächsten Jahre gerechnet noch viel mehr. Denn Leipzig hatte ja zusätzlich zum Rechtsanspruch auch noch eine rasant steigende Kinderzahl.
Da blieb der Verwaltung gar nichts anderes übrig, als auch die Möglichkeiten privater Investoren zu nutzen, möglichst schnell möglichst viele Kindertagesstätten aus dem Boden zu stampfen.
Nur das Verhältnis verblüfft Wehmann: Von 94 mit den vier Stadtratsvorlagen beschlossenen Kita-Bauten wurden nur 22 in städtischer Regie ausgeführt. „Wäre es andersherum, hätte ich nicht nachgehakt“, sagt Wehmann, der sehr wohl akzeptiert, dass in solchen Notsituationen auch die Schlagkraft privater Investoren genutzt wird. Aber augenscheinlich hat es Leipzigs Verwaltung kräftig übertrieben nach dem Motto: Bezahlt wird ja erst später.
Denn wenn die Stadt selber baut, macht sie das entweder mit Eigenmitteln oder nimmt Kredite auf, die dann in der Regel nach zwölf Jahren abbezahlt sind. Dann gehören das Gebäude und das Grundstück der Stadt.
Was schon einmal der kräftigste Unterschied zum Mieten ist, denn da zahlt zwar die Stadt über 25 Jahre über die Miete die Investitionskosten ab – aber das Haus gehört ihr dann noch nicht. Hätte sie selber gebaut, würde es ihr gehören. Was dann beim Anlagevermögen schon mal einen deutlichen Unterschied macht, wenn man 25 Jahre Vertragslaufzeit annimmt. Bei den 72 Kitas, die Günther untersucht hat, wären das noch im Jahr 2038 gleich mal 70,32 Millionen Euro Anlagevermögen in Gebäuden und 33,2 Millionen Euro in Grundstücken.
Und da sind die Abschreibungen auf die Gebäude schon mit eingerechnet.
In den ersten Jahren bekommt der Finanzbürgermeister die Unterschiede noch nicht so zu spüren, obwohl sie von Anfang an da sind.
Aber nach ungefähr 16 Jahren sind die Investitionskosten beim Eigenbau in der Regel abbezahlt. Die Stadt hat in den Folgejahren kaum noch Belastungen im Finanzhaushalt. Die Kita rechnet sich ab da. Aber beim Mietmodell zahlt die Stadt noch weiter. Mit dem Ergebnis, dass am Ende (in der Rechnung von Günther) 73,75 Millionen Euro mehr im Ergebnishaushalt anfallen. Künftige Haushalte werden also mit 73,75 Millionen Euro mehr belastet, als es beim Eigenbau der Kita der Fall wäre. Und: Gebäude (und Grundstück) gehören nicht der Stadt. Was die Differenz zwischen Eigenbau und Mietmodell noch größer macht: 177,15 Millionen Euro.
Ein Punkt, an dem Niklas Günther in seiner Studie sehr deutlich wird: „Die VwV (Verwaltungsvorschrift, d. Red.) sieht im Fall des Investorenbaus den Nachweis dafür vor, dass ‚das Investorenvorhaben insgesamt günstiger ist als die herkömmliche Finanzierung über Eigenmittel beziehungsweise Kommunalkredit.‘“
Und Wehmann ist sich ziemlich sicher, dass Leipzig den Kita-Bau aus eigener Kraft hätte bezahlen können, wenn man nur das städtische Entschuldungskonzept rechtzeitig geändert hätte. Aber auch in Leipzig herrscht augenscheinlich die völlig sinnfreie Ideologie der „Schwarzen Null“, also das Neuverschuldungsverbot, mit dem die sächsische Regierung ihre Kommunen in Schach hält. Aber genau an der Stelle zeigt es seine finstere Seite, denn um in den aktuellen Haushaltsplänen die fiktive „Schwarze Null“ zu halten und gleichzeitig auch noch Schulden abzubauen, wird für die Zukunft ein zusätzlicher Finanzaufwand von 177 Millionen Euro erzeugt, der erst dann richtig in seiner Wucht erkennbar wird, wenn man sieht, dass es eigentlich für die 74 Kitas nur um eine Gesamtinvestitionsgröße von 159 Millionen Euro geht.
Da werden zukünftige OberbürgermeisterInnen in Leipzig richtig sauer sein dürfen auf Burkhard Jung. Denn diese Rechnung hätte er alle auch im eigenen Haus anstellen lassen können. Wer solche finanziellen Zukunftsbelastungen nicht mitdenkt und minimiert, denkt nicht nachhaltig.
Natürlich stecken Unwägbarkeiten drin – keiner weiß, wie sich Inflation und Zinssätze wirklich entwickeln in den nächsten 20 Jahren. „Aber man kommt immer auf eine solche Größenordnung“, sagt Wehmann.
Selbst dann, wenn die Stadt die Grundstücke nicht kauft oder wenn sie die Kitas einfach ausschreibt und dann direkt vom Investor kauft.
Das Problem sind die langen Laufzeiten.
Und so richtig wach geworden ist man bei dem Thema in der Leipziger Verwaltung noch immer nicht. Denn auch in Burkhard Jungs 150-Millionen-Euro-Schulpaket stecken einige Mietmodelle nach dem Muster. Nur dass die Dimension eine völlig andere ist. „Eine Kita kostet in der Regel 2 bis 3 Millionen Euro“, sagt Steffen Wehmann. „Bei einem Schulneubau sind es aber schnell mal 25 Millionen Euro.“
Das heißt: Wenn die Stadt die Schulen nicht selber baut, häuft sie mit so einem Mietmodell die nächsten millionenschweren Belastungen für die Zukunft an, die dann andere Bürgermeister ausbaden und die Leipziger teuer bezahlen müssen.
Wehmann versteht die Veröffentlichung der Studie auch als eine begründete Warnung an die Verwaltung, denselben Fehler jetzt nicht noch einmal zu machen. Selbst wenn die Stadt die Schulbauten an einen Generalunternehmer komplett ausschreibt, häufen sich über die Jahre nicht solche zusätzlichen Kostenbelastungen auf.
Künftige Oberbürgermeister werden noch genug Investitionen zu stemmen haben. Und dann fehlt das Geld, das heute in langfristigen Mietverträgen gebunden ist.
Bis 2030 kommt Leipzig aus dem Kita- und Schulenbauen nicht mehr heraus
Bis 2030 kommt Leipzig aus dem Kita- und Schulenbauen nicht mehr heraus
Keine Kommentare bisher