Dass der Leipziger Stadtrat Enrico Böhm (Ex-NPD) mit dem verstehenden Lesen manchmal ein paar kleine Probleme hat, hat er mit einer etwas dubiosen Stadtratsanfrage am 23. November demonstriert. Er wollte Oberbürgermeister Burkhard Jung regelrecht vorführen, als er meinte, ihm mit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts eine Verletzung seiner Neutralitätspflicht unterstellen zu können – weil der OBM immer wieder Gegenproteste gegen LEGIDA unterstützt hat.
Ein entsprechendes Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht tatsächlich gefällt. Das Urteil vom 13. September 2017 machte durchaus Furore in den Medien. Es ging um eine Demonstration am 12. Januar 2015, die Versammlung mit dem Motto „Düsseldorfer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, aus deren Anlass der Düsseldorfer OBM die Erklärung „Lichter aus! Düsseldorf setzt Zeichen gegen Intoleranz“ auf die Homepage der Stadt setzen ließ. „Darin kündigte er an, dass am 12. Januar 2015 ab Beginn der Demonstration an verschiedenen öffentlichen Gebäuden der Stadt die Beleuchtung ausgeschaltet werde. Zugleich rief er die Düsseldorfer Bürger und Geschäftsleute auf, die Beleuchtung an ihren Gebäuden ebenfalls auszuschalten, um ein ‚Zeichen gegen Intoleranz und Rassismus‘ zu setzen. Darüber hinaus bat er in der Erklärung um die Teilnahme an einer parallel stattfindenden Gegendemonstration“, beschreibt das Gericht den Vorgang.
Das Verwaltungsgericht sah darin überhaupt keine Verstöße gegen das Neutralitätsgebot.
Beim Oberverwaltungsgericht gab es schon das erste Problem: Das befand, der OBM hätte die Verdunkelung städtischer Gebäude nicht anweisen dürfen. Der Aufruf zum Gegenprotest sei aber rechtens gewesen.
Und dann kassierte das Bundesverwaltungsgericht auch das noch. „Der Aufruf zur Teilnahme an einer Gegendemonstration griff in unzulässiger Weise in den Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung ein. Mit dem Aufruf, das Licht auszuschalten, und dem tatsächlichen Ausschalten der Beleuchtung an städtischen Gebäuden wurden die Grenzen der Äußerungsbefugnis, sich in sachlicher und rationaler Weise mit den Geschehnissen in der Stadt Düsseldorf auseinanderzusetzen, überschritten und der Bereich politischer Kommunikation durch diskursive Auseinandersetzung verlassen“, hieß es dann in der Pressemiteilung.
So weit so gut.
Ex-NPD-Stadtrat Enrico Böhm aber las sich die Sache so zurecht: „Im September 2017 hat das BVerwG 10 C 6.16 erneut feststellen müssen, dass die Unterstützung bzw. Aufruf zu Gegenprotesten durch Administrativvertreter gegen das grundgesetzlich verbürgte Neutralitätsgebot der Verwaltung verstößt. Damit ist auch geklärt, dass jede Verwendung von Steuermitteln oder Sachmitteln der Verwaltung ohne gesetzlich Grundlage erfolgt und allein privaten Interessen des darüber Verfügenden dient, mit allen dadurch implizierten juristischen Konsequenzen.“
Wobei der Fragenkatalog vermuten lässt, dass ihm dabei ein versierter Jurist zur Seite stand. Denn alle Fragen zielen darauf ab, dem OBM einen Verstoß gegen das so deutlich formulierte Neutralitätsgebot nachzuweisen.
Nur hat eben Enrico Böhm zu viel herausgelesen. Zu Gegenprotesten aufrufen darf der OBM nicht, aber die Unterstützung von Protesten durch sein persönliches Engagement ist ihm nicht verboten. „Aus dem Demokratieprinzip folgt, dass ein Amtsträger sich zwar am politischen Meinungsbildungsprozess der Bevölkerung beteiligen, ihn aber nicht lenken und steuern darf“, hatte das Gericht formuliert. Er darf also keinen Gegenprotest von Amts wegen organisieren, befördern oder dazu aufrufen. Aber er darf dort seine ganz persönliche Haltung zeigen und äußern. Das ist ein Recht, das ihm das Grundgesetz gewährt. Das gilt auch dann, wenn jemand OBM ist.
Teilnehmen und sich als Bürger und Politiker äußern, darf er. Und das hat Burkhard Jung auch immer wieder getan. Und so antwortet er dem forschen Stadtrat auch:
„Welche Gegendemonstrationen zur LEGIDA-Bewegung hat der OBM Jung/die Stadt Leipzig seit Beginn der LEGIDA Bewegung (12.01.2015) unterstützt und in welcher Form (Tabellarisch mit Datum und unterstützter Protestkundgebung)?“
Anwort: „Burkhard Jung hat bisher alle Gegendemonstrationen im Rahmen von Legida-Aufmärschen und Demonstrationen als Privatperson und Politiker unterstützt.“
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Dann folgten die ganzen juristisch ausgeklügelten Fragen, in denen versucht wurde, Jung nachzuweisen, er könnte Ressourcen der Stadt dazu gebraucht haben, um Gegenproteste zu unterstützen. Aber dergleichen hat er nicht getan.
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Zu Frage 2: Welche Unterstützungen durch Sachmittel oder finanzielle Zuwendungen hat die Stadt Leipzig in der Zeit vom 01.01.2015 bis 15.01.2017 dem organisierten Gegenprotest gegen die Bürgerbewegung LEGIDA zukommen lassen? Insbesondere wie wurden die Bündnisse „Leipzig nimmt Platz!“, „NoLegida“ und „A Monday without you“ durch finanzielle Zuwendungen oder Sachmittel aus städtischen Mitteln unterstützt?
Antwort: Keine
Zu Frage 3: Bei welchen Veranstaltungen hat der OBM anlässlich des Gegenprotestes gegen die LEGIDA-Bewegung teilgenommen?
Antwort: Burkhard Jung hat als Privatperson und Politiker bei zahlreichen Veranstaltungen teilgenommen.
Zu Frage 4: Bei welchen Veranstaltungen hat der OBM anlässlich des Gegenprotestes gegen die LEGIDA-Bewegung als Redner gesprochen?
Antwort: Burkhard Jung hat als Privatperson und Politiker an zahlreichen Veranstaltungen gesprochen.
Zu Frage 4.a.) Wurden bei der Erarbeitung der Redebeiträge Personen involviert, die aus dem Budget der Stadt finanziert werden?
Antwort: Nein
Zu Frage 4. b.) Wurden anlässlich der Redebeiträge des OBM Jung bei derartigen Versammlungen sonstige Ressourcen aus dem Stadtvermögen in Anspruch genommen und wenn ja welche?
Antwort: Nein
Zu Frage 4. c.) Wurden evtl. Sachverhalte dem Rechnungsprüfungsamt zur Prüfung vorgelegt und wenn ja mit welchem Ergebnis?
Antwort: Nein.
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Und am Ende zeigte der Ex-NPD-Stadtrat dann noch, wie sehr er den friedlichen Protest gegen menschenfeindliche Demonstrationen verachtet.
„Wie bewertet der OBM Jung im Lichte der Entscheidung des BVerwG 10 C 6.16 aus heutiger Sicht sein hetzerisches Engagement gegen Menschen, die anderer Meinung sind als er und wird es insoweit Veränderungen in seiner Aktivität als OBM geben, insbesondere sieht er sich bei zukünftigen Entäußerungen veranlasst klarzustellen, dass er seine Entäußerungen als Parteimitglied und nicht als Vertreter der Stadt Leipzig absondert?“
Das Bundesverwaltungsgericht hatte logischerweise nicht von „hetzerischen Engagement“ gesprochen. Warum auch? Friedlicher Protest gehört zum Grundverständnis einer demokratischen Gesellschaft.
Logische Antwort aus dem Rathaus: „Zu keinem Zeitpunkt hat sich Oberbürgermeister Burkhard Jung ‚hetzerisch engagiert‘.“
Hätte Böhm richtig gelesen, was das Bundesverwaltungsgericht veröffentlicht hat, hätte er verstanden, dass auch und gerade der OBM von Leipzig das Recht hat, sich öffentlich zur Weltoffenheit der Stadt zu äußern. Mit den Worten der Pressemitteilung: „Der Oberbürgermeister ist als kommunaler Wahlbeamter zwar grundsätzlich befugt, sich im Rahmen seines Aufgabenbereichs zu Themen der örtlichen Gemeinschaft öffentlich zu äußern.“
Das „zwar“ waren dann die Einschränkungen, die das Gericht feststellte (Licht ausschalten, Aufruf). Das Gericht hat nur die Grenzen definiert, aber nicht festgestellt, dass die Unterstützung von Gegenprotesten prinzipiell gegen das Neutralitätsverbot verstößt. Denn auch als OBM steht Burkhard Jung für eine demokratische Haltung. Und auch dafür wurde er gewählt.
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