Als die Leipziger Grünen-Fraktion am Freitag, 15. September, meldete, dass sie den OBM der schönen Messestadt verklagt habe, lag die Klage längst beim Verwaltungsgericht. Eingereicht worden war sie am Mittwoch, 13. September. Schon am Donnerstag forderte das Gericht die Stadt auf, dazu Stellung zu nehmen. Denn es geht um ein Eilverfahren. Beispielhaft für einen Grünen-Antrag. Aber es geht um mehr.
„Die Stadtratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hat gegen Oberbürgermeister Burkhard Jung wegen Verletzung ihrer Rechte Klage beim Verwaltungsgericht Leipzig eingereicht“, hatte die Fraktion gemeldet. Das klang hochdramatisch, als wenn man den Leipziger OBM beim Naschen erwischt hätte.
Aber ganz so ist es nicht.
Es geht um eine etwas verzwicktere Frage, die nach Transparenz in der Stadtpolitik.
Transparenz ist heutzutage ein genauso häufig und falsch benutztes Wort wie Nachhaltigkeit. Es ist regelrecht zu Falschgeld geworden. Auch weil selbst die Wörterbücher eher mit diffusen Erklärungen aufwarten: Durchscheinen und Lichtdurchlässigkeit bietet das Duden Fremdwörterbuch an. Was zumindest daran erinnert, wo das Wort herkommt: Es beschreibt die Fähigkeit eines Materials, Licht durchzulassen, also auch sichtbar zu machen, was auf der anderen Seite – zum Beispiel eines Fensters – zu sehen ist.
Je intransparenter ein Material ist, umso weniger kann man erkennen.
Deswegen bietet der Duden auch noch Deutlichkeit und Verstehbarkeit an. Aber da haben die Wortdeuter wohl ein Nickerchen gehalten. Oder nicht die richtigen Worte gefunden. Denn tatsächlich geht es immer nur um Eines: Sichtbarkeit und Sichtbarmachung.
Denn transparent sind Vorgänge auch in der Rathauspolitik erst dann, wenn man alles sieht. Alle Seiten des Vorgangs, alle wichtigen dazugehörenden Dokumente, Entscheidungen und Gutachten.
Das ist gemeint, wenn in der Politik von Transparenz die Rede ist. Es hält sich nur fast keiner dran. Manchmal aus guten Gründen, weil zum Beispiel private Interessen und Persönlichkeitsrechte betroffen sind.
Meistens aber aus anderen Gründen, die nicht immer so gut sind. Denn sie zerstören Vertrauen.
Genau darum ging es, als die Grünen-Fraktion im Frühjahr ihren Stadtratsantrag „Transparentes Verwaltungshandeln“ einreichte. Um den geht es nämlich jetzt bei der Gerichtsentscheidung. Unter anderem hatten die Grünen darin den OBM aufgefordert, „alle Informations- und Beschlussvorlagen inkl. aller relevanter Anlagen, die für den Stadtrat zur seiner Meinungsbildung auch zur Abwägung aller Chancen, Risiken und Varianten erforderlich sind, vollständig offenzulegen.“
Auf das Wörtchen „aufgefordert“ müssen wir hier aufmerksam machen. Die Grünen haben ihr Anliegen nicht als Beschluss formuliert, denn das können sie nicht: Der Oberbürgermeister ist ein genauso selbstständig und frei gewähltes „Organ der Gemeinde“ wie der Gemeinderat (also die Ratsversammlung). Beide können sich auf den direkten Willen des Bürgers berufen. Beide sind in ihrer Meinungsfindung souverän und dürfen dem anderen – salopp gesagt – nicht ins Handwerk pfuschen.
Was trotzdem etwas voraussetzt: Sie müssen einander respektieren und respektvoll miteinander umgehen.
Der Stadtrat muss davon ausgehen, dass der OBM seine Entscheidungen nachvollziehbar und im Interesse der Stadt erledigt, dass er seine Verwaltung im Griff hat und sich an die Gesetze hält. Und dass seine Entscheidungsvorlagen, die er dem Stadtrat vorlegt, Hand und Fuß haben.
Woran zu zweifeln ist.
Deshalb stellten die Grünen im Frühjahr ihren Antrag. Denn das Vertrauen zwischen Stadtrat und OBM funktioniert nur, wenn beide ehrlich miteinander umgehen und mit offenen Karten spielen. Wenn also das, was der OBM zur Entscheidung vorlegt, für die Ratsfraktionen vollkommen nachvollziehbar ist. Darüber gab es, so betont die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Krefft, über all die Jahre ein gegenseitiges Abkommen. Der jeweilige OBM stellte den Ratsfraktionen ganz selbstverständlich alle für eine Entscheidungsfindung notwendigen Unterlagen zur Verfügung. Mitsamt den Abwägungen aus den Dezernaten. Denn manchmal findet das Sozialdezernat eine Entscheidung toll und richtig, bei der zum Beispiel das Baudezernat anmerkt: „Können wir uns aber nicht leisten. Weil: zu teuer.“ Oder so ähnlich.
Solche Widersprüche sind normal.
Wenn die Stadträte davon wissen, können sie politisch entscheiden. Politisch kann einfach heißen: Der Beschluss ist so wichtig, dass das Geldargument diesmal nicht zieht. Das Geld muss ausgegeben werden – zum Beispiel für eine neue Kita.
Wenn diese Bauchschmerzen in den Vorlagen stehen, ist das transparent. Die Stadträte wissen, worüber sie abstimmen und was es am Ende kostet. Niemand kann sich herausreden.
Und das Tolle dabei: Die anderen Fraktionen fanden diesen Appell der Grünen an den OBM ebenfalls toll. In der ersten Lesung im Stadtrat wurde der Antrag zur Beratung in die Ausschüsse verwiesen. In den Ausschüssen sitzen die Spezialisten aus den Fraktionen, also die Stadträte und Stadträtinnen, die sich mit einem Sachgebiet gut auskennen, mit den Vertretern der zuständigen Dezernate zusammen. Hier wird Klartext geredet, ob der Antrag funktioniert, rechtsmäßig ist und in die Stadtpolitik passt. Wenn alle Bauchschmerzen besprochen sind, wird abgestimmt. Und wenn die Mehrheit im Ausschuss dafür ist, kommt der Antrag das zweite Mal in die Ratsversammlung, wo dann öffentlich diskutiert und am Ende abgestimmt wird.
Das ist der normale Vorgang.
Doch in diesem Fall grätschte OBM Burkhard Jung dazwischen und nahm den Antrag – nachdem der Verwaltungsausschuss mehrheitlich dafür gestimmt hatte – aus dem Verfahren.
Und das augenscheinlich, weil er der Meinung ist, dass der Antrag in sein Hoheitsgebiet eingreift, denn dann soll er ja künftig alle möglichen relevanten Unterlagen rausrücken, die der Stadtrat zu allen möglichen Entscheidungen braucht. Gerade die Aufforderung, auch Entscheidungen aus der Dienstberatung des OBM transparent zu machen, ging Burkhard Jung zu weit. Dieser Bereich sei einem „Beschluss der Ratsversammlung“ nicht zugänglich, schrieb er den Grünen.
Das sehen die Grünen anders. Auch diese Entscheidungen sollten zwingend transparent sein. Denn in der Dienstberatung sitzt der OBM mit seinen Fachbürgermeistern zusammen und sucht mit ihnen gemeinsam einen Entscheidungsstandpunkt zu den vorliegenden Anträgen. Oft mit widerstreitenden Argumenten – so wie oben geschildert am Beispiel einer Kita.
Wenn die Vorlage des OBM im Stadtrat landet, aber nicht drinsteht, welche Bauchschmerzen die unterschiedlichen Bürgermeister hatten, ist sie für die Ratsfraktionen nicht mehr durchschaubar. Sie bekommen ein Ergebnis – aber die Abwägungsgründe fehlen.
Rechtsanwalt Erik Jochem, der die Klage der Grünen vor dem Verwaltungsgericht vertritt, betont: Der Antrag der Grünen ist ein Appell. Wenn die Ratsversammlung ihn beschließen sollte, wäre es eine Aufforderung an den OBM, die gewünschte Transparenz herzustellen. Er wäre gesetzlich nicht dazu verpflichtet, denn an dieser Stelle lässt die Sächsische Gemeindeordnung Spielraum, den andere Bürgermeister noch viel strenger auslegen.
„Da waren wir in Leipzig schon mal weiter“, sagt Krefft.
Denn das Agreement, wie sie es nennt, zwischen Stadtrat und OBM ist im Gefolge der Friedlichen Revolution gewachsen: Die Oberbürgermeister haben nicht nur Vertrauen geschaffen, indem sie alle notwendigen Dokumente zur Entscheidung öffentlich zugänglich machten. Sie haben den Ratsfraktionen auch eine gute, weil transparente Entscheidungsgrundlage gegeben.
Deswegen waren die Grünen zu recht frustriert, als Burkhard Jung den eigentlich schon vom Ausschuss abgenickten Antrag einfach aus dem Verfahren nahm und davon absah, den Antrag dem Stadtrat zur Beschlussfassung vorzulegen.
Mit dem Eilantrag am Verwaltungsgericht wollen die Grünen erreichen, dass ihr Antrag zum „Transparenten Verwaltungshandeln“ doch noch zur Beschlussfassung kommt. Denn mit einer mehrheitlichen Zustimmung der anderen Fraktionen können sie rechnen. Sie sind sich praktisch alle einig, dass Leipzigs OBM zu diesem (eigentlich bisher auch geübten) transparenten Handeln stehen kann. Es wäre zwar nur ein Appell an den OBM, aber ein ziemlich starker. Burkhard Jung würde ein ganzes Stadtparlament brüskieren, wenn er sich hinterher nicht daran hält. Das, so steht zu vermuten, ist auch der Grund, warum er den Antrag aus dem Verfahren haben möchte.
Deswegen werden wir nachher auch noch ein wenig zu den möglichen Ursachen des Zwistes schreiben.
Die Antwort der Stadt sollte dieser Tage beim Gericht eintrudeln. Wenn beide schnell sind, könnte der Grünen-Antrag dann schon am Mittwoch, 20. September, doch noch auf der Tagesordnung der Ratsversammlung stehen. Das ist verdammt knapp.
Aber die Zeit drängt trotzdem, denn wenn ein Antrag nicht binnen zwei Ratsversammlungen auf der Tagesordnung auftaucht, ist er erledigt. Deswegen haben die Grünen extra einen neuen Antrag gleichen Inhalts gestellt, damit das nicht passiert.
Gibt es also bis Mittwoch, 20. September, keine Entscheidung, wäre die Oktober-Ratsversammlung der nächste Termin. Wobei die Stadt auch noch die Möglichkeit hat, gegen einen möglichen Entscheid des Leipziger Verwaltungsgerichts in Widerspruch zu gehen. Dann wandert der Fall zum Oberverwaltungsgericht. Aber auch das würde so einen Fall schnell entscheiden, sagt Jochem.
Es geht also exemplarisch um einen Grünen-Antrag, den der OBM gegen die bislang gültigen Verfahrensregeln aus dem Verfahren genommen hat. Aber es geht um mehr.
Dazu hier mehr auf der L-IZ.de
Der Grünen-Antrag „Transparentes Verwaltungshandeln“.
Die LEIPZIGER ZEITUNG ist da: Ab 15. September überall zu kaufen, wo es gute Zeitungen gibt
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