Die Eitelkeiten hören nie auf. Eigentlich waren Straßenbenennungen in Leipzig mal so gedacht, dass damit Personen gewürdigt werden sollten, die sich für die Stadt besonders verdient gemacht haben. Aber immer wieder finden politische Akteure, sie müssten ihre politischen Größen im Stadtbild verewigen. Straßen quasi als politische Statements. Kaum ist Helmut Kohl gestorben, beantragt die Leipziger CDU, einen Platz nach ihm zu benennen.
Das Problem begann schon gleich nach der „Wende“, als man meinte, unbedingt auch Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Willy Brandt im Stadtbild verewigen zu müssen. Jüngst, als Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt starb, hielt sich die SPD-Fraktion im Stadtrat lieber zurück.
Dafür gab es eine Petition des Bürgers Dieter Krause, die Leipzigs Verwaltung ganz und gar nicht ablehnte. Im Gegenteil: Wo man schon mal angefangen hat, kann man auch weitermachen: „In Leipzig sind bisher zwei Straßen und ein Platz nach den ehemaligen Bundeskanzlern Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Willy Brandt benannt. Eine nach Helmut Schmidt benannte Straße würde sich in diese Reihe eingliedern. Eine Benennung zum 100. Geburtstag im Jahr 2018 wäre realisierbar, soweit zu diesem Zeitpunkt eine für die Benennung geeignete Straße verfügbar ist. Bis zu einer tatsächlichen Benennung wird der Name in den Benennungsvorrat aufgenommen.“
Da kann die CDU-Fraktion natürlich nicht nachstehen. Leipzig soll nach ihrem Wunsch unbedingt auch einen Platz bekommen, der nach dem Kanzler der Deutschen Einheit, Dr. Helmut Kohl, benannt ist.
„Vorzugsweise soll folgender Benennungsort geprüft werden: Platz vor dem Neuen Messegelände, begrenzt durch CCL, Messehallen, Messeverwaltung und Straßenbahnhaltestelle“, schlägt die CDU-Fraktion vor. Also schön zentral.
Und sie begründet es so: „Helmut Kohl, Kanzler der Deutschen Einheit und Vater des Euros, hat Europa, Deutschland – insbesondere aber die Mitte Deutschlands und damit Leipzig – entscheidend geprägt. Das Leben jedes einzelnen Leipzigers – egal ob jung oder alt – wäre ohne sein Wirken vollständig anders verlaufen. Ihm gelang es, mit großem diplomatischem Geschick zu verwirklichen, was mutige Leipziger im Herbst 1989 auf der Straße forderten: „Freiheit!“ „Wir sind das Volk!“ „Wir sind ein Volk!“ Leipzig hat sich heute zu einer freien, demokratischen und (wieder) wunderschönen, blühenden, wachsenden Stadt mit hoher Lebensqualität entwickelt. Ohne Helmut Kohl wäre diese Entwicklung nicht vorstellbar.
Bundeskanzler Helmut Kohl bekannte sich Anfang der 80er-Jahre ausdrücklich zum im Grundgesetz verankerten Ziel der Deutsche Einheit, als viele andere europäische, aber auch westdeutsche Politiker diese schon längst als „Schreckgespenst eines aufstehenden Großdeutschlands“ zu den Akten gelegt und abgeschrieben hatten. Im Herbst 1989 überraschte ihn deshalb die Forderung der Menschen in der DDR nach der staatlichen Einheit als Weg zu Demokratie und Wohlstand nicht, die Forderung kam vielmehr seiner eigenen Intention entgegen.
Wie die große Mehrheit der Menschen in der DDR wollte Helmut Kohl die Deutsche Einheit – auch als andere noch zögerten. Er erkannte die Gunst der Stunde und nutzte die historische Gelegenheit, die sich ihm aufgrund der von Leipzig ausgehenden friedlichen Revolution und aufgrund des politischen Tauwetters in der Sowjetunion bot. Allein dies, allein sein unbedingter Wille zur staatlichen Einheit und seine – vielleicht auch als Student der Geschichte erworbene – analytische Fähigkeit, in den Ereignissen des Jahres 1989 die historische Gelegenheit zur Einigung Deutschlands zu erkennen, hätte aber noch nicht ausgereicht.
Helmut Kohl ist auch deshalb der Kanzler der Deutschen Einheit, weil er durch seine Politik in den 80er Jahren die wesentliche Voraussetzung für die erforderlichen Verhandlungen mit den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges und den Nachbarstaaten Deutschlands geschaffen hat: Vertrauen. Das Vertrauen der Vereinigten Staaten von Amerika hatte er gewonnen, indem er den Nato-Doppelbeschluss unterstützt hatte. Das Vertrauen der Sowjetunion hatte er durch die Fortsetzung von Brandts Entspannungspolitik und die Unterstützung von Abrüstungsinitiativen gewonnen.
Frankreichs Präsident François Mitterrand hatte er durch seinen unbedingten und stetigen Willen zur Aussöhnung mit dem einstigen Erzfeind und mit seinem ebenso unbedingten Einsatz für die Einigung Europa überzeugt. Polen schließlich gewann er – darauf wies zuletzt EU-Ratspräsident Donald Tusk im Rahmen des Traueraktes in Straßburg hin – weil er immer wieder betonte, dass die ersten Risse in der Berliner Mauer den Werftarbeitern in Danzig zu verdanken sind. „Für mich sind Deutsche Einheit und europäische Einigung zwei Seiten derselben Medaille“, sagte Helmut Kohl und man vertraute ihm – im Osten und im Westen Europas sowie weltweit.
Als Architekt der Deutschen Einheit hatte Dr. Helmut Kohl zu Leipzig, der Stadt der friedlichen Revolution, eine besondere Beziehung. Auch privat: Seine Frau Hannelore Kohl, mit der er 41 Jahre lang verheiratet war, stammte aus Leipzig und verbrachte die ersten 12 Jahre ihres Lebens hier. Mehrfach vor dem Fall der Mauer, zuletzt 1986 gemeinsam mit seiner Frau, hatte er die Stadt privat besucht. Ihm lag Leipzig „am Herzen“ . Die Leipziger haben dies gespürt. Seine Rede am 14.März 1990 auf dem „Platz vor der Oper“, damals Karl-Marx-Platz, heute Augustplatz, vor 320.000 begeisterten Menschen wird allen, die dabei waren, unvergessen bleiben.“
Was ja eigentlich ein guter Grund wäre, einen Platz nach Hannelore Kohl zu benennen. Noch immer sind Frauennamen im Leipziger Straßenbild völlig unterrepräsentiert.
Und dann erinnert die CDU-Fraktion daran, dass Kohl in Leipzig vor allem als Wahlkämpfer präsent war. Sie hat dem Antrag ein Foto beigegeben – nicht vom 14. März 2014, wie sie drunter schrieb, sondern vom 14. März 1990, dem Tag, als 300.000 Menschen auf dem damaligen Karl-Marx-Platz dem Bundeskanzler zujubelten, der Wahlkampf für die „Allianz für Deutschland“ machte. Und wo er sagte: „Das Ziel die Einheit Deutschlands zu vollenden, ist nun zum Greifen nahe. Die Leipziger haben es sich erstritten.“
„Leipzig steht deshalb ein Helmut-Kohl-Platz gut zu Gesicht“, meint die CDU.
Und warum der Platz vor der Neuen Messe „Helmut-Kohl-Platz“ heißen sollte, begründet die Fraktion auch:
„Der Bau der Neuen Leipziger Messe wurde durch die damalige Bundesregierung unter Leitung von Helmut Kohl in erheblichem Maß gefördert und war erst durch diese Mittel finanzierbar. So wurde die Neue Leipziger Messe bei ihrer Eröffnung 1996 tatsächlich eine der ersten ‚blühenden Landschaften‘ in und um Leipzig.
Sie ist heute einer der wichtigsten Orte des Wirtschaftslebens unserer Stadt und hat durch das vielfältige Messe- und Kongressgeschäft nicht nur örtliche, sondern auch gesamtdeutsche und internationale Bedeutung und Ausstrahlung. Deshalb ist dies ein würdiger Ort, um an den großen Europäer und Kanzler der Deutschen Einheit Helmut Kohl zu erinnern.
Der Platz vor dem Messegelände hat bis heute noch keinen Namen. Die südliche Verkehrsfläche gehört zu der am Messebahnhof beginnenden Merkurpromenade, die nördliche Verkehrsfläche ist offensichtlich unbenannt. Mit der Benennung als Helmut-Kohl-Platz könnten das CCL, die angrenzenden Messehallen und die Messeverwaltung diesem adressmäßig zugeordnet werden.“
Und Christoph Leonhardt, der Kreisvorsitzende der Schüler Union Leipzig, hat ja bekanntlich auch schon vorgeschlagen, in Leipzig ein Helmut-Kohl-Denkmal hinzusetzen. „Wir finden, dass es an der Zeit für ein Doktor-Helmut-Kohl-Denkmal ist. Ohne ihn wäre die Wiedervereinigung nicht so verlaufen wie es geschehen ist“, sagte der junge Mann ein wahres Wort. Ohne Helmut Kohl wäre die Deutsche Einheit etwas anders gelaufen – vielleicht mit etwas mehr Überlegung, nicht „so aus dem Bauch heraus“, wie es passiert ist.
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Wenn die Geschichtsschreibung so weiter geht, werden es wohl bald 10 Mio. Menschen gewesen sein, die sich auf den Augustusplatz drängten, völlig losgelöst, dass auf diesem Platz nicht mal 50.000 Menschen gleichzeitig stehen können.