In der sรคchsischen Polizeipolitik prallen Welten aufeinander. Wรคhrend Leipzigs OBM den Innenminister fรผr die schlechte Personalausstattung der Polizei kritisiert, nutzen gerade CDU-Abgeordnete die Gelegenheit, um wieder auf die Leipziger Stadtverwaltung zu zeigen und mehr Befugnisse fรผr den Stadtordnungsdienst zu fordern. Aber tatsรคchlich gehen alle Argumente drรผber und drunter. Das eigentliche Thema wird zerredet.

Im Leipziger Stadtrat hat die CDU ja bekanntlich einen Antrag vorgelegt, den Stadtordnungsdienst mit mehr Gerรคt auszustatten und zur Stadtpolizei aufzuwerten. Mit mehr Eingriffsrechten, von denen auch Sachsens Innenminister Markus Ulbig meint, die seien lรคngst gegeben. Worin ihm Leipzigs Ordnungsbรผrgermeister Heiko Rosenthal widerspricht: Das Sรคchsische Polizeigesetz gebe das nicht her.

Aber das Wesentliche an der Diskussion ist, dass die CDU damit immer wieder suggeriert, dass der Stadtordnungsdienst die Sicherheitsprobleme lรถsen kรถnnte, die fehlende Polizei verursacht.

Ein Schema, in das auch der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Sรคchsischen Landtag, Christian Hartmann, am Mittwoch wieder einhakte: โ€žEs ist keinem Bรผrger erklรคrbar, warum der Stadtordnungsdienst von Leipzig nachts, samstags ab 16 Uhr und den ganzen Sonntag nicht erreichbar ist. Schon vor sechs Jahren haben Bรผrgerinitiativen eine Stadtpolizei wie in Dresden gefordert. Doch im letzten Haushalt hat Leipzig trotz Bevรถlkerungswachstums lediglich die Anzahl der Politessen erhรถhtโ€œ, sagte der CDU-Innenpolitiker.

โ€žDer Oberbรผrgermeister sollte sich endlich um die Rahmenbedingungen kรผmmern, die eine negative Entwicklung bestimmter Kriminalitรคtsbereiche begรผnstigen! Die Bรผrgerumfrage โ€šSicherheit in Leipzig 2016โ€˜ hat gezeigt, Ordnung und Sauberkeit sowie die baulichen GestaltungsmaรŸnahmen stehen ebenso im Zusammenhang mit der lokalen Kriminalitรคtsentwicklung wie die Verwahrlosung und Verfallserscheinungen in einigen Stadtteilen, wie zum Beispiel dem Kรถhlerplatz und der EisenbahnstraรŸe. Auch die Duldung linksradikaler Biotope in Leipzig gefรคhrden das Sicherheitsempfinden der Bรผrger und liegen im Verantwortungsbereich der Stadt.โ€œ

Da hat man auch gleich noch den Kinnhaken fรผr die โ€žLinksautonomenโ€œ in Leipzig, die schon gleich nach den G20-Protesten in Hamburg das Lieblingsthema der sรคchsischen CDU wurden, nachdem auch Lothar de Maiziรจre, der Bundesinnenminister, ohne Anlass sein Verdikt รผber die Leipziger Szene sprach. Ohne belastbaren Hinweis, dass Leipziger Autonome an den Randalen in Hamburg dabei waren.

So hat aber der Leser aller aufgeregten Zeitungen ein Bild vor Augen und merkt nicht, dass Sachsen und insbesondere Leipzig ganz andere Kriminalitรคtsprobleme haben. Denn zugenommen haben vor allem Diebstรคhle und Wohnungseinbrรผche. Und das von einem sowieso schon hohen Niveau aus.

โ€žLeider ist es nicht das erste Mal, dass Oberbรผrgermeister Jung versucht, die Verantwortung von sich zu schieben, wenn es um die Sicherheitslage in der Messestadt geht. Schon jetzt hat Leipzig im Vergleich zu Chemnitz und Dresden deutlich mehr Polizisten!โ€œ, meinte Hartmann. โ€žDer reflexartige Ruf des Leipziger Oberbรผrgermeisters nach mehr Polizei lenkt nur von eigener Verantwortung ab. Vielmehr sollte sich Herr Jung einmal intensiv mit dem Thema Stadtordnungsdienst beschรคftigen. Laut Sรคchsischem Polizeigesetz kann dieser mit weitaus mehr Kompetenzen ausgestattet werden, als bisher geschehen. Ein aktueller Antrag der CDU-Fraktion im Leipziger Stadtrat greift genau diesen Aspekt auf.โ€œโ€

Der erste Teil stimmt, auch wenn Burkhard Jung wohl zu Recht annimmt, dass die Polizeibesetzung in Leipzig trotzdem zu gering ist.

Denn sogar Hartmann gibt zu: โ€žDer CDU-Fraktion ist die besondere Problemlage um die Kriminalitรคtsentwicklung der Stadt Leipzig und die herausfordernde Situation fรผr die Polizei bewusst. Trotz dieser Schwierigkeiten macht die Polizeidirektion einen verdammt guten Job. Daher ist es auch unsere gemeinsame Verantwortung โ€“ von Stadt und Land โ€“ die Sicherheitslage in Leipzig signifikant und nachhaltig zu verbessernโ€œ, betont Hartmann.

Darรผber wรคre zu reden.

Aber so, wie Innenminister Markus Ulbig reagiert hat, will er darรผber nicht reden. Denn dann mรผsste darรผber gesprochen werden, wie viele Polizisten es braucht, um eine bestimmte Kriminalitรคtsentwicklung in den Griff zu bekommen.

Burkhard Jung argumentierte am Dienstag, als er sein Statement zur Sicherheitslage abgab, auch mit der Zahl offener Vorgรคnge bei der Polizei. Verblรผffend genau war von 21.115 offenen Vorgรคngen die Rede. Woher hatte er die Zahl?

Sie stammt aus einer Anfrage des Landtagsabgeordneten der Linken Enrico Stange. Der fragt nรคmlich seit geraumer Zeit regelmรครŸig nach den offenen Vorgรคngen bei Polizei und Staatsanwaltschaft โ€“ denn wenn die personell unterbesetzt sind, bleiben nun einmal tausende Anzeigen erst einmal liegen und es dauert ewig, bis sie bearbeitet werden. Die Zahl stammt aus der Anfrage zum Juli. Da waren es 21.114 offene Vorgรคnge bei der Leipziger Polizei.

Natรผrlich lohnt sich der Blick nach Dresden, das auch Hartmann als notwendigen Vergleich genannt hat. Dort gab es 19.282 offene Vorgรคnge. Man kann sich in die Vormonate zurรผckblรคttern, da waren die Berge unbeendeter Vorgรคnge รคhnlich hoch. Die beiden Polizeidirektionen haben also ganz รคhnliche Stau-Probleme.

Liegt es am Personal?

Hartmann meinte: Kann nicht sein. Und der Blick auf die Besetzung der Reviere bestรคtigt das auch auf den ersten Blick. Wo jedes der vier Dresdner Reviere mit 170 bis 197 Polizisten besetzt ist, sind die vier Leipziger mit jeweils 222 bis 247 Polizisten besetzt.

Wรคhrend die Polizeidirektion Leipzig nach der Juli-Auskunft an den Grรผnen-Abgeordneten Valentin Lippmann รผber 3.064 Polizeibedienstete verfรผgte, waren es in der fรผr รคhnlich viele Einwohner zustรคndigen Polizeidirektion Dresden nur 2.665.

Das sind Zahlen, รผber die man sich tatsรคchlich heftig zerstreiten kann. Denn der Teufel sitzt immer im Detail, angefangen mit der schon strukturell hรถheren Kriminalitรคtsdichte in Leipzig (Stichworte: Rauschgiftumschlagplatz, Messe, Flughafen, Armutskriminalitรคt โ€ฆ) bis hin zu strukturellen Unterschieden in den Direktionen, die in einer Globalabfrage zur Soll-Stรคrke nicht sichtbar werden.

Wenn man รผber diese Vergleiche diskutiert, hat man trotzdem keine grundlegenden Erkenntnisse darรผber, ob die Leipziger Polizeiausstattung nicht ausreicht oder gar (im Vergleich mit Dresden) zu รผppig ist.

โ€žWir mรผssen im Interesse der Leipzigerinnen und Leipziger jetzt zรผgig wirklich eine Lรถsung finden. Gegenseitige Vorwรผrfe und Wahlkampfgetรถse helfen den Bรผrgerinnen und Bรผrgern nichtโ€œ, erklรคrt deshalb der Faktionsvorsitzende der SPD im Landtag, Dirk Panter, der seinen Wahlkreis in Leipzig hat. โ€žFakt ist, dass die Situation angespannt ist und es in Leipzig zu wenige Sicherheitskrรคfte gibt.โ€œ

Das war ja der Auslรถser fรผr Burkhard Jungs Kritik. Schon der rapide Anstieg der Straftaten im Jahr 2016 auf den neuen Hรถchstwert von 88.000 hatte ihn alarmiert. Und das hatte nicht die Bohne mit den Connewitzer Autonomen zu tun. Leipzig ist derzeit eindeutig der Schwerpunkt von Einbrรผchen und Diebstรคhlen in Sachsen โ€“ und die Polizei wird der Sache sichtlich nicht Herr. Dass dazu auch vermehrt gewalttรคtige Konflikte kommen, die dann manchmal auch in solche gewalttรคtigen รœbergriffe wie im Rosental am 31. August mรผnden, macht die Lage des OBM nicht leichter.

Er kann zwar die Arbeitszeiten des Stadtordnungsdienstes ausweiten und mehr Personal einstellen. Aber 10 oder 20 neue Stadtordnungskrรคfte ersetzen keine 200 Polizisten. Wobei kein Mensch weiรŸ, ob diese 200 wirklich fehlen โ€“ oder nicht noch mehr.

โ€žGegenseitige Schuldzuweisungen und Zahlenspiele im luftleeren Raum bringen uns nicht weiterโ€œ, erklรคrt dazu Dirk Panter. โ€žUnserer Ansicht nach muss das Personal den Aufgaben folgen. Das bedeutet, dass wir in Leipzig mehr Personal benรถtigen, sowohl bei der Polizei als auch beim Gemeindevollzugsdienst. Alle Verantwortlichen mรผssen jetzt schnellstens zusammen an einen Tisch. Das erwarten die Menschen in Leipzig zu Recht.โ€œ

Jetzt kann man gespannt sein, ob der Innenminister รผber seinen Schatten springt und mit Burkhart Jung รผber belastbare Zahlen redet. Oder ob die CDU weiter auf Wahlkampf schaltet und damit die Diskussion รผber verlรคssliche Zahlen verhindert.

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Es gibt 6 Kommentare

Weitere Schritte erfolgten in Leipzig zum Beispiel im Januar 2009, als die Polizeireviere Sรผd und Sรผdwest, sowie West und Grรผnau zusammengelegt wurden. Alles schon mit Stellenabbau verbunden.
Alles Vorlรคufer der groรŸen Umstrukturierung 2013.
Dies dรผrfte die Frage nach dem Irrtum vielleicht beantworten.

In Zeile acht muss es โ€œnicht getanโ€ lauten (blรถdes Korrektur-Programm)! ๐Ÿ˜‰

Sehr geehrter Herr Julke,
ich habe nicht von der โ€œPolizeireform 2020โ€ geschrieben, sondern von den โ€œEckpfeilernโ€ und Richtungsรคnderung. Diese begannen mit der Abschaffung der Polizeiprรคsidien und ersten Umstrukturierungen, das war 2005!
Alles leicht zu recherchieren.
Richtig ist, dass die FDP im Wahlkampf 2009 noch erklรคrte, dass sie den eingeleiteten Stellenabbau, gerade bei der Polizei stoppen wollte, was sie aber nach Eintritt in die Regierungskoalition nichtigen hat.
Es fallen also die Richtungsentscheidungen sehr wohl in die von mir erwรคhnte CDU-SPD-Koalition, auch wenn das von vielen SPD-Akteuren heute nicht mehr gern gehรถrt wird.

#neulindenauer: Und noch etwas als Ergรคnzung. Unter dem oben verlinkten Artikel finden Sie auch einen Link โ€œProjektbericht โ€˜Polizei. Sachsen.2020โ€ฒโ€, der einmal auf Ulbigs Projekt โ€œPolizeireform 2020โ€ gefรผhrt hat. Das Innenministerium hat dort sรคmtliche Inhalte zur Polizeireform entfernt und die Rubrik mit lauter zusammengestoppelten Beitrรคgen aus anderen Rubriken gefรผllt. Das Ministerium steht nicht mal mehr zu dem, was es 2010 / 2011 als tolle Reform angepriesen hat.

#neulindenauer: Da sind Sie wohl einem Irrtum aufgesessen. Die Polizeireform ist ein Projekt der CDU/FDP-Regierung (2009 โ€“ 2014) und basiert auf dem von Stanislaw Tillich zum Koalitionsstart 2009 verkรผndeten Stellenstreichprogramm, das dann jeder Minister in seinem Ressort umgesetzt hat. Innenminister Markus Ulbig verkรผndete seine โ€œPolizeireform 2020โ€ dann 2010, umgesetzt wurde sie ab 2013. Mit allen absehbaren Folgen. Lesetipp: https://www.l-iz.de/politik/sachsen/2013/01/Das-Experiment-Polizeireform-2020-beginnt-45658

Selbstverstรคndlich gab es ein โ€œStellenstreichprogrammโ€ bei der Polizei, was auch jedem bekannt ist, der die sรคchsische Politik einigermaรŸen im Blick hat und hatte.
Die Landesregierung hat sich doch jahrelang gerรผhmt, den Personalabbau im gesamten รถffentlichen Dienst zu betreiben.
Dies ist eben leider nicht nur bei der Polizei der Fall.
Aber um diese geht es hier nun, aus jenem schlimmen Anlass โ€“ und da muss ich leider sagen, dass die Polizeireform, welche uns heute so dermaรŸen auf die FรผรŸe fรคllt, in der CDU-SPD-Koalition 2004-2009 begonnen wurde und die Eckpfeiler dafรผr, in dieser Zeit eingerammt worden sind.
Mir ist nicht erinnerlich, dass ich dazu irgendeine gegensรคtzliche Meinung der Herren Jung und Panter wahrnehmen konnte!

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