In der Stadtratsvorlage zur sogenannten „Flüchtlingsintegrationsmaßnahme“ (FIM), die die Stadt nach einem Jahr nun einstellen will, hat der Projektträger, der Kommunale Eigenbetrieb Engelsdorf, auch versucht herauszubekommen, warum die „Zugewiesenen“ ihre 80-Cent-Jobs nicht angetreten haben. In der zunehmend ins populäre Fahrwasser geratenden LVZ klang das dann so: „Flüchtlinge schwänzen Arbeitsprojekt – Leipzig stellt Angebot wieder ein“.
Eine doppelte Verdrehung, die die Fallhöhe vergrößert. Denn eine „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme“, für die Menschen vom Sozialamt „zugewiesen“ werden, ist kein Angebot. Es ist und bleibt eine Zwangsmaßnahme. In diesem Fall auch noch völlig sinnfrei, wie die Linke-Stadträtin Juliane Nagel ausführlich erläuterte. Denn mit solchen Maßnahmen werden Menschen zwar irgendwie „beschäftigt“, aber sie werden vom regulären Arbeitsmarkt regelrecht ferngehalten.
Wer so etwas „Angebot“ nennt, spricht die Sprache einer gängelnden Bürokratie, um es nicht noch schärfer auszudrücken. Aber die Perfidie steckt im ersten Teil der hingehämmerten Überschrift: „Flüchtlinge schwänzen Arbeitsprojekt“.
Selbst im Wort „Arbeitsprojekt“ steckt die Unterstellung, man habe es hier mit einem echten Projekt zur Schaffung echter Arbeitsplätze zu tun und nicht mit einem billigen Beschäftigungsprojekt. Aber mit dem „Schwänzen“ suggeriert die populistische Zeitung, die wahrscheinlich wohl doch „undankbaren“ Menschen würden aus lauter Bosheit nichts beitragen wollen zu ihrer Integration.
Das aber stand nicht einmal in der Stadtratsvorlage. Auch wenn der KEE versucht hat herauszubekommen, warum sein 80-Cent-Projekt gescheitert ist.
Die Zahlen findet man in der Vorlage ab Seite 2: Danach hat das Sozialamt dem KEE zwischen Dezember 2016 und Juni 2017 insgesamt 395 Menschen für die FIM zugewiesen. Angetreten haben die Maßnahme aber nur 112, also nicht mal ein Drittel.
Um den Misserfolg irgendwie zu erklären, hat man nun versucht herauszubekommen, warum die anderen alle nicht in die treuherzigen Hände des KEE wechseln wollen. Ergebnis: 139 hätten gar nicht zugewiesen werden dürfen, weil sie längst in richtigen Integrationsmaßnahmen steckten oder gar nicht die familiären Bedingungen für diese „Maßnahme“ erfüllten oder gar schon im Rechtskreis SGB II waren (Jobcenter). Die Zuweisungen waren schlicht „nicht rechtswirksam“.
Blieben also irgendwie 144 „Zugewiesene“ übrig, die nicht bei der KEE auftauchten. Das formuliert die Vorlage so: „144 Personen fehlten ohne Begründung“.
Sie fehlten einfach. Aber das bedeutet ganz und gar nicht, dass sie „schwänzten“ oder sich gar „verweigerten“, wie die LVZ behauptet. Obwohl es das gute Recht von Menschen ist, sich unzumutbaren Maßnahmen zu verweigern. Immerhin 20 hatten gegen die Zuweisung offiziell Widerspruch eingelegt.
Aber die Tabelle, die die KEE dann aufmacht, erzählt bestenfalls von einem bürokratischen Tohuwabohu, wie man es in der Verwaltung der Asylsuchenden nun schon zur Genüge kennt: Zwölf „Zugewiesene“ waren gar nicht arbeitsberechtigt, weil sie nur geduldet werden, bei 16 wurde der Asylantrag abgelehnt, womit sie ebenfalls nicht arbeiten durften, sondern ausreisen sollten, sieben erhielten „Zuweisungen“, „ohne dass die Zuweisung versandt wurde“. Usw.
Das summiert sich dann auf 221 Fälle, in denen die „Zugewiesenen“ aus verschiedensten Gründen nicht beim KEE aufschlugen.
Aber nach Adam Ries macht 112 plus 221 schon mal 333. Es sind also maximal 62, von denen man nicht weiß, warum sie nicht zum freundlichen Empfang bei der KEE erschienen. Die KEE hat also schlicht ein großes Informationsloch.
Aber in das sprang – was zu erwarten war nach der fremdenfeindlich angetönten Geschichte in der LVZ – der Vorsitzende der Leipziger AfD, Siegbert Droese, der in klassischer Schönheit gleich mal demonstrierte, wie man aus einer falsch gewichteten Nachricht gleich mal neuen Zunder für den heimischen Rassismus macht. Denn Droese beschränkte sich auch nicht mehr auf die 144 „Zugewiesenen“, über die die KEE nichts in Erfahrung bringen konnte. Er machte gleich mal 70 Prozent draus (was sich nur auf alle 221 beziehen kann, die nicht in die FIM kamen): „Wenn über siebzig Prozent der Teilnehmer dem Arbeitsprojekt für ‚Flüchtlinge‘ fern bleiben, kommt man nicht umhin, mangelnden Willen zu unterstellen. Das Projekt wäre geeignet gewesen, um den ‚Flüchtlingen‘ die Gelegenheit zu geben, die Hilfe unserer Gesellschaft mit einem kleinen Beitrag zurück zu geben“, formulierte er.
Womit er (die Gänsefüßchen bei Flüchtlinge stammen von ihm) gleich mal wieder zeigte, wie zutiefst menschenfeindlich die Leipziger AfD ist. Und dass er sich die Zahlen hinbiegt, wie er lustig ist – obwohl von den „70 Prozent“ viele eindeutig fehlten, weil die „Zuweisungen“ nicht rechtswirksam waren.
Aber er setzte noch einen drauf und macht nicht eine überbordende Bürokratie und den falschen Ansatz für das Scheitern des Projekts verantwortlich, sondern die Betroffenen: „Wer von den ‚Flüchtlingen‘ nicht bereit ist, einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten, wird wohl auch nicht bereit sein zur Integration. Wer sich als Fremder nicht integrieren mag, hat keinen Platz unter uns und sollte seiner Wege gehen.“
Das kommt davon, wenn man Nachrichten nur aus dritter Hand bezieht. Dass etliche der Zugewiesenen fehlten, weil sie in richtigen Integrationsmaßnahmen oder sogar schon in richtigen Arbeitsverhältnissen stecken, hat der AfD-Sprecher gleich mal unterschlagen, lamentiert dann aber über die Kosten für den Steuerzahler.
Da trifft also eine verbal fremdenverachtende Zeitung auf einen zutiefst fremdenfeindlichen AfD-Kreisverband. Das muss man nicht mehr kommentieren.
Die Begründung der Vorlage der Leipziger Verwaltung.
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