Manchmal muss man auch nicht verstehen, was der Stadtrat beschließt. Manchmal ist es auch nicht zu verstehen, weil der Beschluss nur ein Flickbeschluss ist. Wie der zum „Platz der Friedlichen Revolution“, der der Wilhelm-Leuschner-Platz bis heute ist, obwohl dort gar kein Freiheits- und Einheitsdenkmal hingebaut wird. Aber wie geht die Verwaltung mit einer Petition zu diesem Thema um?
Eine Petition, in der der anfragende Bürger sich darüber wundert, warum aus den Lautsprechern der LVB immer noch die nervige Bezeichnung „Platz der Friedlichen Revolution“ schmettert, wenn die Straßenbahn in die Haltestelle Wilhelm-Leuschner-Platz einfährt. Das wurde doch schon 2014 beschlossen wieder abzuschaffen, oder?
Das Kulturdezernat hat sich jetzt mit dieser Petition beschäftigt. Darin gab es auch den Vorschlag, den ganzen Eiertanz mit dem Freiheits- und Einheitsdenkmal sein zu lassen und einfach die eindrucksvolle Säule auf dem Nikolaikirchhof zum Freiheitsdenkmal umzuetikettieren. Da hat man ohne viel Federlesens ein Denkmal und spart sich das nächste Scheitern.
Aber das geht nun ganz bestimmt nicht, stellt das Kulturdezernat fest.
Und kann es auch ganz gut begründen: „Die Kulturstiftung Leipzig hatte im August 1992 in Kooperation mit der Stadt Leipzig, Dezernat für Stadtentwicklung und Raumplanung, einen künstlerischen Ideenwettbewerb mit dem Ziel der Gestaltung des Nikolaikirchhofs ausgelobt. Neben der Ausformung des Platzes zu einem individuellen, kommunikativen und urbanen Stadtraum als inhaltlichem Schwerpunkt der Wettbewerbsaufgabe sollten die Ereignisse des Herbstes 1989 rund um die Nikolaikirche künstlerisch reflektiert werden. Im Ergebnis des Ideenwettbewerbs und der Empfehlung des Beirates Kunst im öffentlichen Raum war der Entwurf des Künstlers Andres Stötzner mit den Bestandteilen der ‚Nikolaisäule‘ und Brunnen zur Realisierung vorgeschlagen worden. Die Säule wurde am 9. Oktober 1999 eingeweiht. Der Brunnen konnte erst später realisiert werden. Die Säule bezieht sich unmittelbar auf die Ereignisse im Herbst 1989 und die Entwicklung zuvor. Bereits seit den 1980-er Jahren fanden in der Nikolaikirche die sogenannten Friedensgebete statt. Im Herbst 1989 drängte der Protest ins Freie; der öffentliche Raum war von Bürgerinnen und Bürgern für politisches Handeln zurückerobert worden. Die Nikolaisäule steht sinnbildlich für diesen Prozess.
Und dann kommt jene Verrenkung, die mit dazugehört, dass der erste Wettbewerb um das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig gescheitert ist: „Abgesehen davon, dass das Kunstwerk und dessen Bezeichnung urheberrechtlich geschützt sind, kann die Säule nicht zum Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal deklariert werden, da die Aufgabenstellung und der Anspruch an ein solches Denkmal weit über die Gestaltung des Nikolaikirchhofs und die Nikolaisäule hinausgehen.
In der Auslobung des Wettbewerbs von 2011 heißt es: ‚Gegenstand des Wettbewerbs ist der Entwurf eines nationalen Freiheits- und Einheitsdenkmals.‘
In der Aufgabenstellung ist formuliert:
‚… Das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal soll als nationales Denkmal für die Friedliche Revolution insgesamt stehen. Alle, die – wo immer in der DDR – gegen die Diktatur aufgestanden sind, sollen mit diesem Denkmal geehrt werden. Es soll durch Standort, Gestalt und Aussagekraft über Leipzig hinaus weisen … ‘“
Mittlerweile ist ja aus diesem „nationalen Anspruch“ laut OBM Burkhard Jung sogar der Anspruch geworden, ein „Denkmal von europäischer Dimension“ zu schaffen. Man wagt sich gar nicht vorzustellen, wie groß die Fallhöhe wird, wenn dieser zweite Anlauf mit Krachen scheitert.
Es ist nicht die Idee, die so verrückt ist – es ist der Größenwahn.
Aber wem sagt man das?
Und die Ansage in der Straßenbahn wird man auch nicht los, weil die zuständigen Gremien nicht den Mumm hatten, die erste, sichtlich falsche Entscheidung, komplett zu revidieren,
In der Stellungnahme des Kulturdezernats heißt es dazu: „Wie vom Stadtrat in seiner Sitzung am 10.12.2014 beschlossen, hat sich das Begleitgremium Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal, das am 17.12.2014 unter der Leitung des Oberbürgermeisters getagt hat, damit befasst, wie mit der Teilumbenennung des Wilhelm-Leuschner-Platzes in ‚Platz der Friedlichen Revolution‘ umgegangen werden soll, nachdem ein Freiheits- und Einheitsdenkmal auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz in absehbarer Zeit nicht errichtet werden wird. In dem Zusammenhang wurde auch die bestehende Zusatzansage ‚Platz der Friedlichen Revolution‘ in der Straßenbahn an der Haltestelle Wilhelm-Leuschner-Platz und die Zusatzbeschilderung ‚Platz der Friedlichen Revolution‘ der City Tunnel Station Wilhelm-Leuschner-Platz mit betrachtet.
Das Begleitgremium hat sich einstimmig bei einer Enthaltung dafür ausgesprochen, die Beibehaltung der bestehenden Situation vorzuschlagen. Auf diese Weise soll der Name ‚Friedliche Revolution‘ weiter im Stadtbild präsent sein und verdeutlicht werden, dass die Stadt Leipzig gemäß dem Ratsbeschluss Nr. RBV-2127/14 vom 16.07.2014 an dem Ziel festhält, langfristig ein Zeichen für die deutschlandweite und internationale Bedeutung der Friedlichen Revolution in Leipzig im öffentlichen Raum zu setzen.
Aus diesem Grund wird die Ansage in den Straßenbahnen an der Haltestelle Wilhelm-Leuschner-Platz bis auf weiteres beibehalten.“
Das erwähnte Begleitgremium besteht aus Vertretern aller Fraktionen des Stadtrates, einem Vertreter des Sächsischen Landtages, Mitgliedern der Initiative Tag der Friedlichen Revolution Leipzig 9. Oktober 1989, einer Vertreterin des Mehr Demokratie e.V. Sachsen und einem Vertreter der Stiftung Friedliche Revolution.
Es hatte sich übrigens auch schon fürs erste Denkmal kräftig ausgesprochen. Und augenscheinlich fahren die Damen und Herren selten bis nie Straßenbahn. Sonst wüssten sie, wie kontraproduktiv und nervend die Ansagen in der Straßenbahn sind.
Aber der Grund wurde ja benannt: Man wollte nicht, dass die nationale Duftmarke ganz verschwindet und in Leipzig vielleicht mal jemand wirklich darüber nachdenkt, wie groß ein gutes Denkmal für die Freiheit in Leipzig tatsächlich sein sollte. Deshalb hat OBM Burkhard Jung die Entscheidungen schon beim ersten Mal an denkstarke Gremien ausgelagert, die – wie wir alle wissen – ein wirklich tolles Ergebnis abgeliefert haben. Jetzt soll’s noch eine Dimension größer werden. Aber wie man in der Stadtratssitzung am 21. Juni erfahren durfte, darf ein Gremium ganz bestimmt nicht mitreden: die Leipziger Bürger.
Das nennt man dann am Ende wohl ein fürstliches Geschenk.
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