Natรผrlich gab es dann noch das vierte Fragen-Paket von Stadtrรคtin Ute Elisabeth Gabelmann (Piraten) zum Umgang des Leipziger Jobcenters mit sanktionierten Erwerbslosen, sorry: erwerbsfรคhigen Leistungsbeziehern (eLb). Denn viele von ihnen stecken tief in finanziellen und existenziellen Nรถten, brรคuchten eigentlich echte Unterstรผtzung. Aber bekommen sie die im Jobcenter Leipzig? Gibt es dafรผr eigentlich das nรถtige Personal?
Sie kรถnnen die Antworten ruhig auf sich wirken lassen. Mรถglicherweise hat der Justiziar des Hauses geantwortet. Aber unรผbersehbar ist, dass der Sinn der Fragen nicht einmal begriffen wurde. Es gibt dafรผr im Kosmos der Disziplinar-Anstalt keinen Raum. Ute Elisabeth Gabelmann hat ganz dezidiert danach gefragt, ob gerade bei den Menschen, denen die Leistungen gekรผrzt werden, solche nicht ganz unwichtigen Aspekte wie โรberschuldung, Fehlernรคhrung, Obdachlosigkeit und/oder psychische Leidenโ beachtet werden. Fรผr die Behรถrde ist nur der erbrachte Gehorsam wichtig. Wenn der Betroffene keinen vom Amt akzeptierten โwichtigen Grundโ vorweisen kann, warum er einer Anweisung nicht gefolgt ist, wird er oder sie sanktioniert. Strafe muss sein ist die Devise eines Systems, aus dem menschliche Nรถte augenscheinlich systematisch entfernt wurden.
Was auch in der dritten Antwort deutlich wird: Wenn man durch Kรผrzungen der Leistungen die existenziellen Nรถte der Betroffenen noch verschรคrft, ist das amtsseitig vรถllig egal. Ist der Betroffene dann irgendwie selbst schuld, weil er seine Probleme ja schon vor der Sanktion hatte. Und dann folgt der so entlarvende Satz: โDie Sanktionierung ist Teil der Betreuung durch das Jobcenter โฆโ
Da kรถnnte das Service-Schild รผberm Tresen auch heiรen: โKommen Sie herein. Wir sanktionieren Sie gerne.โ
Ursprรผnglich ging es bei der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe vor allem darum, Menschen, die schon in die Sozialhilfe โabgerutschtโ waren, wieder nรคher an den ersten Arbeitsmarkt heranzufรผhren und ihre Vermittlungschancen zu verbessern. Das steckte auch ursprรผnglich mal in dem von der Peter-Hartz-Kommission formulierten Anspruch โFรถrdern und Fordernโ, aus dem die nachbessernden Bundestagspolitiker dann ein Sanktionssystem gemacht haben, das den erwerbslos Gewordenen wie einen Strรคfling behandelt, der gegen die Normen der Gesellschaft verstoรen hat. Den Jobcentern ist dieses Korrektionsdenken regelrecht eingebrannt. Den sozialen Aspekt, der ursprรผnglich elementarer Bestandteil der Vorschlรคge war, die Peter Hartz dem Bundeskanzler Gerhard Schrรถder รผberreichte, hat man komplett herausredigiert. Was in der letzten Antwort deutlich wird.
Man redet zwar breitbrรผstig von der โindividuellen Betreuung jedes erwerbsfรคhigen Leistungsberechtigtenโ. Aber wer nicht ins Raster passt, bekommt Probleme und kann noch von Glรผck reden, wenn er an die Hilfsangebote des Amtes fรผr Jugend, Familie und Bildung, des Sozialamtes oder diverser freier Trรคger verwiesen wird.
Selten stand das Denken der Leipziger Arbeitslosenverwaltung so nackt im Licht des Tages wie nach den vier Fragepaketen von Ute Elisabeth Gabelmann.
Die Fragen und Antworten komplett:
Als wie dringlich stuft das Jobcenter die bessere Betreuung der von Unterschreitung des Existenzminimums bedrohten Betroffenen ein? Wird hierfรผr weiteres Personal benรถtigt?
Die Betreuung aller Leistungsberechtigten, auch derjenigen mit multiplen Problemlagen, ist in die Stellenbemessung des Jobcenters eingeflossen. Weiteres Personal fรผr die Betreuung Leistungsberechtigter, die einer Leistungskรผrzung unterliegen, wird nicht benรถtigt.
Wie einzelfallbezogen bzw. standardisiert ist die Betrachtung des konkreten Falls jeweils โ besonders vor dem Hintergrund von Themenfeldern wie: รberschuldung, Fehlernรคhrung, Obdachlosigkeit und/oder psychische Leiden?
Es ist in jedem Einzelfall zu prรผfen, ob ein wichtiger Grund fรผr das sanktionsbewรคhrte Verhalten vorlag. Kommen erwerbsfรคhige Leistungsberechtigte ihren insoweit bestehenden Obliegenheiten ohne wichtigen Grund nicht nach, so hat dies Sanktionen in Form einer Minderung oder des Wegfalls der Leistungen zur Folge. Gleiches gilt im Falle weiterer Pflichtverletzungen, wie z. B. Ablehnung zumutbarer Arbeit oder Ablehnung/Abbruch einer zumutbaren Maรnahme zur Eingliederung. Damit hat das Jobcenter kein Ermessen in Bezug auf die Einleitung von Sanktionen. Dazu ist der leistungsberechtigten Person im Rahmen der Aufklรคrung des Sachverhalts zum Vorwurf der Pflichtverletzung und evtl. vorliegenden wichtigen Grรผnden fรผr ihr Verhalten Gelegenheit zu geben, sich hierzu zu รคuรern (ยง 24 SGB X). Die Anhรถrung sollte schriftlich erfolgen, soweit sie mรผndlich erfolgt, ist sie zu dokumentieren. Anschlieรend erfolgt die individuelle Prรผfung des wichtigen Grundes.
Wichtig sind alle Grรผnde, die fรผr die leistungsberechtigte Person unter Berรผcksichtigung aller Umstรคnde des Einzelfalles und unter Abwรคgung des individuellen Grundes der leistungsberechtigten Person im Verhรคltnis zu den Interessen der Allgemeinheit, die die Leistungen an sie und die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft aus Steuermitteln erbringt, besonderes Gewicht haben. Ein wichtiger Grund kann im Regelfall nur anerkannt werden, wenn die leistungsberechtigte Person erfolglos einen zumutbaren Versuch unternommen hat, den Grund zu beseitigen, zu vermeiden oder ein solcher Versuch erfolglos geblieben wรคre. Die Anerkennung eines wichtigen Grundes setzt voraus, dass der leistungsberechtigten Person eine nicht zumutbare Konsequenz bei der Einhaltung der auferlegten Pflicht entsteht. Die Sanktionsentscheidung nach Abschluss der oben stehenden Prรผfung eines wichtigen Grundes wird in den Leistungsunterlagen ausfรผhrlich dokumentiert.
Welche Prozesse und/oder Service-Leistungen des Jobcenters wรผrden entfallen kรถnnen, um zusรคtzliche Kapazitรคten fรผr eine Nachbetreuung von Betroffenen zu schaffen, die aufgrund von Sanktionierung besonders problematische Lebensumstรคnde (siehe unter 2.) meistern mรผssen?
Keine, da problematische Lebensumstรคnde schon vor der Sanktionierung bestehen und nicht von dieser verursacht werden. Die Sanktionierung ist Teil der Betreuung durch das Jobcenter, mit dem Ziel der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt.
Falls das Jobcenter diese einzelfallbezogene Betreuung nicht leisten kann oder will: welche Stellen sind hierfรผr zustรคndig, an die sich Betroffene wenden kรถnnen?
Im Rahmen der Arbeit des Jobcenters erfolgt eine individuelle Betreuung jedes erwerbsfรคhigen Leistungsberechtigten. Darรผber hinaus wird auf weitere Hilfsangebote bspw. des Amtes fรผr Jugend, Familie und Bildung oder des Sozialamtes hingewiesen und ggf. verpflichtet, sich mit diesen in Verbindung zu setzen. Auch Beratungseinrichtungen freier Trรคger stehen zur Verfรผgung.
Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie
Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie
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Existenzielle Probleme vor der Sanktion rรผhren woher? Viele Monate dauernde Bearbeitung (bzw Verweigerung von Leistungen) von Erstantrรคgen und Weiterbewilligungsantrรคgen. Irgendwann hat man kein Geld mehr fรผr die Fahrkarte zum Meldetermin -> Sanktion oftmmals noch bevor Leistungen bewilligt sind. Fรคhrt man schwarz, kann man keine Fahrkarte vorweisen und bekommt somit auch keine zurรผck. Und 2 schonmal gleich gar nicht, damit man auch zum nรคchsten Termin kommt. Und wieder die nรคchste Sanktion โฆ Wer bis hierhin noch keine Probleme hatte hat sie nun aber wirklich. Hilfen? Fehlanzeige.