Nachtigall, ick hör dir trapsen. Das dachte man nicht nur beim Netzwerk „Leipzig – Stadt für alle“, als man dort den Antrag „Flächenvorsorge für innovative Konzepte kostengünstigen Wohnungsbaus“ der CDU-Stadtratsfraktion las. Auf den übrigens auch die Verwaltung schon reagiert hat: freundlich und korrigierend. Man hat auch dort gemerkt, dass hier Politik gegen Arme und Arbeitslose gemacht werden soll.

Der Antrag der CDU-Fraktion, über den bei der Stadtratssitzung am 7. September entschieden werden soll, trägt den verheißungsvollen Titel „Flächenvorsorge für innovative Konzepte kostengünstigen Wohnungsbaus“ (Vorlage VI-A-03976).

„Unter dieser wohlklingenden Überschrift wird jedoch tatsächlich eher das Gegenteil gefordert“, kommentiert das Netzwerk „Leipzig – Stadt für alle“ den Antrag, dessen Krux vor allem in Antragspunkt 2 versteckt ist. „Am gravierendsten ist dabei der Beschlussvorschlag, in Ortsteilen mit einem Anteil von über 25 % ALG-II-Empfängerinnen keine kommunalen Flächen (und vermutlich auch keine Fördergelder) für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. Davon betroffen wären nach Zahlen von Ende 2015 Volkmarsdorf, Grünau-Mitte, Grünau-Nord und Paunsdorf. Wenn die Sozialgeldempfängerinnen unter 15 Jahren hinzugerechnet werden (die Formulierung der CDU ist hier möglicherweise bewusst uneindeutig) kommen wahrscheinlich weitere Ortsteile wie z. B. Schönefeld-Abtnaundorf, Schönefeld-Ost, Mockau-Süd und Neustadt-Neuschönefeld hinzu.“

Die Stellungnahme haben wir in voller Länge unter diesem Beitrag verlinkt.

Aber auch wenn die Stadtverwaltung den CDU-Antrag durchaus bereit ist anzunehmen und „nur“ einen Alternativvorschlag erarbeitet hat, wird darin dennoch deutlich, dass man die versteckte Absicht erkannt hat.

Fast freundlich erklärt man es der CDU-Fraktion: „Im Antrag werden drei Kriterien benannt, die bei der Auswahl geeigneter Flächen für kostengünstigen Wohnungsbau zu berücksichtigen sind. Diese werden bereits heute grundsätzlich von der Verwaltung berücksichtigt, aber in der Ausführung etwas anders als im Antrag dargestellt gehandhabt.“

Wahrscheinlich wird die Ernsthaftigkeit hinter den beiden Worten „etwas anders“ wieder nicht so ankommen, wie sie gemeint ist.

Aber „die Intention des Antragstellers aufgreifend“, schlägt das Planungsdezernat ein wenig abgewandelte Kriterien vor, denn das Thema mit der „sozialen Durchmischung“ hat Leipzig schon seit Jahren auf der Agenda. Nur halt nicht mit der Konnotation, die jetzt die CDU ins Spiel bringt: „örtliche Konzentration sozialer Problemlagen vermeiden“.

Was eben nicht bedeuten kann, dass es in Vierteln mit hoher Arbeitslosenquote keinen sozialen Wohnungsbau mehr geben kann. Im Gegenteil, stellt das Planungsdezernat fest: „Die soziale Durchmischung von Quartieren ist ein wichtiger Baustein im Wohnungspolitischen Konzept (Leitlinie 4). Darauf richtet sich das Handeln der Verwaltung in vielen Bereichen der Stadterneuerung und Planung aus. (…) Bei der Entwicklung großer neuer Stadtquartiere wirkt die Stadtverwaltung darauf hin, dass sich der Vorhabenträger verpflichtet, mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnungsbau zu errichten. So wurde beispielsweise im städtebaulichen Vertrag zur Entwicklung des Quartiers ‚Freiladebahnhof Eutritzscher Straße/Delitzscher Straße‘ vereinbart, dass der Vorhabenträger 30 % der für Wohnen vorgesehenen Bruttogeschossfläche sozialen Wohnungsbau gemäß der geltenden Förderrichtlinie zu errichten (VI-DS-03364 vom 12.04.2017). Damit wird insbesondere bei der Entwicklung größerer Quartiere ein wichtiger Beitrag zur sozialen Mischung geleistet.“

Und zur konkreten Forderung der CDU: „Im Antrag wird im Detail vorgeschlagen, dass keine Flächen in Ortsteilen mit einem Anteil von 25 % SGB II-Leistungsempfängern an der Wohnbevölkerung für kostengünstigen Wohnungsbau bereitgestellt werden. Diese Quote wird seitens der Verwaltung als nicht zielführend erachtet. Geförderter Wohnungsneubau wird bei einer Kostenmiete von 10,00 €/m² (nettokalt) zu einer Fördermiete von 6,50 €/m² (nettokalt) führen, ungeförderter kostengünstiger Wohnungsbau sogar von schätzungsweise mehr als 8 €/m². Dies liegt deutlich über den derzeit geltenden angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (je nach Haushaltsgröße 4,51-4,72 €/m² (nettokalt)), die für SGB II-Leistungsempfänger als angemessene Miete übernommen werden. Das entstehende Angebot an gefördertem Wohnungsbau richtet sich an Haushalte mit geringem bis mittleren Erwerbseinkommen (Schwellenhaushalte), die die Fördermiete von 6,50 €/m² aufbringen können und wollen. Insofern führt der Bau von gefördertem Wohnraum nicht zu einer Zunahme von SGB II-Leistungsempfängern in den Quartieren. Daher wird die im Antrag vorgeschlagene Quote von der Verwaltung abgelehnt.“

Also eine Ablehnung für das Kernanliegen des CDU-Antrags.

Der wieder für sich das unübersehbare Problem der Verdrängung gar nicht aufgreift. Denn es sind ja Menschen mit niedrigen Einkommen, die in einigen zentralen Quartieren schon lange keine Wohnung mehr finden und zusehends an die Peripherie der Stadt bzw. noch bezahlbare Wohnquartiere abgedrängt werden.

„Die CDU negiert einmal mehr gänzlich, dass der Leipziger Wohnungsmarkt nicht statisch ist, sondern sich stark verändert. Gerade in den innenstadtnahen Stadtteilen des Leipziger Ostens und Nordostens mit im gesamtstädtischen Vergleich noch relativ preisgünstigen Mieten, aber gleichzeitig hohen Zuzugszahlen ist die Gefahr der Verdrängung von Mieterinnen hoch“, kommentiert das das Netzwerk „Leipzig – Stadt für alle“. „Daher ist es gerade in diesen Stadtteilen unbedingt notwendig, in den nächsten Jahren Sozialwohnungen zu schaffen, um die zu erwartenden Verluste an preiswerten Mietwohnungen zumindest zu einem gewissen Teil kompensieren zu können. Aber auch in den Plattenbaugebieten muss wieder sozialer Wohnungsbau möglich sein. Hier verfügen die kommunale Wohnungsgesellschaft LWB und die Genossenschaften über mehrere potentielle Bauflächen, die sie an anderen Stellen in der Stadt kaum mehr erwerben und bebauen können.“

Die Stellungnahme des Netzwerk „Leipzig – Stadt für alle“.

Der Antrag der CDU-Fraktion

Die Vorlage der Stadtverwaltung.

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