Eines muss man dem Leipziger Stadtverband der Linken lassen - rührig ist er. Und natürlich auch immer ein Teil tiefgehender innerparteilichen Debatten, welche nicht nur die SPD oder zunehmend auch die CDU erfasst haben, sondern auch die Linkspartei. Über Sahra Wagenknecht konnte man auch in den vergangenen Woche viel lesen - Spaltung der Linken und neue eigene Wege wurden dabei immer wieder medial kolportiert.
Was auch durchaus parteiinterne Fragen aufwarf, mit denen sich Kay Kamieth und Adam Bednarsky von der Leipziger Linken an die Fraktionsvorsitzende im Bundestag wandten. Heraus kam ein ansehnliches Frage-Antwort-Spiel rings um die GroKo und eigene Politikziele, bevor sich alle Interessierten am 22. Februar 2018 auch persönlich mit Wagenknecht in Leipzig unterhalten können.
Denn die Linke Leipzig hat seit 2017 eine neue Veranstaltungsreihe im Felsenkeller etabliert, in welcher sich Interessierte mit Spitzenpolitikern der Partei über alle aktuellen Fragen direkt unterhalten können. Am 22. Februar 2018 wird es sicherlich also noch weitere Debatten rings um die Zukunft der Linkspartei und die Rolle Sahra Wagenknechts dabei ebenso gehen, wie um die Inhalte des Koalitionsvertrages zwischen CDU/CSU und SPD.
SPD-Interimschef Olaf Scholz spricht jetzt davon, dass die SPD bald wieder den Kanzler stellen soll. Wie soll das gehen?
Sahra Wagenknecht: Überhaupt nicht. Die SPD lässt sich entgegen ihrer vorherigen Ankündigung erneut als Steigbügelhalter für Merkel benutzen und nimmt keinen inhaltlichen Kurswechsel vor, der personell glaubwürdig untermauert wäre. Statt der versprochenen inhaltlichen Erneuerung setzt die SPD-Spitze auf ein Weiter-So.
Wirksame Maßnahmen gegen Armutslöhne und Armutsrenten wird es mit der CDU/CSU nicht geben. Die großen Probleme dieser Gesellschaft, wie die Millionen unsicherer Beschäftigungsverhältnisse, werden einfach nicht angepackt. Nicht einmal die Abschaffung der sachgrundlosen Beschäftigung konnte die SPD durchsetzen. So werden wir Zeitzeugen eines tragischen und ungebrochenen Niedergangs der Sozialdemokratie. Sogar wenn man glaubt, es geht nicht mehr schlimmer, wird man fast jeden Tag aufs Neue negativ überrascht. Die SPD gräbt sich mit der Zustimmung zur Großen Koalition ihr eigenes Grab.
Ich fürchte, sie wird jetzt den Weg anderer sozialdemokratischer Parteien in Europa gehen, wie in den Niederlanden, wo die einst starke Sozialdemokratie bei den letzten Wahlen knapp über 5% gelandet ist. Um nicht missverstanden zu werden, solch eine Entwicklung ist dramatisch, nicht erfreulich.
Aber dafür stellt die SPD doch insgesamt sechs Minister und kann dabei sogar drei Schlüsselressorts besetzen: das Außen-, Finanz- sowie das Arbeits- und Sozialministerium.
Sahra Wagenknecht: Oder kurz gesagt: Beim Verhandeln um Ministerposten top, inhaltlich ein Flop. Sicher, bei den Posten war man erfolgreich. Aber es geht nicht darum, wer in der SPD welches Regierungsamt zugeschanzt bekommt, sondern darum, die drängenden Probleme im Land zu lösen, für die man mit verantwortlich ist. Denn diese reichen zurück bis in die Regierungszeit Gerhard Schröders, in der die SPD als einstige Partei der kleinen Leute begonnen hat, Politik in erster Linie für große Unternehmen, Banken und Wohlhabende zu machen.
Dieser Kurs wurde in den folgenden zwei Koalitionen unter Angela Merkel fortgesetzt. So ist aus Deutschland ein sozial tief gespaltenes Land geworden. Ein großer Niedriglohnsektor ist entstanden, der Armut verfestigt und das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft hohl und unglaubwürdig macht. Während die Wirtschaft wächst und die Gewinne boomen, haben 40 Prozent der deutschen Bevölkerung heute weniger Kaufkraft als Ende der neunziger Jahre. Es ist mehr als verständlich, dass die betroffenen Menschen nicht mehr SPD wählen.
Was sind die Aufgaben der Linken angesichts dieser Misere?
Sahra Wagenknecht: Wir müssen glaubhaft eine Perspektive aufzeigen, wie eine soziale Wende in diesem Land durchgesetzt werden kann. Und es ist wichtig, dass die Linke dafür nicht nur mit einem scharfen Profil in den Parlamenten sichtbar ist, sondern auch an der Seite der Gewerkschaften und bei den sozialen Auseinandersetzungen auf der Straße. Wir müssen diskutieren, wie wir ein Bündnis für eine soziale Wende mit organisieren können.
Dazu brauchen wir einen Aufbruch von links und eine linke Sammlungsbewegung. Sonst besteht die Gefahr, dass die Rechtspopulisten weiter zulegen.
Die Sammlungsbewegung hat zwar die Parteivorsitzende Katja Kipping auch schon im letzten November einmal ins Gespräch gebracht. Aber verunsichert dies nicht, weil auch unterstellt wird, man wolle DIE LINKE spalten.
Sahra Wagenknecht: Sammeln ist nicht spalten. Es geht darum, dass die politische Kraft für eine soziale Wende stärker wird. Alles andere sind böswillige Unterstellungen. Eine Mehrheit in diesem Land will höhere Löhne, eine Vermögenssteuer für Reiche, ein Rentensystem, das den Anspruch, im Alter den Lebensstandard halten zu können, einlöst. Die Mehrheit der Menschen ist auch gegen Waffenlieferungen in Spannungsgebiete und gegen Kriegseinsätze.
Die SPD hat mit ihrem Kurs, Politik in erster Linie für große Unternehmen, Banken und Wohlhabende zu machen, seit 1998 zehn Millionen Wähler verloren. Die Linke hat heute zwei Millionen Wähler mehr als die damalige PDS. Die Frage ist: Wo sind die übrigen acht Millionen geblieben? Diese Menschen müssen wir erreichen.
Dies wird kaum nur dadurch gelingen, dass wir angesichts des Niedergangs der SPD den Sozialdemokraten und ihren Wählern einfach nur zurufen: Kommt doch einfach zu uns rüber. Die nötige Wirkung wird wohl nur eine neue parteiübergreifende Bewegung entfalten können.
Sind damit alle Koalitionsoptionen und ein rot-rot-grünes Projekt erledigt?
Sahra Wagenknecht: In der letzten Legislaturperiode hatten wir der SPD angeboten, die sachgrundlose Befristung abzuschaffen. Gemeinsam mit den Grünen hätten wir das beschließen können, denn es gab im letzten Bundestag eine Mehrheit für Rot-Rot-Grün. Aber statt konkrete Verbesserungen für die Mehrheit der Menschen durchzusetzen, hat sich die SPD bis zum Wahltag an die Große Koalition gekettet und mit CDU/CSU gestimmt.
Und nun wollen sie sich erneut in die babylonische Gefangenschaft der Union begeben. Rot-Rot-Grün ist seit der Wahl schon rechnerisch weit weg davon, eine Option zu sein. Dazu kommt, dass die Grünen für ein solches Projekt offensichtlich nicht mehr zur Verfügung stehen. Die neue Grünen-Spitze setzt voll auf schwarz-grün und Jamaika.
Auch deshalb brauchen wir eine Diskussion darüber, wie eine sozialere und friedlichere Politik umgesetzt werden soll.
Manche meinen, dass sich beim vorliegenden Koalitionsvertrag mehrheitlich die SPD durchgesetzt habe. Was ist Deine Bilanz?
Sahra Wagenknecht: Das ist absurd. Die SPD hat ja bereits in den Verhandlungen auf zentrale sozialdemokratische Forderungen verzichtet. Schon im Wahlkampf hat die SPD keine Forderung mehr nach einer Einführung einer Vermögenssteuer für Superreiche erhoben. Darüber gab es dann auch gar keine Verhandlungen.
Auch höhere Erbschaftssteuern sind nicht vorgesehen. Ohne Reichensteuern und mit einem SPD-Finanzminister Scholz als Schäuble 2.0 lässt sich eine Wiederherstellung des Sozialstaats aber schlicht nicht finanzieren. Es wird also klar auf eine Weiter-so-Politik gesetzt. Es ist zudem ein Skandal, dass die SPD das von der NATO geforderte Zwei-Prozent-Anteil-Ziel der Militärausgaben am Bruttoinlandprodukt akzeptiert hat.
Das bedeutet, dass in den nächsten Jahren der Militärhaushalt von derzeit 37 Milliarden auf über 70 Milliarden steigen soll. Der Koalitionsvertrag ist ein gigantischer Aufrüstungsvertrag. Jeder Euro aber, der in Rüstung fließt, kann selbstverständlich nicht mehr für soziale Belange ausgegeben werden. Es ist traurig: Die SPD will offenbar lieber an der Seite Merkels eine massive Aufrüstung durchsetzen, statt eine Stärkung des Sozialstaats.
Veranstaltung in Leipzig
Für eine soziale Offensive – Sahra Wagenknecht kommt nach Leipzig: Donnerstag, 22. Februar 2018, 18:00 Uhr im Felsenkeller (Karl-Heine-Straße 32, 04229 Leipzig).
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