Was man aus der Perspektive gutverdienender Verwaltungsangestellter und Politiker meist nicht sieht, sind diejenigen, die von Fehlentwicklungen in der Stadtpolitik als erste betroffen sind und am meisten zu leiden haben. Unter dem enger gewordenen Wohnungsmarkt leiden logischerweise die Haushalte mit kleinem Einkommen als erste. Und wenn dann auch noch menschliche Dramen dazukommen, hat die vergebliche Suche nach einer bezahlbaren Wohnung oft einschneidende Folgen. Eine Alarmmeldung aus dem Frauenhaus.

Leipzig gilt als eine der am schnellsten wachsenden Großstädte Deutschlands. Die Zuzüge haben einen deutlichen Einfluss auf den Mietspiegel. Die Kaltmiete auf dem freien Markt ist seit 2004 um fast 40 Prozent gestiegen, so dass der durchschnittliche Preis pro Quadratmeter mittlerweile bei 6,85 Euro liegt. Die Angebote, die derzeit auf Immobilienportalen zu finden sind, liegen weit darüber. Dies hat zuallererst Konsequenzen für Menschen, die nicht genug finanzielle Mittel zur Verfügung haben, um sich eine teurere Wohnung leisten zu können.

Und das betrifft eben auch Frauen, die eine neue, sichere Wohnung suchen, wenn die Partnerschaft in Gewalt ausartet.

Frauen, die ins Frauenhaus kommen, sind oftmals auf die Leistungen des Jobcenters oder des Sozialamtes angewiesen, um sich ein eigenständiges Leben aufbauen zu können. Die Mitarbeiterinnen vor Ort beraten die Frauen über die erlebte Gewalt, helfen und begleiten bei Behördengängen und unterstützen die Wohnungssuche.

Aber die wird immer schwieriger.

„Die Wohnungssuche nimmt einen immer größeren Bestandteil in der Arbeit mit den betroffenen Frauen ein. Die Richtlinie des Jobcenters/Sozialamtes zur Angemessenheit von ‚Kosten der Unterkunft‘ (KdU) entspricht nicht mehr dem aktuellen Wohnungsmarkt, so unsere Erfahrung aus der Praxis“, berichten die Betreuerinnen aus dem 1. Autonomen Frauenhaus Leipzig. „Das wochenlange, teils monatelange Suchen nach einer geeigneten und bezahlbaren Wohnung führt zu einer zusätzlichen Belastungssituation für die teils traumatisierten Frauen. Das hatte in Einzelfällen sogar die Konsequenz, dass Frauen resignierten und einen Rückzug in die gewaltvolle Beziehung in Betracht zogen.“

Ein Frauenhaus ist eine Notunterkunft. Vorgesehen ist ein höchstens dreimonatiger Aufenthalt bis die Frauen soweit zurechtkommen, dass sie ein eigenständiges Leben in einer neuen Wohnung beginnen können.

„2015 waren 9 Frauen über ein viertel und 1 Frau über ein halbes Jahr im Frauenhaus. 2017 hingegen sind es schon 17 Frauen, die über drei Monate und 7 Frauen, die über ein halbes Jahr im Frauenhaus verbringen (müssen). Das sind vorrangig die Konsequenzen aus der nicht Vereinbarkeit des KdU-Satzes mit dem aktuellen Mietspiegel“, kritisieren die Mitarbeiterinnen des 1. Autonomen Frauenhauses.

Werden doch Wohnungen mit dem passenden KdU-Satz gefunden, kommen weitere Probleme auf die Frauen zu. So lehnen viele Vermieter sofort ab, wenn sie hören, dass die Frauen im Frauenhaus sind, vom Jobcenter/Sozialamt finanziert werden oder keinen deutschen Pass besitzen. Zum Abschluss eines Mietvertrages brauchen die Frauen die Zustimmung des Jobcenters zur Finanzierungsübernahme der Miete. Diese kostet teils so lange Wartezeit, dass die Wohnungen derweil an andere Interessenten vergeben werden.

Ein weiteres Problem stellt dar, dass Wohnungen mit dem angemessenen KdU-Satz nur noch in bestimmten Stadtteilen zur Verfügung stehen. Dazu die Mitarbeiterinnen: „Wenn die Frauen nicht frei entscheiden können in welchen Stadtteil sie ziehen, birgt es immer die Gefahr, dass sie in den gleichen Stadtteil zurückziehen müssen, wo der*die Täter*in lebt. Diesem Risiko sollten wir niemanden aussetzen.“

Doch nicht nur für die Bewohnerinnen des Frauenhauses hat der niedrige KdU-Satz Konsequenzen.

„Durch die hohe Verweildauer der Frauen im Frauenhaus müssen wir immer mehr gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder abweisen, weil wir kein Zimmer frei haben. So mussten wir 2015 26 Frauen und 43 Kinder aufgrund dessen ablehnen und 2017 88 Frauen mit ihren insgesamt 109 Kindern. Diese stark gestiegenen Zahlen sind untragbare Zustände für alle gewaltbetroffenen Frauen“, so die Sozialarbeiterinnen.

Wie schwer sich die Leipziger Verwaltung mit der Erhöhung der KdU-Sätze tut, zeigte zuletzt die Stadtratsdebatte am 31. Januar, an deren Ende dennoch ein Versprechen stand, die KdU-Sätze zu erhöhen. Die Gelder muss die Stadt aufbringen, die damit natürlich für die neoliberale Politik der Bundesregierung zahlt, die einen Großteil der Sozialkosten auf die Kommunen abgewälzt hat. Gleichzeitig zauderte das Land Sachsen bei der Auflage eines Bauprogramms für Sozialwohnungen. Und das Programm, nach dem ab 2019 auch wieder Wohnungen in Leipzig gebaut werden, erfüllt die Ansprüche an sozial verträgliche Mieten nicht wirklich.

Das Dilemma des Frauenhauses wird also noch weiter verschärft, ohne dass eine Lösung in Sicht ist, die wirklich denen hilft, die mit wenig Geld in einer Stadt wie Leipzig über die Runden kommen müssen.

Sozialdezernat sieht keinen Grund für eine Extra-Anpassung der KdU-Sätze in Leipzig

Sozialdezernat sieht keinen Grund für eine Extra-Anpassung der KdU-Sätze in Leipzig

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