Nicht nur Pöbeleien und sexuelle Belästigungen zeigen die Leipziger selten an. Selbst bei Vorfällen, bei denen es tatsächlich um viel Geld und körperliche Unversehrtheit geht, verzichten sie oft auf eine Anzeige bei der Polizei. 27 Prozent der Wohnungseinbrüche werden gar nicht erst zur Anzeige gebracht. Bei Raub verzichten 31 Prozent der Betroffenen auf eine Anzeige.

Mögliche Gründe können natürlich sein, dass der materielle Verlust so gering ist, dass man sich die Scherereien mit Polizei und Versicherung lieber spart. Die Zahl kommt einem auch vertraut vor. Denn sie korrespondiert mit der Armutsquote in Leipzig: Wer bei armen Leuten einbricht, findet in der Regel keinen von den wertvollen Gegenständen, um die das wohlhabende Bürgertum so viele Tänze aufführt. Logische Folge: Die Sorgen des einen Teils der Leipziger sind mitnichten auch die des anderen.

Aber wie wir gesehen haben, sind Menschen aus prekären Verhältnissen dafür öfter von Pöbeleien betroffen. Man hat zwar nichts zu verlieren – aber ein geruhsamer oder gar sorgloser Zustand ist das auch nicht.

Und mit dem Einkommen sinkt auch das Vertrauen in die Polizei. Was dann auch dazu führt, dass 69 Prozent aller Körperverletzungen nicht angezeigt werden. Und Verkehrsunfälle als Fußgänger oder Radfahrer kommen in 69 Prozent der Fälle nicht zur Anzeige.

Und wie ist das bei all den Straftaten, über die sich die Stadtgesellschaft so erhitzt?

Ein Drittel aller Diebstähle aus Autos werden ebenfalls nicht angezeigt. Dasselbe trifft auf den Diebstahl von Fahrrädern zu. Beschädigungen am Auto werden von zwei Dritteln der Betroffenen nicht angezeigt, Beschädigungen am Fahrrad von vier Fünfteln.

Was einen natürlich an eine Tabelle viel weiter vorn im Bericht erinnert: Wo die Polizei nicht als Helfer betrachtet wird, sind Großstadtbewohner natürlich gezwungen, sich selbst Schutzstrategien auszudenken.

Zu den einfachsten gehören: Wertgegenstände aus dem Auto nehmen – was 85 Prozent der Befragten immer und oft tun, die Lehre sitzt. 70 Prozent der Leipziger führen nur kleine Geldbeträge mit sich – dann ist das bei einem Diebstahl leichter zu verkraften. 66 Prozent bemühen sich in der Öffentlichkeit um ein unauffälliges Verhalten. Nur nicht anecken. Fast möchte man sagen: Das haben die Leipziger ja 40 Jahre lang geübt. Da kann man einfach mit weitermachen, wenn man sich ein blaues Auge oder Übleres ersparen möchte.

Dumm nur, dass Leipzig damit immer mehr jenen Hauch von Freiheit verliert, der hier 1989 mal durch die Straßen wehte. Denn so ein Verhalten hat Konsequenzen. Man traut sich immer seltener, noch unbeschwert durch die Straßen zu gehen oder gar an einer der vielen Proteste teilzunehmen, bei denen die mutigeren Leipziger noch Flagge zeigen.

Eine regelrecht eingeschüchterte Stadt.

Herzlichen Glückwunsch, kann man da sagen.

Und wenn man die vergeigte „Polizeireform“ ganz böse interpretiert, dann könnte man an dieser Stelle feststellen: Das war beabsichtigt. Weniger Polizei gleich mehr Vorsicht gleich weniger unkontrolliertes Leben auf der Straße. Souveränität sieht anders aus.

60 Prozent der Leipziger meiden nachts Parkanlagen und andere gefährliche Orte. Da darf man ruhig schon fragen: Wem gehört die Stadt dann eigentlich?

Nur 44 Prozent beschäftigen sich ausgiebig mit Einbruchsicherungen an Wohnung und Nebengelassen. Was aus Sicht von Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal zu wenig ist. Aber schon dieses Beharren darauf, die Leipziger sollten mehr Geld in Sicherheitsanlagen investieren, macht skeptisch. Wohin sind wir eigentlich geraten, dass potenzielle Einbrecher bestimmen, wie wir in dieser Stadt leben sollen? Wird unser Leben immer stärker von Angst dominiert?

37 Prozent der befragten Leipziger meiden nachts die Benutzung des ÖPNV. Der Wert ist deutlich gestiegen gegenüber 2011. Damals waren es noch 29 Prozent. 24 Prozent gehen nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Straße. 2011 waren das 23 Prozent. Eine Zahl, die natürlich mit der älteren Bevölkerung der Stadt korrespondiert.

Aber eine bedenkliche Entwicklung gibt es dann mit der Bewaffnung. 2011 führten nur 5 Prozent der Leipziger Mittel zur Selbstverteidigung mit sich. Aber die Hysterie der sächsischen Rechtsradikalen 2015 hat Wirkung gezeigt: Mittlerweile laufen 11 Prozent der Leipziger regelmäßig mit Abwehrspray oder Elektroschocker durch die Gegend.

Da laufen also einige Trends zusammen – von der öffentlichen Panikmache über die unmotivierten Einsparungen bei der Polizei bis hin zur Negation eines manifesten Armutsproblems, das Leipzig nach wie vor hat und das augenscheinlich kein maßgeblicher Politiker wirklich anpacken möchte.

Aber weil Rosenthal den Wohnungseinbruch zu einem zentralen Thema der Präventionsarbeit machen möchte, gibt es dazu einen extra ausführlichen Teil im Sicherheitsbericht.

Dazu kommen wir gleich an dieser Stelle.

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