Für FreikäuferAm 18. Juli stellte Leipzigs Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal nicht nur die neueste Bürgerumfrage zum Sicherheitsempfinden der Leipziger vor, sondern auch den neuen Rechenschaftsbericht des „Kommunalen Präventionsrates Leipzigs“. Das ist die Truppe, in der die Stadt und die Polizei zusammensitzen und darüber beraten, wie man die Kriminalität in Leipzig etwas mildern kann. Nicht bekämpfen – das ist allein Job der Polizei.
Auch wenn es einige CDU-Politiker einfach nicht glauben wollen und den völlig sinnfreien Kurs von Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) unterstützt haben, die sächsische Polizei mit der „Polizeireform 2020“ noch weiter kaputtzusparen. Ganze Serien von Landtagsanfragen zeigen mittlerweile, wie darunter vor allem die Präventionsarbeit gelitten hat. Die nunmehr fünfte vorgestellte Sicherheitsumfrage zeigt dann das dazu passende Bild für Leipzig: eine zunehmend verunsicherte Stadtgesellschaft, die den Mut verliert, in der Öffentlichkeit ohne Misstrauen und unbekümmert aufzutreten, und die mehr Geld in Sicherheitsanlagen und Präventivbewaffnung investiert.
Wer an der Polizei spart, erzeugt binnen erstaunlich kurzer Zeiträume ein zunehmendes Gefühl der Unsicherheit und ein zunehmendes Verlangen nach Bürgerwehr und Selbstjustiz. Das könnte man eine ziemlich dumme Polizeipolitik nennen. Erst recht, wenn dieselben Politiker nicht aufhören, mit dem nackten Zeigefinger auf die Stadt Leipzig zu zeigen, diese möge doch bitte mehr Polizeiarbeit leisten.
Falsche Richtung, kann man da nur sagen.
Aber was kann eine Stadt leisten? Das ist seit über 20 Jahren Thema. Der kriminalpräventive Rat wurde ja gerade deshalb gegründet, weil Stadtverwaltung und Polizei ein Gremium brauchten, in dem man sich gemeinsam abstimmen konnte, wer welchen Teil der (Präventiv-)Arbeit übernehmen kann und wo die Stadt selbst Projekte auflegen kann, die dabei helfen, ganz konkrete kriminelle Phänomene zu verringern. Deswegen gibt es schon seit Jahren eine Arbeitsgruppe Innenstadt. Die City ist das Vorzeigestück der Stadt – leidet aber immer wieder unter Diebstahl (von dem gern der Weihnachtsmarkt heimgesucht wird), Ladendiebstahl, manchmal auch aggressiver Bettelei. Hier müssen alle an einem Strang ziehen, um diese negativen Begleiterscheinungen eines sichtbaren Erfolges in den Griff zu bekommen.
Ein Mega-Thema ist seit Jahren der Fahrraddiebstahl in Leipzig, auch wenn der im Jahr 2016 neue Gipfelwerte erreicht hat. Die Stadt wird jünger, immer mehr Leipziger fahren Rad, genießen die Unabhängigkeit des meist nicht gerade billigen Zweirades – und das zieht seit ungefähr fünf Jahren vermehrt die Diebesbanden in die Stadt, die jedes Jahr tausende Fahrräder stehlen und in die Ferne schaffen. Dagegen hilft im Kleinen zumindest eine bessere Sicherungsstruktur für Fahrräder und die von der Stadt beworbene Fahrradregistrierung. Mittlerweile sind über 117.000 Leipziger Fahrräder codiert – können also recht schnell wieder ihrem Besitzer zugeführt werden, wenn sie irgendwo als Diebesgut auftauchen.
Ein weiteres Mega-Thema – auch wenn sich das augenscheinlich noch nicht herumgesprochen hat – ist längst auch die „urbane Gewalt“. Also so etwas, wie es am 12. Dezember 2015 durch die Leipziger Südvorstadt tobte. Schon vorher hat Leipzigs Stadtrat über das Thema intensiv diskutiert und noch 2016 beschlossen, dass es für Leipzig eine phänomenübergreifende Studie zu „Ursachen urbaner Gewalt“ in Leipzig geben soll. Nicht nur zu linksextremer Gewalt, wie es einige knochige Ratsmitglieder verlangt hatten. Denn auf Leipzigs Straßen tobt sich auch (oft unerwartet) so manche andere urbane Gewalt aus: mal sind es prügelnde Fußballanhänger, mal sind es Gruppen unterschiedlicher Nationalitäten, die aufeinanderprallen, mal glauben Rechtsradikale ihr Mütchen kühlen zu müssen, mal Linke … man hat es also mit Phänomenen einer vielschichtigen und nicht immer überschaubaren Stadt zu tun. Und mit Konflikten, die nicht immer politischer Natur sind.
Mittlerweile ist auch klar, wer diese (unabhängige) Studie erstellt: das „Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus und Demokratieforschung“ der Uni Leipzig. Die Finanzierungszusage des Bundesfamilienministeriums liegt vor.
Und natürlich quält sich die Stadt auch seit Jahren mit mehreren anderen Phänomenen, die einfach nicht mehr wegzudenken sind. Das eine gehört eigentlich zur „urbanen Gewalt“: die Sicherheitsproblematik in der Fußball-Fan-Szene. Eine Arbeitsgruppe beschäftigt sich – seit den ersten großen Einbruchserien in Kleingärten – mit der dortigen Sicherheitslage. Die hat sich leicht gebessert, aber vor allem, weil die Kleingartenvereine mehr auf Sicherheitstechnik gesetzt haben, Überwachungstechnik zum Einsatz kam und die Gärtner selbst mehr Streife laufen. Wo man aufmerksamer ist, ist der Spielraum für nächtliche Diebe geringer.
Nur: Die Ursachen hat man noch nicht beseitigt: Armut, Sucht, Wohnungslosigkeit …
Und genauso gibt es seit Jahren eine Arbeitsgruppe Graffiti, die anfangs immer sehr mutige Meldungen in die Öffentlichkeit lancierte, wie man der ganzen Graffiti-Schmierereien Herr werden wolle. So richtig Herr ist man derer nicht geworden. Denn man hat es mit einer Szene zu tun, die so eine geharnischte Kampfansage sogar als Herausforderung gesehen hat, erst recht, nachdem eigentlich Ventil-Projekte wie die „Hall of Fame“ am Karl-Heine-Kanal verboten wurden. Seitdem ähnelt das Ganze eher einem Katz-und-Maus-Spiel. Manchmal vermeldet die Polizei öffentlichkeitswirksam, dass sie wieder einen Sprayer auf frischer Tat erwischt hat. Aber gerade die geharnischte Kampfansage sorgte dafür, dass die Zahl der Sachbeschädigungen durch Graffiti von 2009 bis 2014 rapide anstieg.
Und die Betroffenen wissen, dass auch die verwendeten Mittel aggressiver wurden – bis hin zu den Teerfarben, die sich mit einfachen Putz- und Malmitteln nicht wieder beseitigen lassen. Da wurde also ganz unübersehbar das richtige Mittel, diese Art Sachbeschädigungen zu mindern, noch nicht gefunden.
Neben den großen Arbeitsgruppen gibt es auch einen kleinen Kreis „Wohnungseinbruch“, in dem auch die Wohnungsgesellschaft LWB mitwirkt. Die hat extra eine witzige Postkartenserie aufgelegt, um die Leipziger daran zu erinnern, dass vor allem Fahrlässigkeit den Dieben Tür und Tor öffnet.
Und dann sucht man vergeblich nach einer Arbeitsgruppe Suchtproblematik. Aber das Thema fehlt nicht wirklich. Es steckt im Arbeitsprojekt „Präventionsatlas“. Denn um all die kriminellen Folgen von Sucht zu verhindern, hilft tatsächlich nur Prävention und Aufklärung. Die Leipziger wissen das und es überrascht nicht, wenn 87 Prozent sich wünschen, dass die Drogenaufklärung in der Schule intensiviert wird. Die ganzen Appelle, die Stadt solle aktiver gegen Süchtige und Dealer vorgehen, sind Quatsch. Da ist das Kind längst in den Brunnen gefallen. Den bewussten Umgang und den bewussten Verzicht auf Drogen lernt und trainiert man im Jugendalter. Da müssen die Präventionsangebote ansetzen.
Womit man beim kleinen Aufregerthema der Pressekonferenz wäre: Leipzigs Plan, sich intensiver mit seinem Bahnhofsviertel zu beschäftigen.
Ein Bahnofsviertel?
Damit beschäftigen wir uns noch an dieser Stelle.
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